Essen. Die Schweizer Journalistin Gisela Feuz hat eine Tour zu ausgewählten Städten mit UNESCO-Welterbe gemacht. Den Sympathiebonus gibt sie Essen.

Eigentlich. . . So viele Geschichten fangen in dem Corona-Jahr mit diesem Wort an: eigentlich. Danach geht es immer um Pläne, die wegen der Pandemie umgeworfen werden – und oft um überraschende Wendungen. So beginnt auch diese Geschichte mit dem Wort: eigentlich.

Eigentlich wollte Gisela Feuz in die USA reisen. Die Schweizer Journalistin und Moderatorin änderte aber wegen Corona ihr Ziel und fuhr kurzerhand mit der Bahn in den 27. Kanton – wie man scherzhaft in ihrer Heimat Deutschland nennt, quasi als ein weiteres Schweizer Bundesland.

Erinnerungsfoto: Gisela Feuz vor dem Zollverein-Förderturm.
Erinnerungsfoto: Gisela Feuz vor dem Zollverein-Förderturm. © privat | Achim Reisdorf

Städte wie Berlin, München, Köln ließ die 45-Jährige links liegen, wie sie am Telefon erzählt: „Von Augsburg bin ich nach Heidelberg gefahren, von da nach Trier, von Trier nach Essen, von Essen nach Hamburg, von da nach Lübeck und dann nach Stralsund.“ Der gemeinsame Nenner dieser Städte: Es sind allesamt Orte, die ein UNESCO-Welterbe vorweisen können. Oder die sich zumindest wie Heidelberg redlich um diese Auszeichnung bemüht haben. Sie blieb meist zwei Tage an einem Ort. Zurück in Zürich verkündete Gisela Feuz in der Zeitung „Der Bund“: „Beim Städte-Familienfest gewinnt das deutsche Essen den Sympathiebonus.“

Ja, richtig gelesen: Essen! „Die anderen Städte sind alle wahnsinnig malerisch, idyllisch, romantisch, backsteingotisch, amphietheatrig, hafenpromenadig schön“, schreibt Gisela Feuz in der Kolumne „Der Poller“, die auch online zu lesen ist. Essen hat eigentlich „nicht die besten Voraussetzungen, um ein Schönheitsköniginnenkrönchen abzuholen.“ Trotzdem hat Gisela Feuz’ Herz am schnellsten in Essen geschlagen.

In ihrem mit viel Humor und Biss geschriebenen Beitrag stellt sie sich die Städte als Menschen vor, die zusammen ein Familienfest feiern. Da wäre zum Beispiel Cousin „Heidelberg“: „ein properer Literaturstudent, der gerne gescheit schwatzt, nach dem dritten Bier strunzblau ist und mit den Worten ,Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust’ versucht, die Servierdüse anzugraben.“ Oder Urgroßmutter „Trier“: „eine emeritierte Professorin für römische Geschichte, die gerne Schnürsandalen trägt und nach einem halben Glas Moselriesling am Tisch einschläft.“

Keine Scheu, sich die Hände schmutzig zu machen

Dort sitzt auch „Essen“, der Bruder im Shirt einer alten Metal-Band, dem das eigene Aussehen „scheißegal“ ist, der keine Scheu hat, sich die Hände schmutzig zu machen, der sich traut, dem schöngeistigen Schwafler „Heidelberg“ die Stirn zu bieten, er solle mal endlich die Klappe halten. Und genau mit diesem Bruder würde Gisela Feuz, Sängerin einer Rockband, dann gerne noch einen Absacker in der Pommesbude nebenan trinken.

„Ich war zuvor noch nie im Ruhrpott. Man hört ja immer von diesen ganzen Fußballclubs in der Region, aber ich habe es ansonsten überhaupt nicht gekannt“, erzählt sie. Es war auch nicht abzusehen, dass sie so positiv empfinden wird, als sie am Essener Bahnhof aus dem Zug steigt und den Titel liest – oder errät: „Einkaufsstadt“. „Wobei deine Beton-Konsumtempel seelenloser nicht sein könnten“, schreibt sie später in der Kolumne kritisch und denkt dabei an den Limbecker Platz. Beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg habe man in der Innenstadt „geschlampt“. Auch im Gespräch sagt sie: „Man hätte die Stadt mit mehr Bedacht fürs Ortsbild wieder aufbauen können.“

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Aber wenn sie Essen doch so hässlich findet, warum mag sie die Stadt eigentlich? „Es ist ja sehr subjektiv, ob einem eine Stadt gefällt“, sagt sie. „Und manchmal hat das auch gar nichts mit der Stadt zu tun, sondern mit den Leuten. Und es gab halt so kleine Begegnungen.“ Dann erzählt sie vom Open-Air-Kino der Lichtburg am Dom, wo sie am 12. August den Film „The Climb“ gesehen hat und neben einer ihr fremden Zuschauerin saß. „Diese Frau hat so lustig gelacht und immer an den gleichen Stellen wie ich. Und sie hatte ein herzliches, aus-dem-Bauch-heraus-Lachen. Das war eine schöne Begegnung.“

Was zählt, sind die kleinen Begegnungen

Oder am nächsten Tag, ihr Besuch beim UNESCO-Welterbe – auf Zollverein. Da fragte eine andere Frau, die sie zuvor nur an der Kasse des Ruhr Museums gesehen hatte, am Ende einer Führung: Wie hat es Ihnen gefallen? „Dieses Angesprochenwerden, dieses Direkte mochte ich sehr, auch das Interessiertsein.“ Sie spüre, dass die Menschen die Bergbau-Tradition leben würden: Es ist egal, woher du kommst. Am Ende muss man sich aufeinander verlassen können. „Es gibt da keinen Dünkel.“

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Vor allem hat sie aber eines in Essen begeistert: die Zeche Zollverein. „Ich schau mir Industrieanlagen extrem gerne an, weil sie eine tolle Ästhetik haben.“ Auch auf ihrer USA-Reise hätte sie sich eigentlich die Automobilstadt Detroit angesehen und die dort aufgegebenen Produktionsstätte. Sie mag diese Industrie-Ruinen, wenn die Natur sich das Ganze wieder zurückholt. „Wobei Zollverein ja gut erhalten ist“, sagt Gisela Feuz.

Die zwei Tage waren eigentlich zu kurz, um die Region zu erkunden. Sie überlegt, wiederzukommen, schließlich gebe es ja noch mehr stillgelegte Zechen. „Schöne Städte sind toll, die sieht man sich gerne an, aber irgendwann hatte ich eine ,Überdosis’ an Backsteingotik und Renaissance-Schnörkel: Aber Zeche Zollverein, da denke ich heute noch zurück und denke: Wow!“