Dortmund. Dortmund hat bei der Sterne-Vergabe abgesahnt. Eine Chance für den Tourismus. Wir verraten, was Köche der Spitzengastronomie am liebsten essen.
„Wir möchten keine Pinguin-Nummer“, spielt Dirk Grammon auf den steifen Ober in vornehmen Restaurants an. Sein „Grammons“ macht im Vergleich zu den anderen neuen Dortmunder Sternelokalen noch den gediegensten Eindruck, trotzdem möchte er nicht nur für eine Elite kochen. „Wenn Leute mit dem Fahrrad vorbeifahren, können sie mich auch spontan besuchen.“
Gleich drei neue Sterne hat der Guide Michelin nun an Dortmund verliehen – über diese Ehrung freuen sich Köche wie Schauspieler über den Oscar. Michael Dyllong vom Palmgarden auf der Hohensyburg ist somit nicht mehr der Einzige, der in der Stadt ausgezeichnet ist. Fürchtet er die Konkurrenz? „Nein, das belebt das Gourmet-Geschäft.“ Künftig blieben Leute von außerhalb vielleicht ein Wochenende. „Dann gehen sie einen Abend zu Herrn Dyllong und am nächsten zu Herrn Grammon.“
Außerdem ist Dyllong nicht ganz unbeteiligt am Sternen-Segen: Zusammen mit Circo de Luca führt er seit 2019 das Iuma. Aber den neuen Stern hat dort Pierre Beckerling erkocht. Und der hat zuvor zusammen mit Phillip Schneider gearbeitet, der nun ebenfalls mit einem Stern geehrt wurde.
Von anderen Sterneköchen lernen
Davor schaute Beckerling anderen Spitzenköchen über die Schulter, wie Nelson Müller in der Essener Schote. Doch seine eigene Handschrift wurde durch seine lange Reise durch Asien geprägt: Die Menüs sind japanisch angehaucht. „Wir machen aber kein Sushi“, stellt Beckerling klar, für den sich mit dem Stern ein Lebenstraum erfüllt. Dabei war es für ihn anfangs gar nicht so leicht, einen Fuß in eine Restauranttür zu bekommen. Seine Schulnoten sprachen nicht für ihn.
Phillip Schneider hat nicht mal einen Hauptschulabschluss. „Ich war ein schwieriges Kind.“ Doch dann fuhr er eines Tages mit dem Skateboard am Restaurant „Zum Treppchen“ vorbei und sah die dicken Autos davor parken. Wie cool müsste es sein, dort zu arbeiten. Also marschierte er hinein und behauptete nassforsch: „Ich bin der Beste!“
„Der Schneider“: Mehr Gemüse als Fleisch
Er durfte dort tatsächlich seine Ausbildung machen. Später lernte er bei Johann Lafer in Koblenz, ging nach London, Paris. Doch die erste „Kochschule“ hat er als Kind besucht: Schneider mit italienischen Wurzeln wuchs nach der Scheidung der Eltern bei der Oma auf. Essen spielte da eine wichtige Rolle: „Morgens am Frühstückstisch wird diskutiert, was es mittags gibt. Am Mittag wird diskutiert, was es abends gibt.“
Das schmeckt den Sterneköchen
Dem Mann mit dem Vollbart ist das gängige Prinzip der Sterneküche schnuppe: „Da sagt man: 70 Prozent Protein, 30 Prozent Gemüse. Bei mir ist es genau umgekehrt: Ich gehe auf 70 Prozent Gemüse und 30 Prozent Protein, heißt: Fisch oder Fleisch.“ Sein Tatar besteht aus drei verschiedenen Tomatensorten. Steht bei „Der Schneider“, wie sein schick-verrückt eingerichtetes Restaurant seit fünf Jahren heißt, doch „Rind“ auf der Karte, sei das kein importiertes Wagyū, sondern eine „ausgediente Milchkuh“.
„Ich bin sehr klassisch“, sagt dagegen Grammon, der seit 2019 die französische Küche zelebriert. Eine Liste an Stationen bei Spitzenköchen kann er nicht vorweisen. Er habe immer alles hinterfragt – und sich so einen Namen gemacht.
