Hagen. . Zum Internationalen Tag der Freundschaft am 30. Juli: Warum es Erwachsenen so schwer fällt, neue Freunde zu gewinnen. Und wie es ihnen doch gelingt.

„Wenn ich an ,die beste Freundin’ denke, kommen mir sofort Mädchenfreundschaften in den Sinn. In der Klosterschule hatte ich verschiedene beste Freundinnen. . . Heute habe ich keine beste Freundin. . . Nicht, weil ich keine beste Freundin haben will, sondern weil ich keine habe. Es ist ja auch Glückssache, so einen Menschen zu finden, denke ich.“

Freunde geben Halt

Diese Gedanken zu Freundschaften hatte Hannelore Elsner (74).* Vielen Erwachsenen ergeht es wie der Schauspielerin: Während sie als Kind und Jugendliche umgeben waren von Freunden, mit denen sie Schüppchen im Sandkasten und die Erzählungen vom ersten Kuss teilten, kennen sie im Laufe der Jahre immer weniger Menschen, die sie als Freunde bezeichnen würden. Nur 20 Prozent der über 60-Jährigen meinen, viele gute Freunde zu haben, so ein Ergebnis einer Allensbach-Studie. Bei den 14- bis 17-Jährigen sind es dagegen 47 Prozent. Ist es wirklich Glückssache, einen neuen guten Freund zu finden, wie es Hannelore Elsner vermutet? Oder warum tun sich viele Erwachsene schwerer als die meisten Kinder, neue Freundschaften zu schließen? Schließlich geben sie Halt und tragen entscheidend dazu bei, sich nicht einsam, sondern lebendig zu fühlen.

„Im Erwachsenenalter, das beklagen viele, kommen oftmals nur noch ,gute Bekannte’ hinzu, selten echte Freunde“, schreibt auch der Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Martin Hecht in seinem Buch „Wahre Freunde“. Aber was sind Freunde überhaupt? Eine Vorstellung davon hat jeder, und doch sind die Grenzen fließend zwischen Kollegen und Kameraden, Freunden und besten Freunden. „Hallo Lieblingsmensch!“, sang Namika im letzten Sommer: „Ein Riesenkompliment, dafür dass du mich so gut kennst. Bei dir kann ich ich sein, verträumt und verrückt sein.“ Die Sängerin traf mit dem Lied den Nerv vieler Menschen, die entweder dankbar sind für einen Lieblingsmenschen – oder sich genau solch einen an ihrer Seite wünschen. Zugleich besingt sie die wichtigste Voraussetzung für eine Freundschaft: „Man muss dem anderen vertrauen können“, betont auch Horst Heidbrink, Freundschaftsforscher und Lehrbeauftragter an der Fern-Uni Hagen.

Dr. Horst Heidbrink, Psychologe und Lehrbeauftragter am Institut für Psychologie der Fernuniversität in Hagen.
Dr. Horst Heidbrink, Psychologe und Lehrbeauftragter am Institut für Psychologie der Fernuniversität in Hagen. © privat / Fernuniversität Hagen

Im Gegensatz zu Verwandten wird man in diese sozialen Beziehungen nicht hineingeboren. Freundschaften sind freiwillig und langfristig, nennt der Psychologe weitere Merkmale. „Beide müssen in dieser Beziehung auch etwas Positives sehen, meist verfolgen sie gemeinsame Interessen. Dabei muss ich nicht jedes Hobby mit einem Freund teilen, auch nicht jede Einstellung. Aber wir müssen eine ausreichend große Schnittmenge an Gemeinsamkeiten haben.“ Zudem sei es bedeutend, dass beide gleichberechtigt sind, die Balance zwischen Geben und Nehmen auf lange Sicht stimmt. „Obwohl sich das nach Zweckgemeinschaft anhört, ist das wichtig. Wenn ich immer nur gebe, fühle ich mich irgendwann ausgenutzt. Und wenn ich immer nur nehme, stehe ich in der Schuld des Freundes. Fällt es schwer, das auszugleichen, kann eine Freundschaft aus der Balance geraten.“

Wir suchen uns gleichaltrige Freunde

Ob man Freunde gewinnt oder behält, hängt auch von der Lebenssituation ab. „Wenn ich in der Schule bin, im Studium, habe ich automatisch Kontakt zu ganz vielen Leuten, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie ähnliche Interessen haben wie ich, sehr groß ist, da sie sich in derselben Lebenssituation befinden.“ Später wird es schwieriger, Freundschaften zu schließen. In einer Firma trifft man zwar auf Kollegen, aber die sind nicht immer im gleichen Alter. „Wir gehen automatisch davon aus, dass die Menschen, die uns ähnlich sind, im Geschlecht, im Aussehen, im Alter, ähnliche Interessen haben. Deswegen suchen wir ihre Gemeinschaft“, sagt der 65-Jährige. Und deshalb liegen auch zwischen zwei Freunden selten zwanzig Jahre Altersunterschied, obwohl es ganz real zum Beispiel zwischen einigen 40- und 60-Jährigen große Gemeinsamkeiten gibt.

