Essen. Zwischen Liebe und Leid: Familienberaterin Ulla Grans coacht Patchwork-Frauen. Sie erklärt, wie Patchwork gelingen kann – auch für Großeltern.

Schon die Großmutter hat sich in den Nachkriegsjahren vom Großvater getrennt, Ulla Grans selbst wuchs mit Stiefschwestern auf und als sie bereits Mutter war, zog sie mit einem Mann zusammen, der ebenfalls schon einen Sohn hatte. „Das ist Patchwork in der dritten Generation“, sagt die 51-Jährige. Sie hat ihre privaten Erfahrungen und ihre beruflichen Fähigkeiten als systemische Familienberaterin vereint und coacht heute Patchwork-Frauen. In dem ganzen Trubel gehen Omas und Opas häufig unter. Aber auch für sie sei die neue Familiensituation herausfordernd.

Sie spricht aus eigener Erfahrung: Ulla Grans wuchs in einer Patchwork-Familie auf und lebt heute wieder in einer.
Sie spricht aus eigener Erfahrung: Ulla Grans wuchs in einer Patchwork-Familie auf und lebt heute wieder in einer. © Ursula Grans

„Das Problem ist, für Patchworkfamilien gibt es oft keine Vorbilder“, sagt die Essenerin. Wenn Menschen an Familie denken, dann würden sie sich meist die heile „Rama-Familie“ vorstellen: Mutter, Vater und das gemeinsame Kind. Dann gibt es vielleicht zwei Omas und zwei Opas, aber nicht wie bei manchen Patchworkfamilien vier Großeltern.

Der Vergleich mit der angeblich heilen Familie

Man vergleicht sich mit dem Bild von der heilen Familie und stellt fest, dass es bei einem zu Hause anders ist. „Man empfindet sich als nicht richtig.“ Dabei sei Patchwork keine Ausnahme mehr. „Es ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und es geht durch alle Schichten.“ Genaue Zahlen gibt es nicht, Experten schätzen, dass sieben bis 13 Prozent der Familien Patchwork sind. Ulla Grans: „Vermutlich ist die Zahl höher, denn laut einer Erhebung des Instituts für Demoskopie in Allensbach hat fast ein Viertel der Eltern in Deutschland Kinder aus einer früheren Beziehung.“

Wenn zwei Menschen mit ihren Kindern zusammenziehen, dann sei das so, als ob zwei Unternehmen mit unterschiedlichen Abläufen und Aufgabenverteilungen fusionieren würden. Diese Firmen müssten erstmal zusammenwachsen. Außerdem verarbeiten Eltern und Kinder meist eine vorherige Trennung, sie sind traurig, verletzt.

Es dauert fünf bis sieben Jahre bis eine Patchwork-Familie zusammengewachsen ist

„Die Kern-Patchworkfamilie hat so viel mit sich zu tun, man sagt, es dauert fünf bis sieben Jahre, bis sie zusammengewachsen ist – wenn alle denn durchhalten“, so Ulla Grans. „Und sich dann noch mit Omas und Opas auseinanderzusetzen, das war mir zum Teil zu viel.“ So können Großeltern häufig das Ganze nur von außen betrachten. Aber: „Auch sie dürfen trauern.“ Unsicher sein, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie plötzlich eine neue Schwiegertochter haben und dazu noch einen sechsjährigen Enkel. Sollen (oder müssen) sie dem Stiefenkel genauso viel zu Weihnachten schenken wie dem Enkel?

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Ulla Grans hat als Kind selbst erlebt, dass die Oma der Stiefschwestern den blutsverwandten Enkeln doppelt so viel Geld an Weihnachten geschenkt hat wie ihr. „Ich fühlte mich nicht dazugehörig“, erinnert sich Ulla Grans. Trotzdem sagt sie heute zum Verhalten ihrer Stief-oma: „Ich kann es verstehen.“

Wenn die Liebe zum eigenen Enkelkind größer ist als zum Stiefkind

So habe eine Patchwork-Oma zu ihr gesagt: „Es sei so schwer für sie, weil sie das eigene Enkelkind mehr lieben würde als den Stiefenkel.“ Gefühle könne man nun mal nicht herbeireden. Kinder spürten, wenn man ihnen etwas vorspiele. „Ich glaube, der Fehler, der oft passiert, ist, dass man sich mit den Rollen identifiziert, die man kennt. Man muss seine Rolle neu finden.“

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„Das einzige, was hilft, ist reden!“ So könne man vorab mit den Eltern sprechen, wie man das Weihnachtsfest und die Verteilung der Geschenke gestalten möchte. Es müssen auch zu coronafreien Zeiten nicht alle am Festtagstisch sitzen.

Es gibt natürlich ebenso Großeltern, denen es gefällt, dass das erwachsene Kind nach Jahren des Streits ein neues Glück findet. Denn das sei das Flickenwerk trotz der Schwierigkeiten auch, so Ulla Grans: „eine Chance!“ Weitere Menschen als Familienmitglieder hinzuzugewinnen, denen man sich nahe fühlt. Das brauche Zeit und Geduld. Eine Freundschaft entstehe auch nicht von heute auf morgen.

Wichtig sei, dass man Abschied nehme von den Bildern, die man von einer angeblich normalen Familie hat. „Man kann neue Rituale schaffen“, sagt Grans. Es muss nicht die komplette Patchworkfamilie sonntags zum Kaffee vorbeikommen, vielleicht unternimmt man lieber nur mit wenigen Verwandten Ausflüge. „Patchwork kann sehr bunt sein, im schönen Sinne bunt. Auch für Omas und Opas.“