Essen. Im Coronajahr wuchs der Umsatz der Hofläden um 29 Prozent. Wir haben uns bei Landwirten umgehört und zeigen auf einer Karte die Hofläden in NRW.

Die wiederentdeckte Lust an der Natur hat nicht nur die Freizeit sondern längst auch die Kühlschränke erfasst. Der große Fleischskandal bei Tönnies, die Sorge vor überfüllten Supermärkten und das wachsende Bewusstsein für nachhaltige Produkte in Zeiten des Klimawandels: Dieser Dreiklang ist es, der den Hofläden in der Region im Corona-Jahr großen Zulauf beschert hat.

Wie die Gesellschaft für Konsumforschung im Januar der Deutschen Presseagentur mitteilte, gewannen die Hofläden sogar überproportional stark. Demnach betrug der bundesweite Umsatzzuwachs bei Erzeugern mit Hofläden allein im Zeitraum Januar bis November 2020 rund 29 Prozent.

„Es reicht nicht mehr, einfach ein Kreideschild an die Straße zu stellen“

Den positiven Trend bestätigt auch die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen (LWK), die einen Umbruch in der Direktvermarktung sieht. Sei der Einkauf auf dem Bauernhof „früher eher etwas für ältere Leute“ gewesen, entdeckten mittlerweile alle Generationen das Einkaufserlebnis auf dem Bauernhof für sich, bestätigt LWK-Sprecher Bernhard Rüb: „Viele Höfe stellen sich immer professioneller auf, etwa in der digitalen Vermarktung. Außerdem werden Hof-Automaten für die verschiedensten Erzeugnisse immer populärer.“

Bernhard Rüb, Sprecher der Landwirtschaftskammer: „NRW ist in Deutschland Direktvermarkter Nummer eins.“
Bernhard Rüb, Sprecher der Landwirtschaftskammer: „NRW ist in Deutschland Direktvermarkter Nummer eins.“ © Handout | Landwirtschaftskammer NRW

Dabei sei die Direkterzeugung allerdings eher in der Tiefe als in der Breite gewachsen. Schließlich nimmt die Zahl der Bauernhöfe stetig ab: Gab es nach Angaben der Landwirtschaftskammer 1949 noch 267.428 landwirtschaftliche Betriebe in NRW, so sind es heute gerade einmal noch 32.000. Zudem verschwinden allein in NRW täglich 20 Hektar landwirtschaftliche Fläche weiß Rüb und ergänzt: „Hofgründungen sind sehr sehr selten, außerdem übernehmen nicht alle Kinder den Hof ihrer Eltern.“

Schlechte Zukunftsaussichten also für den wachsenden Zweig der Direktvermarktung? „Keineswegs“, antwortet Rüb, „NRW ist in Deutschland Direktvermarkter Nummer eins und Corona hat diesen Trend noch verstärkt. Die Menschen kochen mehr für sich selbst und geben auch mehr Geld für gute Produkte aus.“ Entsprechend stellten sich die verbliebenen Höfe immer professioneller und breiter auf. Rüb: „Viele vermarkten ihre Produkte auch online, wissen, wie man eine gute Geschichte erzählt und den Einkauf zum Erlebnis macht. Heute reicht es nicht mehr, einfach ein Kreideschild an die Straße zu stellen.“

