Oberhausen. Bunte Drachen am Herbsthimmel! Erwachsene Piloten drehen mit gebastelten Ein- bis Vierleinern luftige Runden. Und sogar für einen guten Zweck.

An Sonntagen ist der graue Herbsthimmel über Haus Ripshorst in Oberhausen bisweilen fröhlich bunt. Dann sind Drachenflieger aus ganz NRW auf der Wiese neben dem historischen Gutshof – vom Hobby-Bauer bis zum wettkampfambitionierten Drachenpiloten.

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Regen und Wind sind die Gegner der Drachensportler beim Traum vom perfekten Fliegen. Der Luftqualle ist’s egal.
Regen und Wind sind die Gegner der Drachensportler beim Traum vom perfekten Fliegen. Der Luftqualle ist’s egal. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Gut 40 Ein- bis Vierleiner in allen Farben und Größen drehen am ehemaligen Rittergut südlich des Rhein-Herne-Kanals ihre luftigen Runden. Am anderen Ende der Schnüre stehen keine Kinder, sondern erwachsene Männer. Und einige Frauen. Richard Schubert aus Kempen begeistert sich seit jeher für Drachen. Mit einem ersten Bauwerk am Küchentisch – wobei sich der Kleber zum Ärger der Mutter über die Decke ergoss – kam er als Junge zum Hobby. Vor 25 Jahren hat es der nunmehr 70-Jährige neu entdeckt und weiter gepflegt. Mehr noch: Als Vereinsvorsitzender von „Eddy hilft“ engagiert er sich mit Drachenfreunden seit 2012 für sozialschwache Kinder. „Wir helfen, wo wir können. Mit einem Paar neuer Schuhe, Nachhilfestunden oder einem Zuschuss für einen lang ersehnten Ausflug.“

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Gerade in Corona-Zeiten ist dieses herbstliche Hobby an der frischen Luft natürlich besonders angesagt.

Riesenquallen und aufgeblasene Pinguine

Aus dem Bergischen ist Jürgen Knecht mit 25 Riesenquallen im Opel Zafira am Vormittag zur „Ripse“ gekommen. Von Weitem schon leuchten seine „Jellyfishes“ mit den Kugelkörpern von 40 bis 80 cm Durchmessern. Die farbenfrohen Windspiele hat der 66-jährige Solinger selbst entworfen und an der Maschine genäht. Mit Bodenankern sind sie an fünf bis sieben Meter hohen Angelstäben sicher befestigt. Die Tentakel aus ultraleichtem Hightech-Gewebe flattern lustig im Wind und locken Spaziergänger an, die dem Spektakel zusehen. Eine Gruppe aufgeblasener Pinguine grüßt aus der hinteren Reihe und wiegt sich in Böen leichtfüßig im Wind. „Das ist heute fast wie bei einem Drachenfest“, freut sich Knecht und blickt zufrieden über die Wiese. Schubert nickt: „Wegen Corona wurden ja fast alle größeren Events abgesagt.“

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Weiter hinten bei den Vierleinern steht Stephan Jänsler. Der Essener Installateurmeister ist mit Sohn Lars zum Team-Flug in Oberhausen. „Man trifft und findet sich“, erklärt der 18-Jährige. Zu fünft fliegen die Männer nebeneinander, den kalten Wind im Nacken. Sie blicken in eine Richtung und bewegen ihre Drachen vom US-Modell „Revolution“ – Spannweite 2,30 Meter – auf Kommando. Der „Caller“ rechts außen, ein Sauerländer mit dunkler Sonnenbrille, wirkt voll konzentriert. „Into the ball“ bestimmt er in internationaler Drachensprache. Die Gruppe fliegt darauf synchron in ein gemeinsames Windfenster, beschreibt so gut es geht, mit den eckigen „Revs“ einen Kreis. Mal rechts-, mal linksherum dreht sich die Formation am Himmel. Am Ende haben alle Drachen ihre Ausgangsposition erreicht. Und sich bestenfalls nicht ineinander verheddert.

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Lass mich dein Pirat sein – nicht nur zu Halloween und auf St. Pauli ein Klassiker: der Totenkopf.
Lass mich dein Pirat sein – nicht nur zu Halloween und auf St. Pauli ein Klassiker: der Totenkopf. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Mit anderthalb bis zwei Beaufort an diesem Sonntag ist Lars Jänsler zufrieden. Auch wenn die eher leichte Brise nicht konstant ist. „Für Revierverhältnisse reicht’s. Vor zwei Wochen waren wir in Witten und bald geht es hoffentlich wieder an die Nordsee“, fügt Stephan Jänsler hinzu. Ein Traum, wenn der Wind vom Wasser kommt. Der 53-Jährige hat sein Hightech-Fluggerät immer im Montagewagen. Nach Feierabend trifft man ihn derzeit häufig auf den Düsseldorfer Rheinwiesen in der Nähe seiner Baustelle. Je nach Windstärke wechselt er die Stäbe: leichte, mittlere oder schwere. Geflogen wird der Vierleiner nicht aus der Hand oder von der Rolle, sondern über „Handles“: Griffe aus rostfreiem Stahl, erhältlich in mehreren Größen und Ausführungen.

