Bochum. Die dritte Corona-Welle ist da, bald wird sie die Intensivstationen erreicht haben, warnen Experten. Doch Pfleger und Ärzte sind längst „mürbe“.
In der Frühschicht mussten sie wieder Betten umschichten. Keine leichte Aufgabe, wenn die Patienten, die darin liegen, maschinell beatmet werden. Eine schweißtreibende Reanimation „unter Vollschutz“ kam dazu, dann noch eine schwierige Intubation – und zwei Krankmeldungen von Kollegen. „Kein guter Tag“, seufzt der Intensivpfleger und Stationsleiter Björn Diller am Nachmittag, als Rettungssanitäter die dritte Neuaufnahme in Folge auf die internistische Intensivstation des Bochumer Josef-Hospitals bringen – keinen Corona-Kranken zum Glück, sonst hätten sie wieder alles neu sortieren müssen.
Dieses Mal ist es ein Mann mit offener Tuberkulose, tief sediert, hoch infektiös. Ein Wust von Kabeln, Schläuchen und Gerät bleibt auf der Trage zurück, als er endlich ins Bett geschafft und an neue Monitore, Perfusoren und die Beatmungsmaschine angeschlossen ist. „Selbst Trinkpausen“, erzählt Diller, „waren heute nicht drin.“
Seit 16 Jahren ist er Krankenpfleger, seit acht arbeitet er auf „Intensiv“. Das letzte Jahr, findet der 37-Jährige, „war mit Abstand das schwerste“ – das Jahr der Corona-Pandemie. Und die will nicht enden, sie nimmt im Gegenteil gerade wieder Fahrt auf. Anfang Mai, warnen Experten, würden die Intensivstationen im Land erneut volllaufen.
„Es ist nur eine Frage der Zeit….“
Noch ist es nicht soweit, doch die „Pandemie-Leitungsgruppe“ des Katholischen Universitätsklinikums Bochum (KKB), zu der das Josef-Hospital gehört, tagt schon wieder zweimal pro Woche… „Wir wollen vorbereitet sein“, erklärt Prof. Christoph Hanefeld, der medizinische Geschäftsführer. Denn seine Infektionsstation ist ja schon randvoll. 20 (noch) nicht intensivpflichtige Corona-Patienten werden dort aktuell versorgt, fast doppelt so viele wie vor 14 Tagen. „Da ist es schon eng, die dritte Welle schon da“, berichtet Dr. Renate Schlottmann, Chef-Infektiologin des Hauses. „Und über 90 Prozent der Patienten haben die britische Variante, die ansteckender und krankmachender ist…“.
Es sei nur eine Frage der Zeit, bis es passiere, bis die Intensivstationen „volllaufen“, glaubt Dr. Thomas Breuer, ärztlicher Leiter der Intensivstation. Dabei ist die auch an diesem Dienstag nach Ostern keineswegs leer, das ist sie nie. Allerdings liegen nur in vier der 18 Betten Corona-Kranke – drei Männer, eine Frau, ganz am Ende des langen Flurs, hinter der verschiebbaren Spezial-Schleuse. Vor einem Jahr war die Schleuse der Eingang zur Station, 14 Covid-Patienten zählten sie hier noch im Januar.
Der Pfleger: „Gekündigt hat keiner, aber einige wollen nach der Pandemie gehen“
Die Situation sei „eindeutig sehr viel besser“ als im April vergangenen Jahres, als man noch so wenig wusste über dieses neue Virus, als Organisationsabläufe neu eingeübt und die besten Therapien für Corona-Patienten erst erprobt werden mussten. Als Masken Mangelware waren und bestimmte Medikamente nicht lieferbar. Jetzt weiß man, was hilft und was nicht, der neue Alltag ist Routine geworden. (Nur die Handschuhe sind schon wieder knapp und fünfmal so teuer wie vor der Pandemie, berichtet die Apothekerin).
Breuer vermisst dennoch die alte Normalität; die interdisziplinären Team-Besprechungen, bei denen über einzelne Patienten gesprochen wurde, „in direktem Miteinander“; die ruhigen Nachmittage, da an den Betten Angehörige saßen, „man mal kurz reinschauen und über die Lage sprechen konnte“.