Kennenlernen kann man seine Küche auch während des Lockdowns. Mit der „Grammon Box“. Und auch das Iuma bietet zusammen mit dem Schwesterrestaurant Vida ein Menü an, das man abholen und zu Hause selbst zubereiten kann.
Ein Stern motiviert, durchzuhalten. Ein Stern geht unter die Haut. Bei manchen Köchen im wahrsten Sinne des Wortes: Schneider ließ sich den Stern auf den Zeigefinger tätowieren, Beckerling wird ihn da tragen, wo die Ideen für seine Teller entstehen: „am Kopf.“
>> Ein Dortmunder in Köln: Pottkind bekommt einen Stern
Ein Dortmunder in Köln– und schon gibt’s den nächsten Stern: Koch Enrico Sablotny hat in der Stadt, die neben Düsseldorf als Einzige in der Region mehr Sterne hat als Dortmund, mit Lukas Winkelmann ein Lokal mit offener Küche eröffnet. Aus Liebe zur Heimat haben sie es Pottkind getauft. Es soll für das Unverschnörkelte der Region stehen. „Currywurst gibt’s aber nicht“, sagt Sablotny lachend.
Die Gäste werden mit Gängen überrascht, die auf der französischen Küche basieren, aber nie mehr als fünf Komponenten enthalten – so die selbst auferlegte Regel. „Schäumchen kann ich nicht so gut, das sieht ein bisschen gewollt aus.“ Um den Lockdown zu überbrücken, bietet Pottkind eine „Pottisserie“ an: Tartelettes, gefüllt mit Feige oder Bergamotte.
>> Professoren-Paar: „Eine Chance für den Ruhrgebietstourismus“
Sie essen nicht nur gerne richtig gut, sie erforschen auch die Spitzengastronomie: die Soziologen Uwe und Maximiliane Wilkesmann.
Redakteurin Maren Schürmann sprach mit dem Professoren-Paar von der TU Dortmund über das ungewöhnliche Sterne-Jahr.
Wie haben die Tester im Lockdown überhaupt ein Urteil fällen können?
Uwe Wilkesmann Die Restaurants waren ja zeitweise geöffnet. Und in dieser Zeit waren auch die Tester da.
Maximiliane Wilkesmann Man muss schon kritisch anmerken, dass Restaurants, die ihre Auszeichnung verteidigt haben, zum Teil gar nicht geöffnet hatten. Das liegt daran, dass viele Sterne-Restaurants von Hotels betrieben werden. Der Guide Michelin hat sie trotzdem ausgezeichnet, um den Köchen in der Krise Respekt zu zollen. Für Dortmund kann man sagen: Sie haben alle Gas gegeben im Sommer. Eine Region so aufzuwerten, passiert ganz selten. Doch das Dortmunder Ergebnis ist wirklich sehr zuverlässig.
Ist das nun ein Nährboden für weitere Gourmet-Restaurants, für noch mehr Sterne?
Maximiliane Wilkesmann Ein klassisches Beispiel für solch eine Entwicklung ist Baiersbronn im Schwarzwald. Da gibt es die höchste Sterne-Dichte.
Uwe Wilkesmann Der Ort hat sich die Kulinarik auf die Fahne geschrieben. Und das ist ja nur ein Mini-Ort.
Also könnten die Sterne auch für den Ruhrgebiets-Tourismus wichtig sein?
Maximiliane Wilkesmann Auf jeden Fall. Es gibt Gäste, die mit dem Guide Michelin verreisen und gezielt dort Station machen, wo einem kulinarisch etwas geboten wird. Und dann können sie es mit anderen Dingen verbinden, wie zum Beispiel dem Fußball.
Das Buch zur Gastro-Forschung: Maximiliane und Uwe Wilkesmann: Nicht nur eine Frage des guten Geschmacks, Springer, 236 S., 19,99 €
Hier die Übersicht, mit den neuen Sterne-Restaurants in unserer Region.
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