Hof Miermann in Bottrop: Spargel-Drive-In und Schweine auf Stroh

Felix Miermann inmitten seiner Hühner. Der gelernte Bankkaufmann übernahm zum Jahresanfang den Hofladen von seiner Mutter.
Felix Miermann inmitten seiner Hühner. Der gelernte Bankkaufmann übernahm zum Jahresanfang den Hofladen von seiner Mutter. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Das haben auch Felix Miermann und seine Familie erkannt. Seit Februar bieten sie in ihrem Hofladen in Bottrop-Kirchhellen auch regionales Schweine-Fleisch an und haben aktuell einen „Spargel-Drive-In“ eingerichtet. Die Nachfrage sei riesig vor allem beim Fleisch, weiß Miermann. Zum Jahresbeginn übernahm er den Hofladen von seiner Mutter, den Hof betreibt sein Vater. „Mittlerweile muss man sich ja fast schämen, wenn man zum Grillen abgepacktes 08/15-Fleisch aus dem Supermarkt-SB-Regal mitbringt. Da hat Deutschlands größter Fleischlieferant gut mitgeholfen, die Menschen zu sensibilisieren“, spielt der 29-Jährige auf die Tönnies-Schlagzeilen an.

Die Corona-Ausbrüche auf dem riesigen Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück hatten im vergangenen Juni einmal mehr ein Schlaglicht auf die unwürdigen Bedingungen für Mensch und Tier geworfen.

Seit Anfang Februar bieten Felix Miermann und seine Familie das Fleisch aus artgerechter Haltung an. „Wir sind mit 75 Schweinen gestartet, die mehr Auslauf haben, länger leben dürfen und sich außerdem auf Stroh in einen Unterstand zurückziehen können“, erklärt Miermann. Aber nicht nur das Bewusstsein für das Wohl der Tiere sei gestiegen. „Wir haben auch gemerkt, dass die Menschen einfach rauswollen“, sagt der gelernte Bankkaufmann, der Kindern bereitwillig die Hof-Hühner zeigt. „Der Bauernhof ist vor allem für Familien ein Erlebnis. Viele sind allerdings erst durch Corona auf den Trichter des regionalen Einkaufs gekommen und nun dabei geblieben. Wir hoffen, dass dieser Trend auch nach der Pandemie anhält.“

Fleisch aus artgerechter Haltung gewinnt immer weiter an Bedeutung

Studie belegt große Bedeutung regionaler Lebensmittel in NRW

Laut einer im Dezember 2020 vorgestellten repräsentativen Studie des Meinungsforschungsinstitus YouGov im Auftrag des NRW-Landwirtschaftsministeriums wünschen sich 75 Prozent der Menschen in NRW mehr regionale Lebensmittel im Einzelhandel. Bei den Menschen über 55 Jahren liegt der Anteil sogar bei 79 Prozent.

Dabei gaben etwa vier von zehn Befragten an, während der Corona-Pandemie verstärkt zu regionalen Lebensmitteln gegriffen zu haben.

Dabei liegen Obst und Gemüse weit vorn (95 Prozent), gefolgt von Fleisch (51 Prozent), Backwaren (46 Prozent) und Getränken (22 Prozent).

Für 53 Prozent der Befragten ist der Konsum regionaler Lebensmittel wichtig, für 25 Prozent sogar sehr wichtig.

Die Landwirtschaftskammer hat für NRW 381 Hofläden verzeichnet. Eine Übersicht der Läden auch in Ihrer Nähe samt Adressen haben wir veröffentlicht auf hofläden

Dass immer mehr Menschen das Tierwohl bei ihrer Ernährung berücksichtigen, weiß auch Johannes Winkelmann vom gleichnamigen Hof in Gelsenkirchen-Resse. Schon in seiner Diplomarbeit beschäftigte sich Winkelmann mit dem Thema Direktvermarktung und baute seinen Hof bereits vor 21 Jahren komplett neu auf. Das Besondere: Die Wurst und auch das dafür nötige Tier haben den Hof vorm Einkauf nie verlassen. So stellt die Hof-Metzgerei alle Produkte selbst her und verarbeitet dafür die eigenen Tiere.

