Essen. Angst, Hass, Euphorie, Lust: Hormone halten im Körper zig Fäden in der Hand – auch bei Corona. Können sie als Nasenspray sogar glücklich machen?

Sind sie es, die uns tagtäglich steuern? Botenstoffe als geheime Macht, die unsere Ängste, Gefühle und Erregungen befehligen? In der Tat. Ohne die tägliche Dosis der verschiedensten Hormone würden wir nicht funktionieren. So wie im Frühling und Sommer, wenn mehr Sonnenlicht auf unsere Haut kommt und für Endorphin im Körper sorgt – ein Botenstoff, der auch als Schmerzstiller bekannt ist – gleichzeitig bei längerem Tageslicht das Schlafhormon Melatonin reduziert wird und wir uns aktiver fühlen. „Genau genommen gibt es fast nichts, was Hormone nicht tun. Sie managen unsere Knochenqualität, unsere Sehkraft, unsere Erregung und den ganz privaten Wasserkreislauf, sie sorgen dafür, dass Herz und Lunge im Takt arbeiten, dass Immunsystem und Verdauung immer bereitstehen und dass Ihre Arme gleich lang sind, ohne dass Sie sie jeden Morgen zweifelnd nebeneinanderhalten mussten (das Wachstumshormon lässt grüßen)“, schreibt Neurowissenschaftlerin Franca Parianen in ihrem aktuellen Buch: „Hormongesteuert ist wenigstens selbstbestimmt“.

Doch wie komplex die biochemischen Botenstoffe wirken, ist nicht jedem bekannt. „Warum wird die Kaulquappe zum Frosch? Wegen eines Schilddrüsenhormons. Und selbst in Schnecken findet sich Insulin. Die Hauptwirkung der rund 30 bekannten klassischen Hormone kennen wir, die weiteren Wirkungen beginnen wir erst zunehmend zu begreifen“, sagt Helmut Schatz aus Bochum, Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Zu den endokrinen Drüsen gehören die Zirbeldrüse und Hypophyse im Gehirn, Schild- und Nebenschilddrüse, Thymusdrüse, Nebennieren, Epithelkörperchen und die Bauchspeicheldrüse.

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Rund 100 Hormone kennen Experten, die im Körper wirken. Man geht aber von weit mehr aus. Und weil sie in unserem Körper so eine große Rolle spielen, könnten sie mit ein Grund dafür zu sein, warum Männer öfter an den Folgen der Covid-19-Erkrankung versterben als Frauen. „Es ist so, dass Frauen mit den meisten viralen Infektionen besser zurechtkommen als Männer. Sie haben die Fähigkeit, eine schnellere Immunantwort aufzubauen und die Vermehrung von Viren besser zu kontrollieren. Das liegt auch an den Hormonen, denn während das weibliche Hormon Östrogen das Immunsystem stimulieren kann, hat das männliche Hormon Testosteron genau den gegenteiligen Effekt. Es ist antientzündlich und kann die Immunantwort unterdrücken“, erklärt Marcus Altfeld, Direktor des Instituts für Immunologe am Uniklinikum Eppendorf.

Stimmungswechsel: Es kann nicht nur an äußeren Umständen liegen, sondern schlicht auch an den Hormonen – wie so vieles mehr im Körper.
Stimmungswechsel: Es kann nicht nur an äußeren Umständen liegen, sondern schlicht auch an den Hormonen – wie so vieles mehr im Körper. © Getty Images/ | dinachi

Weil diese neuronalen Botenstoffe aber auch Glücksgefühle auslösen, unser Schmerzempfinden dämpfen oder unseren Hunger beeinflussen, wäre es so schön, wenn wir uns die Glücksstoffe mit der Nahrung verabreichen könnten. Doch die ­Opiodpeptide oder „körpereigenen Drogen“ bildet der menschliche Organismus selbst. Dazu gehört Serotonin, das vielfältige Wirkungen auf das Nerven-, das Herz-Kreislaufsystem sowie auf den Magen-Darm-Trakt besitzt. Es spielt bei vielen Vorgängen im Körper mit, aber bekannt ist es für seine Wirkung auf die Stimmungslage. Es kann für Gelassenheit, innere Ruhe und Zufriedenheit sorgen und Angstzustände sowie Aggressivität verringern. Können wir uns dieses Hormon über entsprechende Lebensmittel zuführen? Weil Serotonin über den Darm und den Blutkreislauf nicht ins Gehirn gelangen kann (und nur dort wirkt es), setzt man auf die Aminosäure Tryptophan. Aus ihr stellen die Nervenzellen im Gehirn ihr eigenes Serotonin her. „Mit mehr Tryptophan im Gehirn erreiche ich mitunter einen harmonischeren Zustand. Allerdings gelangt es wiederum nur in Verbindung mit Fett oder Zucker ins Gehirn“, erklärt Gerald Hüther, Neurobiologe. Ob nun die Menge Tryptophan in der Schokolade, dem Käse oder der Dattel ausreicht, um eine physiologische Wirkung im Gehirn zu erzeugen, scheint nicht hundertprozentig bewiesen.

