Das neue Vatikan-Schreiben stößt auf massive Kritik in Essener Gemeinden und Verbänden. Das Engagement von Laien würde herabgewürdigt, heißt es.

Es rumort kräftig in den katholischen Gemeinden und Verbänden im Bistum Essen. Anlass ist ein Papier aus Rom, dessen Titel für die meisten Gläubigen ebenso sperrig daherkommt wie sein Inhalt. Am Wochenende sorgte der Vatikan-Brief einmal mehr für Diskussionsstoff.

„Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ heißt die verschwurbelt anmutende Überschrift eines Dokuments, das Katholiken (Kirchen-)Wände hochgehen lässt. Nachdem bereits in der vergangenen Woche der Essener Bischof Overbeck sein Befremden über das 36-seitige Schreiben zum Ausdruck gebracht hatte, reißen die kritischen Stimmen nicht ab.

Sorge um die Folgen für die örtliche Gemeindearbeit

Jugendverbände sprechen von „herber Enttäuschung“

Als „eine herbe Enttäuschung“ bezeichnet Christian Toussaint, Vorsitzender des BDKJ-Diözesanverbandes (Bund der Deutschen Katholischen Jugend), das Vatikan-Papier. Am Wochenende habe die B undesversammlung getagt und das Dokument scharf kritisiert. Wenn jetzt wieder die Hierarchie in der Kirche betont werde, würden die vielen Engagierten demotiviert, heißt es in dem Text. Das Schreiben aus Rom lasse für vielen Menschen die Kirche noch unglaubwürdiger erscheinen. Was gebraucht werde seien Mitwirkungsmöglichkeiten und vor allem sei es erforderlich, die Gläubigen ernst zu nehmen.

Nach Ansicht von Christoph Lammerding, Vorsitzender des Essener Kolpingverbandes, ist es dringend an der Zeit, den den Dialog zwischen Rom und der Kirche in Deutschland zu verbessern. Das Papier bestehe an vielen Stellen aus Wunschdenken und bilde keineswegs die Realität ab.

Unter den deutschen Bischöfen hat das Schreiben aus Rom ein unterschiedliches Echo ausgelöst. Während die Oberhirten aus Essen, Bamberg oder Osnabrück deutliche Kritik übten, fand es auch Zustimmung, beispielsweise durch den Kölner Kardinal Wölki. Er versteht das Schreiben als eine Ermutigung für die Kirche.

Der Vatikan erweise den örtlichen Gemeinden einen Bärendienst, bemängelt Andreas Schellhase. Der Diözesansekretär der KAB (Katholische Arbeitnehmerbewegung) wehrt sich vehement dagegen, dass Rom funktionierende Strukturen in Zweifel ziehe und das Engagement von Laien abwerte.

Denn das Schreiben beinhalte Aussagen, wonach Laien von der Gemeindeleitung ausgeschlossen bleiben sollen. Ferner werde, so Schellhase, auch dem Pfarrer eine solch herausragende Rolle zugeschrieben, dass Gemeindemitglieder als Gläubige zweiter Klasse erscheinen würden. „Das ist ein fatales Signal, vor allem auch für die vielen Menschen, die sich in der Kirche ehrenamtlich engagieren“. Das Papier lasse letztlich demokratische Strukturen vermissen, die in einer auf die Zukunft ausgerichteten Kirche dringend notwendig seien, so Schellhase. „Bei uns hat das Schreiben Ratlosigkeit und Kopfschütteln“ ausgelöst, so der Sekretär.

Von ähnlichen Reaktionen berichtet Klaudia Rudersdorf, in Essen lebende stellvertretende Bundesvorsitzende des Kolpingverbandes. Ein solches Schreiben mache regelrecht „wütend“, sei ein regelrechter Rückschritt. Gerade erst habe der sogenannte synodale Weg begonnen. Der besage, dass man gemeinschaftlich Antworten auf die Fragen der Zeit geben und Zukunftsperspektiven entwickeln wolle. Doch nun rudere Rom offensichtlich zurück und gehe zugleich vollkommen an der Wirklichkeit vorbei. Das Leben in der Gemeinde werde von Laien getragen, ebenso gebe es bereits Gemeindeleiterinnen und -leiter, die keine Priester seien.

Bischof Franz-Josef Overbeck kritisiert das Schreiben aus Rom.
Bischof Franz-Josef Overbeck kritisiert das Schreiben aus Rom. © FFS | Socrates Tassos

Dass Gemeinden nicht mehr zusammengelegt werden dürfen, wie es das Schreiben vorsieht, sei ebenso lebensfern. Angesichts des enormen Priestermangels bleibe doch bezüglich solcher Schritte überhaupt keine andere Wahl, insbesondere wenn nur Pfarrer an der Spitze stehen sollen.

Ehrenamtliche befürchten weitere Kirchenaustritte

Darüber hinaus fürchtet Rudersdorf, dass die vielen engagierten Gläubigen sich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn ihre Arbeit und ihr Einsatz nicht zur Geltung kommen. Daher sei sie sehr froh, dass Bischof Overbeck klare Worte gefunden habe, in dem er das „große Engagement vieler Frauen und Männer, die ehrenamtlich wie hauptberuflich“ mitarbeiten würden, herausgestellt habe. Overbeck hatte auch betont, man müsse sich von einem Klerikalismus verabschieden, der nicht zuletzt nach Missbrauchsskandalen keine Akzeptanz mehr finden dürfe.

Martina Stodt-Serve, Gemeindeleiterin von St. Andreas in Rüttenscheid, begrüßt die Aussagen des Essener Bischofs.
Martina Stodt-Serve, Gemeindeleiterin von St. Andreas in Rüttenscheid, begrüßt die Aussagen des Essener Bischofs. © FFS | Kerstin Kokoska

Bei Wolfgang Hofemeister, Vorsitzender des St. Andreas-Gemeinderates (Rüttenscheid) ist der Brief auf Unverständnis gestoßen. Er empfinde ihn als absolut kontraproduktiv und es lasse sich auch nicht nachvollziehen, was Rom damit eigentlich bezwecken wolle. Als Hofemeister sich nach dem Sonntagsgottesdienst äußert, steht in unmittelbarer Nähe Marlene Ostermann (81), Leiterin einer Frauengruppe. Wieder einmal nehme der Vatikan nicht zur Kenntnis, dass das Gemeindeleben maßgeblich von Frauen getragen werde, ärgert sie sich. Es sei einfach „schlimm“, dass das Papier nichts von einer weltoffenen Kirche spüren lasse. Aus ihrer Sorge macht sie keinen Hehl: „Jetzt werden viele ihr Päckchen nehmen und gehen“.

Wie man das Papier zu bewerten habe, darüber diskutieren auch die Pfarrer im Bistum ebenso wie Gemeindereferenten. Nach der Kritik der Bistumsleitung sollen auch die Hauptberuflichen auf Distanz zu dem Schreiben aus Rom gegangen sein. Martina Stodt-Serve, Leiterin der Rüttenscheider St. Andreas-Gemeinde erklärte, dass auch viele ihre Amtskolleginnen sehr froh seien über die klaren und eindeutigen Worte des Bischofs.