Männer reden nicht immer über alles. Ihre Freundschaft zeichnet sich oft dadurch aus, dass sie einfach zusammen sind.
Männer reden nicht immer über alles. Ihre Freundschaft zeichnet sich oft dadurch aus, dass sie einfach zusammen sind. © Getty Images/iStockphoto

Viele Menschen schaffen es, Freundschaften aus der Jugend über Jahrzehnte aufrecht zu erhalten. Laut Allensbach-Studie glauben zwei Drittel der Befragten, dass es „Freunde fürs Leben“ gibt. Aber nicht immer gelingt es. Wenn zum Beispiel ein Freund eine Familie gründet, der andere aber Single bleibt. Die gemeinsamen Unternehmungen werden weniger. Die Zeit zur Freundschaftspflege fehlt, das Verständnis für die Lebenssituation des anderen ebenfalls. Und dann sagt man irgendwann: „Wir haben uns aus den Augen verloren.“

Denn nur selten, wenn nicht ein Vertrauensbruch vorliegt, enden Freundschaften im großen Streit. „Wir haben alle Ex-Freunde und Ex-Freundinnen“, so Horst Heidbrink. Das gehöre zum Leben dazu.

Kinder gefährden und fördern Freundschaften

Eigene Kinder spielen bei Freundschaften zwischen Erwachsenen eine bedeutende Rolle. Sie können alte Kameradschaften ins Wanken bringen – aber auch neue ermöglichen. „Wenn ich ein kleines Kind in die Kita gebe, sind dort viele Eltern, von denen ich weiß, dass sie ganz ähnliche Probleme haben“, so Heidbrink. „Da bilden sich natürlich relativ schnell Freundschaften.“ Auch wenn diese zunächst vielleicht nur Zweckfreundschaften seien, weil man sich gegenseitig hilft und unterstützt, könne daraus eine richtige Freundschaft entstehen, die den Kindergarten der Kleinen überlebt.

„Familie mit Kindern sucht Gleichgesinnte“, schreiben Eltern auf der Internetseite „50plus-Treff“ und hoffen auf Kontakt in Essen und Umgebung. Die Eltern von einem elfjährigen Sohn und einer fünfjährigen Tochter sind selbst 52 und 56 Jahre alt. „Es ist manchmal schwierig, als ältere Eltern Anschluss zu finden“, schreiben sie. In ihrem Alter haben schließlich nicht mehr viele Menschen kleine Kinder.

Die verschiedenen Lebensläufe machen es schwerer

Die einen bekommen mit Anfang 20 Nachwuchs, die anderen mit über 40 – und wieder andere möchten gar keinen. Viele Menschen leben in Familien, andere als Alleinerziehende. Die einen müssen beruflich den Wohnort wechseln, die anderen fangen mit Mitte 40 eine neue Ausbildung an. Die Lebensläufe sind heute so unterschiedlich wie nie – und das macht es schwierig, Kontakte zu halten und neue Freunde zu gewinnen.

Damit eine Freundschaft entsteht, muss man etwas von sich preisgeben und so Nähe schaffen. Das fällt Erwachsenen schwer, wenn sie enttäuscht wurden. Heidbrink: „Wenn wir uns öffnen, erwarten wir, dass der andere nachzieht, damit die Balance zwischen Geben und Nehmen gewahrt bleibt. Wenn das aber beide nicht machen, bucht man zwar zusammen Busreisen, siezt sich aber bis zum Ende des Lebens, weil die Beziehung nicht enger wird.“

Erwachsene, denen Freundschaft gelingt, achten oft mehr als Jugendliche auf Qualität als auf Quantität. Ein guter Freund reicht ihnen zum Glücklichsein. „Das Wichtige ist, dass wir subjektiv nicht das Gefühl von Einsamkeit haben“, sagt Heidbrink. „Wenn ich in einer Partnerschaft lebe und eine große Familie habe, brauche ich vielleicht auch gar nicht so viele Freunde.“ Anders sieht es bei kinderlosen Singles aus, wie die Allensbach-Studie zeigt. Sie räumen Freunden einen viel höheren Stellenwert ein als es Paare oder Eltern tun. Da es immer mehr Singles gibt, wird der Bedarf nach Freunden größer. Auch nach Lebensumbrüchen wächst der Wunsch nach Vertrauten: nach einer Scheidung, wenn die Kinder aus dem Haus sind oder, wenn der beste Freund stirbt.

Freunde bis ins hohe Alter

Dabei spricht nichts dagegen, dass man bis ins hohe Alter und auch noch im Seniorenheim einen neuen Freund gewinnt, betont Heidbrink. „Allerdings muss ich bereit sein, mich mit den Eigenarten von anderen, die mit dem Alter auch nicht weniger werden, zu arrangieren.“ Die ideale Freundin oder den idealen Freund gebe es meist nicht. „Am besten geht man da hin, wo etwas stattfindet, was einen selber interessiert. Also nicht ins Theater, wenn man dazu eigentlich keine Lust hat. Da wird man in der Pause keine Leute kennenlernen, mit denen man letztlich Freundschaft schließen kann.“ Und man muss bereit sein zu Small-Talk, denn nur so könne man feststellen, ob man überhaupt Gemeinsamkeiten hat. Oft trauen sich Menschen nicht, auf den anderen weiter zuzugehen, da sie Angst davor haben, zurückgewiesen zu werden. Doch Autor Martin Hecht betont: „Ob aus Menschen, die sich zugeneigt sind, auch wahre Freunde werden können, darüber entscheidet fast immer der Mut, einmal den Schritt aus der Unverbindlichkeit zu tun.“

* Weiterlesen: Ute Karen Seggelke: Freundinnen. Gerstenberg, 240 S., 19,95 €;
Martin Hecht: Wahre Freunde, Herder, 238 S., 9,99 €