Essen. Lena (21) hat einen Herzfehler. Trotz Abiturs und Studium hat sie aus Angst vor Corona ihr Zimmer ein Jahr kaum verlassen: „Was ist mit uns?“
Ihre Möbel hat sie dutzende Male umgeräumt. Schränke und Regale ausgemistet, mit ein paar Neuerungen versucht, frischen Wind ins Jugendzimmer zu bringen. So langsam kann Lena (21), die anders heißt, nicht mehr: „Man wünscht sich Licht am Ende des Tunnels – aber das kommt einfach nicht.“
Die Lehramtsstudentin aus Essen kam mit einem Herzfehler zur Welt. Das sei vor Corona nicht weiter schlimm gewesen: „Ich habe mich nie krank gefühlt, konnte ganz normal zum Sport und auch alles andere machen.“ Da mit dem Herzfehler ein verringertes Lungenvolumen einhergeht, gehört Lena aber zu jener Risikogruppe, die sich vor dem Coronavirus noch besser schützen muss. Entsprechend hat die junge Frau ihr Elternhaus seit Beginn der Pandemie im vergangenen Frühjahr nur selten verlassen: „Ich fühle mich ausgegrenzt, obwohl ich es ja selbst war, die sich abgeschottet hat. Weil ich so einen krassen Respekt vor dieser Erkrankung habe.“
Kein Abiball, keine Ersti-Partys
Im vergangenen Jahr hat sie ihr Abitur gemacht, war aber schon direkt mit dem ersten Lockdown Mitte März nicht mehr in der Schule. „Das Risiko war mir einfach zu groß, da gab es ja anfangs auch noch keine Masken“, erinnert Lena. Die Abi-Mottowoche fiel ebenso flach wie ein feierlicher Abi-Ball. „Am liebsten erinnere ich mich an den Kauf meines Abiballkleides, das war im Oktober 2019, da war die Welt noch in Ordnung“, wird Lena etwas wehmütig. Das kurze und mit Spitzen und Pailletten besetzte Kleid in rosé trägt sie einzig für einen kleinen Empfang, den ihre Schule organisiert hatte – mit Maske und großen Abständen in kleinen Gruppen. Keine Umarmungen mit jenen, neben denen sie ein Großteil ihres Lebens den Klassenraum teilte. Keine Partys, um den nun beginnenden Lebensabschnitt zu feiern. Auch keine Reisen, um vorm Studium nochmal Kraft zu tanken.
Ihre Eltern und ihre jüngere Schwester beginnen in dieser Zeit, Lena um Erlaubnis zu fragen, wenn sie sich mit jemandem außerhalb der Familie draußen treffen. „So hart die Zeit ist, aber ich bin dankbar für meine Familie. Die Pandemie hat uns zusammengeschweißt“, sagt Lena. Neben ihrer Familie trifft sie nur ihren Freund, sieht alle anderen Kontakte nur am Handy oder PC-Bildschirm. „Ein Glück gibt es Facetime, meine Freunde geben mir viel Rückhalt. Aber ich vermisse echte Treffen sehr.“
Studienbeginn in Dortmund: Ihre Kommilitonen sieht Lena nur einmal „in echt“
Der Corona-Sommer neigt sich dem Ende zu, Lena beginnt ihr Studium an der TU Dortmund. „Ich habe mich so sehr auf die Erstifeiern gefreut und darauf, meine Kommilitonen kennenzulernen. Der Studieneinstieg war dann aber viel schwieriger als ich gedacht hätte.“ Statt das erste Mal Hörsaal-Luft zu schnuppern und sich kennenzulernen, läuft das erste Treffen komplett digital ab. „Ich hatte aber sehr viel Glück in meiner Orientierungswoche und habe via Whatsapp direkt Kontakte zu anderen Studenten bekommen. Mittlerweile zoomen wir regelmäßig, das hilft sehr.“
Ein einziges Mal hat Lena ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen „in echt“ getroffen. „Vor dem Lockdown im Herbst haben wir uns in der Dortmunder Innenstadt gesehen, natürlich mit Maske und Abstand – aber das war besser als gar nichts“, überwiegt bei Lena allen Umständen zum Trotz der Optimismus. Dennoch fühlt sie sich um wertvolle Lebenserfahrungen gebracht – auch, weil die Politik zu viel versäumt habe.
Keine FFP2-Maske, kein Impftermin
„Was ist mit uns? Mit uns jüngeren Risikogruppen? Diese Frage stelle ich mir seit Beginn der Pandemie und bekomme keine zufriedenstellende Antwort“, kritisiert die 21-Jährige. Das Dilemma habe mit den Bezugsscheinen für FFP2-Masken begonnen. „Viele Menschen hatten einen Anspruch auf kostenlose Masken, obwohl sie keiner Risikogruppe angehören. Hingegen bekommen junge Risikogruppen keine FFP2-Masken, genau die Gruppen also, die sich mit am meisten schützen müssten. Da frage ich mich, nach welchem Kriterium so etwas entschieden wird“, nennt Lena ein Beispiel.
Das Gefühl, eine ganze Gruppe sei vergessen worden, habe sich beim Drama um die Impftermine wiederholt. „Immer, wenn ich an der Hotline angerufen und nach einem Termin gefragt habe, hat man mich vertröstet. Da heißt es immer nur ,wissen wir nicht’ oder ,Sie bekommen noch Bescheid’“, schildert Lena ihre Erfahrungen.
Mittlerweile steht sie auf einer Warteliste bei ihrem Hausarzt und hofft, bald an der Reihe zu sein, damit sie endlich wieder ohne Todesangst am Leben teilhaben kann. Wann sie geimpft wird, das habe ihr Hausarzt ihr noch nicht mitteilen können.
Lena: „Im Moment stehe ich jeden Tag auf, mache etwas für die Uni und schweife danach ab, zerbreche mir den Kopf. Danach ist meistens Netflix mein bester Freund. Das muss endlich aufhören!“
Schwerbehinderter aus Warendorf startet Petition - mehr als 100.000 unterschreiben
Christian Homburg hat sich im Laufe der Corona-Pandemie über vieles geärgert. Etwa, dass er dem Pflege-Team, das ihn beim eigenständigen Leben zu Hause unterstützt, Corona-Schutzausrüstung besorgen musste. Der 24-Jährige gilt aufgrund seiner Muskeldystrophie Duchenne als körperlich schwer behindert, hat ein Lungenvolumen von 20 Prozent. Der technische Produktdesigner bei Thyssenkrupp arbeitet seit Corona im Homeoffice. Obwohl akut gefährdet, musste er für die nun erfolgte Erstimpfung hart kämpfen.
„Ich bin vom Stuhl gefallen als klar wurde, dass Menschen wie ich nicht in der Impfschutzverordnung besonders berücksichtigt werden. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht“, erinnert sich Homburg. Er startete eine Online-Petition, um schwer behinderten und chronisch kranken Menschen auch außerhalb von Pflegeeinrichtungen einen schnellen Impfschutz zu ermöglichen. Mehr als 102.000 Menschen haben bislang unterschrieben.
Homburg und seine Mitstreiter haben in NRW erreicht, dass über Härtefallanträge bei den Gesundheitsämtern Ausnahmen möglich sind. Und dass Menschen mit den höchsten Pflegestufen vier oder fünf ein automatisches Impfangebot bekommen. Homburg: „Noch immer gibt es viele Probleme und agieren die Städte und Kreise unterschiedlich bei der Bearbeitung der Anträge. Aber ein Anfang ist gemacht und ich hoffe, dass durch die Einbeziehung der Hausärzte bald alle Chronisch Kranken geimpft werden.“
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