Der Klinikchef: „Meine Leute sind mürbe und dünnhäutig geworden“
Der 39-jährige Arzt hatte gerade eine Woche Urlaub. Abschalten aber funktioniert nicht mehr. 623 Covid-Patienten wurden seit Beginn der Pandemie im KKB behandelt, 71 starben. „Man merkt das Jahr“, sagt Breuer, „es hat Spuren hinterlassen.“ „Meine Leute sind mürbe und dünnhäutig geworden“, meint Christoph Hanefeld, der Klinikchef. Er merke das bei jedem Gespräch. Noch habe wegen Corona niemand gekündigt, berichtet Björn Diller, der Pfleger: „Aber einige sagen: Wir gehen nach der Pandemie. Die stehen jetzt zu ihrer Verantwortung, wollen danach aber in einem anderen Beruf weitermachen.“
Angst vor Ansteckung, sagt der Intensivpfleger, gebe es im Team nicht mehr. Die sei längst der enormen physischen Belastung gewichen. Voll verkittelt zu arbeiten, sei immens anstrengend. Durch die Impfung fühle man sich zusätzlich geschützt – auch wenn zwei geimpfte Mitarbeiter des KKB jüngst im Routine-Screening positiv getestet wurden… Doch das Jahr habe „so an den Kräften gezehrt“, sagt Diller. Vielleicht auch, weil man ihn und seine Frau, die ebenfalls im Krankenhaus arbeitet, recht deutlich „gemieden“ habe? In der Kita, erzählt der Pfleger, seien seine Kinder noch immer „nicht gern gesehen“. Doch wo sollen die Eltern sie lassen, wenn sie in der Klinik Dienst an Nächsten tun?
Der Arzt: „Es gab Situationen, die werde ich nie mehr vergessen können“
Den Experten-Warnungen „muss man sich wohl anschließen“, meint Thomas Breuer. „Die dritte Welle kommt auf uns zu. Und sie wird durch die Impfung nicht aufzuhalten sein.“ Also: Schulen und Kitas zu statt offen, Lockdown statt Lockerung? Aus infektiologischer Sicht, sagt Breuer: „Definitiv ja, alles dicht machen.“ Manches, was er hier erlebte, die jungen Menschen ohne Vorerkrankungen, die hier starben oder schwere Verläufe hatten, „die werde ich mein Leben lang nicht vergessen können“. Aber das sei sein persönlicher Blick auf die Situation, eine „gefärbte Sicht“; „andere kennen nicht einmal jemanden, der positiv getestet wurde.“ Und er sehe auch die verwaisten Innenstädte und „meine Frau, die unsere drei Kinder zu Hause betreut – und wie anstrengend das ist“. Seine Botschaft lautet darum: „Wir wissen viel. Wir können viel. Wir versorgen jeden, sind für alle da. Doch es würde sehr helfen, wenn Ihr alle zuhause bleibt.“
Diller würde gern mal wieder „präventiv handeln“, eine Pflegekraft heimschicken dürfen, wenn er sieht, „der geht es nicht gut, die müsste sich mal ausruhen“. Doch an Tagen wie diesem, wenn nicht einmal Trinkpausen drin sind…? Da ist er um jeden froh, der da ist. Um die Schwester etwa, die sich gerade eilig anschickt, noch einmal ins Zimmer eines Corona-Patienten zu gehen: Erst kommt eine Haube (lila) aufs Haar, dann ein dicker, langärmeliger virusdichter Stoffmantel (blau) und eine dünne Plastikschürze (gelb) über den Kasak, schließlich ein Gesichtsvisier über die FFP2-Maske. Jetzt noch Handschuhe überstreifen – und die Wasserflasche schnappen, um die der Patient gebeten hatte. „Ziemlich viel Aufwand, ja“, räumt die junge Pflegerin ein. „Aber der Mann hat doch Durst.“
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30 Corona-Patienten lagen am Dienstag auf einer der Intensivstationen der Essener Universitätsmedizin (UME), dem größten Covid-Zentrum im Ruhrgebiet. Weitere 40 auf anderen Stationen kamen dazu, insgesamt wurden hier bislang 1989 Corona-Kranke stationär versorgt.
Die Intensiv- und Normalbettenkapazität für Covid-19 Patienten sei „wieder angespannt, von den Spitzenwerten in der zweiten Welle aber noch deutlich entfernt“, erklärte Prof. Jochen Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der UME. Ein jegliches „mehr“ an Bettenbelegung ziehe ein „weniger“ für andere Patienten nach sich (…), „weil das Personal seit vielen Monaten an der Belastungsgrenze arbeitet“. Die Kontrolle der Infektionsausbreitung sei „von allerhöchster Bedeutung.“
Laut „Divi-Intensivregister“ waren am Dienstag bundesweit 4.439 Intensivbetten (für Erwachsene) mit Corona-Patienten belegt. 3104 der insgesamt 20.764 regulären Intensivbetten sind noch frei, dazu kommt eine „Notfallreserve“ von 10.435 Betten.