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Angelika Schwarz aus Dinslaken fliegt verschiedene Drachen und mag die luftigen Sonntage mit Freunden bei Kaffee und Kuchen. Die 62-jährige engagiert sich seit drei Jahren bei „Eddy hilft“. Gern fährt sie fürs liebste Hobby zur Halde Norddeutschland in Neukirchen-Vluyn, wo die Wiese an der Himmelstreppe lockt. Wie das Haldenereignis Emscherblick, kurz Tetraeder, in Bottrop-Batenbrock. Hauptsache, man sieht sich. Verabredungen erfolgen meist kurzfristig über soziale Medien. Nach dem Blick in die Wetter- und „Windfinder“-App.

Ein Windhauch reicht

Klaus Kosche (65), der die Pinguine entworfen hat, hat seinen japanischen Kampfdrachen auf der Wiese ausgepackt. Der schwarze Sanjo-Rokkaku mit dem saisonalen Kürbis-Motiv misst gut zwei Meter Höhe und ist sechseckig. Ein gerader Längsstab und zwei gebogene Querstäbe bilden seinen Rahmen. Früher nahm man Bambus, das Segel war aus Japanpapier. Heute greift die Szene zu Kohlefaser und Spinnaker. Kosche zupft leicht an der gespannten Leine. Ein Windhauch reicht. Der Drache steigt brav in die Lüfte. Auf der Leine hat der Pilot 40 bis 50 Meter Schnur – er fliegt den Asia-Klassiker locker aus der Hand.

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Ziiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeeeeeehhhhhhhhhhh!!!!!!!!!
Ziiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeeeeeehhhhhhhhhhh!!!!!!!!! © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Wie an einem Gleitschirm hängt die WDR-Maus an Richard Schuberts Flugobjekt. Ein echter Hingucker vor der grauen Wolkenkulisse und ebenfalls selbst designt und handgefertigt. Der Mann hat Spaß, keine Frage. Drachenfliegen sei eben keine Frage des Alters, findet der Vereinsvorsitzende von „Eddy hilft“. Dass man wegen Corona in diesem Jahr keine Workshops veranstalten konnte, bedauert er. Sonst basteln die Profis mit Kindern einfache Foliendrachen aus Pappschablonen, Schere und Klebeband. „Der schnellste dauert fünf Minuten“, sagt Vizevorsitzender Jürgen Knecht. Das Interesse sei groß. „Da ist die Schlange vor unserem Zelt so lang wie Freitagabend an der Supermarktkasse.“

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Nun hoffen alle auf 2021 mit größeren Festen und Treffen in ganz NRW – von Attendorn, Kamen, Lünen, Menden bis Neuenrade und Oberhausen. Auf „Zeche Consol“ in Gelsenkirchen-Bismarck wollen sie das Nikolausfliegen am 5. Dezember starten. Da steht auch Walter Höhnen wieder an der Leine. Der 85-Jährige aus Düsseldorf freut sich nicht zuletzt auf die leckere Currywurst im Ruhr-Flug-Revier.

Bunte Drachen und Windspiele als leicht identifizierbare Flugobjekte.
Bunte Drachen und Windspiele als leicht identifizierbare Flugobjekte. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Eddy hilft

Der Verein „Eddy hilft“ wurde 2010 in Krefeld gegründet. Der Gedanke entstand auf einem Drachenfest. Ziel ist es, Kinder aus sozial schwachen Familien zu unterstützen. Die Mitglieder besuchen Drachenfeste in ganz NRW. Auch in Zeiten von Corona ist „Eddy hilft“ gegen Kinderarmut im Einsatz. Wer die Organisation mit Sitz in Kempen unterstützen möchte, findet Infos unter eddyhilft.com

Der Vereinsvorsitzende Richard Schubert.
Der Vereinsvorsitzende Richard Schubert. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Es werden neben Geld- auch Sachspenden angenommen, gern in Form von gut erhaltenen, nicht mehr benötigten Drachen. Sie werden auf Veranstaltungen verkauft, der Erlös fließt in die Spendenkasse. Kontakt: info@eddyhilft.com