Berlin. Obwohl die zweite Corona-Welle sehr absehbar war, reagierte die Politik zu spät und zu lasch, meint unser Kommentator Miguel Sanches.

Haben die vereinbarten Lockerungen beim Infektionsschutz zu Weihnachten und Silvester wirklich Bestand? Gut möglich, dass die Auflagen verschärft, vereinheitlich und verlängert werden.

Der Druck der Zahlen ist groß. Mit Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben die letzten Bundesländer den Inzidenzwert von 50 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen erreicht. Fällt er höher aus, wird es nach den bisherigen Erfahrungen schwer bis unmöglich, jeden positiven Test zurückzuverfolgen. Zu den Zahlen kommt der politische Druck hinzu, den man daran erkennen kann, dass selbst die nordrhein-westfälische SPD zum Besten gibt, das CSU-geführte Bayern mache vor, wie man mit der Pandemie umgehen könne. Ministerpräsident Markus Söder ist vom Scharfmacher zum Taktgeber geworden, obwohl die Zahlen im Freistaat eher schlecht sind.

Miguel Sanches, Politik-Korrespondent
Miguel Sanches, Politik-Korrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Im Frühjahr waren Läden, Schulen und Kirchen geschlossen, und an einigen Grenzen fanden Kontrollen statt. Es ist klar, dass damals mehr erreicht wurde und dass der Lockdown im Herbst hingegen nicht die Trendwende brachte. Der Anstieg der Neuinfektionen mit Covid-19 wurde gebremst, aber nicht gestoppt. Die Erwartungen waren überzogen. Wer halbherzig handelt, erzielt nur halbe Erfolge. Ein Teil-Lockdown führt zu einem Teilerfolg. Aber die Unzufriedenheit, die ist allerdings ungeteilt.

Die zweite Corona-Welle war absehbar – doch die Politik reagierte zu spät

Da jeder Virologe bereits im Frühjahr die zweite Welle für den Herbst vorausgesagt hat, hätte eine vorausschauende Politik Ende September reagieren müssen. Rückblickend betrachtet handelten Bund und Länder einen (un)guten Monat zu spät. Wenn das Ziel lautet, den Inzidenzwert auf unter 50 zu drücken, muss der Lockdown nun nicht nur in Bayern, sondern überall schärfer werden. Wobei die Bayern so viele Ausnahmen machen, dass sich der Verdacht aufdrängt, dass es mit der Steigerung hart, härter, Söder doch nicht weit her ist.

Die Länder müssen gesamtstaatlich handeln, nicht nur auf das Infektionsgeschehen in ihren Landkreisen und Städten schauen. Gerade zu Weihnachten, wo die Familien hin- und her reisen, wird sich zeigen, dass die Pandemie keine Grenzen kennt; dass sie einheitlich, flächendeckend bekämpft werden muss.

Sobald die Auflagen beendet sind, steigen die Infektionszahlen wieder. Das beobachtet man selbst in Staaten, die geografisch günstigere Bedingungen haben, um sich abzuschotten, und die bisher erfolgreicher waren, Südkorea etwa. Es bleibt die Hoffnung auf Impfstoffe, auf eine Durchimpfung der Bevölkerung, genauer: derjenigen, die das wollen. Lesen Sie auch:Impfkommission: Diese Gruppen sollen zuerst geimpft werden

Vermutlicher bringt ein harter Lockdown mehr als die „light“-Variante

Vermutlich bringt ein harter Schnitt über ein, zwei Monate mehr als ein Teil-Lockdown, der beschwerlich genug, aber eben zu wenig erfolgreich ist. Dass man auf Vermutungen und Eindrücke angewiesen ist, das ist übrigens ein Teil des Problems: die dünne Datenbasis.

Wir wissen nicht, wie viele Menschen tatsächlich infiziert wurden, wie viele gegen Corona immun sind. Wir halten nicht fest, wie viele wie stark erkrankt sind. Wir kennen die Zahl der Todesopfer, aber nicht die genaue Infektionssterblichkeit in Deutschland. Wir wissen nicht, was die Schließung von Museen oder Restaurants bringt – oder auch nicht. Wir beobachten, wie Tschechien zum Hotspot wurde und wie ausgerechnet im benachbarten Sachsen und Bayern die Zahlen steigen. Ein Zufall?

Es gibt in vielen Bereichen Dunkelfelder, Vermutungen, Halbwahrheiten. Die Politik ist fixiert auf wenige Zahlen, vor allem auf die der positiven Tests und der Menschen, die an oder mit Covid-19 gestorben sind. Sie sind beängstigend. Nimmt man sie zum Maßstab, fällt das Fazit nach einem Monat Teil-Lockdown leicht: Bund und Länder waren zu lasch.