„Die Schweine halten wir auf Stroh, die Rinder sind im Sommer draußen und das schmeckt man am Ende auch“, ist Winkelmann überzeugt. Im Winter kommen Gänse und Enten hinzu, auch sie sollen es sich demnächst auf Stroh gemütlich machen können. Der Verbraucher goutiert das, Fleisch aus artgerechter Haltung gewinne immer weiter an Bedeutung. In welcher Größenordnung sein Umsatz im Coronajahr gestiegen ist, dazu will Winkelmann wie die meisten anderen Landwirte auch keine genauen Zahlen nennen. „Wir haben deutlich mehr Kunden als vor der Krise. Immer mehr Menschen wissen regionale Produkte zu schätzen“, sagt Winkelmann.

Bäuerin aus Essen baute Hofladen neu auf und investierte

Bäuerin Gitta Brömse öffnete Anfang Mai ihren Hofladen in Essen-Dellwig neu.
Bäuerin Gitta Brömse öffnete Anfang Mai ihren Hofladen in Essen-Dellwig neu. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Auf dieses Bewusstsein setzt auch Gitta Brömse, die den gleichnamigen Bauernhof in Essen-Dellwig betreibt und ihren Hofladen mit Beginn der Pandemie zunächst schließen musste. Da das Hof-Café dicht war, sei auch im Laden nichts mehr los gewesen. „Dann haben aber immer mehr Menschen aus der Umgebung gefragt, ob wir nicht wieder öffnen können.“

Brömse machte mehr als das: Trotz finanzieller Belastung durch die Pandemie investierte sie, baute den Hof-Laden aus, kaufte ein großes Kühlhaus und knüpfte weitere Kontakte zu den Erzeugern aus der Region. Am 1. Mai feierte sie Wiedereröffnung und bietet nun mehr Produkte als vorher an. Eigenes Gemüse, Marmelade, Eier, Mettwurst, dazu Erzeugnisse der Schwerter Senfmühle und der Hofkäserei Andres aus Haltern am See.

Kleinere Erzeuger vermarkten Produkte gemeinsam

Auch darin sieht Rüb von der Landwirtschaftskammer einen Trend: Immer mehr Anbieter regionaler Spezialitäten – von Honig über Käse bis hin zu Spirituosen schlössen sich zusammen, um ihre Produkte gemeinsam zu vermarkten.

„Die Leute mögen das Kleinere, Persönlichere“, hat auch Jürgen Rademacher vom „Rosenhof“ in Duisburg beobachtet. Mit jedem neuen Lockdown seien die Kauflust und die Zahl der Neukunden gewachsen. Wie Brömse kauft auch Rademacher bei anderen regionalen Anbietern dazu, etwa Eier aus dem Münsterland oder Nudeln aus Süddeutschland. Neben Spargel und Erdbeeren baut der Hof auch verschiedene Gemüsesorten zur Selbsternte an.

Lust am Selberpflücken: Gemüse ernten und Spargel stechen

Denn auch die Lust, sich für sein Essen wieder selbst die Finger schmutzig zu machen, ist gewachsen. Längst können Kunden auf dem Rosenhof nicht nur Klassiker wie Erdbeeren selbst pflücken sondern auch Kohl oder Kartoffeln eigenhändig aus der Erde buddeln.

Gleichwohl warnt LWK-Sprecher Rüb vor einer Über-Romantisierung, denn Landwirtschaft sei in erster Linie eines: „Anstrengend. Man kämpft gegen Wetter, Schädlinge und viele Auflagen. Dennoch denke ich, dass viele Menschen zu Beispiel im eigenen Gemüseanbau einen Ausgleich sehen. Das sehen wir ja auch am wachsenden Interesse für Miet-Äcker, die einige Landwirte anbieten.“

Zwar begrüßt Rüb die Fülle an regionalen Initiativen und das wachsende Interesse für Themen rund um die Selbstversorgung. „Aber es ist eine Illusion, dass sich jeder selbst ernähren kann.“ Gleichwohl könnten Bewegungen wie „Urban Farming“ aber einen Beitrag leisten bei der großen Ernährungswende, die sich derzeit auf vielen Tellern vollzieht. Du bist, was du isst – diese Binse war schließlich selten ethisch so aufgeladen wie heute.