Was die Wirkung von Schokolade betrifft, spielt gemäß Forschern des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln auch die psychologische Komponente eine Rolle. Denn zu den „Stimmungshormonen“ zählt auch Dopamin. Es sorgt für unseren Antrieb, geistige Leistungsfähigkeit und Motivation. Aber auch Belohnung. Sie fanden heraus, dass unser Magen-Darm-Trakt im ständigen Austausch mit dem Gehirn steht und per Belohnungsreiz das Verlangen nach Essen kontrolliert. Eigentlich sollten Energieverbrauch und Nahrungsaufnahme im Gleichgewicht stehen. Und wenn die Belohnungssignale, so die Wissenschaftler, stärker seien als das Gleichgewichtssignal, würden wir mehr essen als notwendig. Und da kommen wir wieder auf die Schokolade. Sie kann Einfluss auf den Dopaminlevel nehmen. Da wir sie meistens zum Trost, aus Frust oder zur Belohnung essen, erinnert sich das „Belohnungssystem“ im Gehirn und der Botenstoff Dopamin wird dann freigesetzt.

Oxytocin könnte bei Autismus helfen

Eines der Lieblingshormone unter den Glücksbotenstoffen ist das Oxytocin – „Kuschelhormon“ genannt. Es wird im Zwischenhirn vom Hypothalamus gebildet und spielt bei der Geburt, dem Stillen und der mütterlichen Bindung eine Rolle. Da dieses Hormon auch bei Umarmungen, Zärtlichkeiten sowie beim Orgasmus freigesetzt wird, ist das Interesse daran groß. Manches Unternehmen verkauft den Glücksstoff als Nasenspray. Das Hormon schwächt die Aktivität und die Verbindungen angstverarbeitender Schaltkreise im Gehirn und schafft die Basis für Vertrauen.

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„Oxytocin ist wichtig für unser Sozialverhalten. Die Hoffnung ist, dass es bei sozialen Störungen – ganz vorne Autismus – in Kombination mit Verhaltenstherapie therapeutische Wirkung haben könnte“, sagt Markus Heinrichs vom Institut für Psychologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Doch davon ist man noch weit entfernt. Daher rät er unbedingt davon ab, Nasenspray im Internet zu kaufen, das angeblich Oxytocin beinhalten soll.

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„Wenn wir den Hormonen lange genug bei ihrer Arbeit zugucken, gehen uns wahrscheinlich eine ganze Menge Lichter auf: über unseren Alltag, über uns selbst und über die Art, wie unsere Erfahrungen uns formen… Einen Großteil dessen, was wir sind, haben die Hormone gestaltet“, schreibt Parianen.

Was Hormone mit Leistungsdruck zu tun haben

Wo schaut man nach, wenn man wissen will, wie gestresst jemand wirklich ist? An den Haaransätzen! Forscher der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Bern nahmen Erstsemester ins Visier und haben untersucht, wie sich der Studienbeginn auf den Stresslevel der jungen Studierenden auswirkt – und ob das etwas mit ihren familiären Hintergründen zu tun hat. Und: Hat es! Es ließ sich eindeutig nachweisen, dass Kinder, deren Eltern Akademiker sind, zu Beginn des Studiums mehr Stress empfinden als jene, die aus Nicht-Akademiker-Haushalten stammen.

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Dazu bedienten sich Verhaltensbiologin Nina Minkley und ihr Berner Kollege Alex Bertrams der Erkenntnis, dass sich das Stresshormon Cortisol bei erhöhter Ausschüttung über längere Zeit in den Haaren einlagert. „Die einzigen Einschlusskriterien waren, dass sie im ersten Semester sein mussten, und dass sie ausreichend langes Haar hatten“, sagt Minkley. Da sich fast nur Frauen meldeten, wurden die wenigen Männer ausgeschlossen. Die Probandinnen opferten drei lange Haarsträhnen – und füllten einen Fragebogen zu familiären Verhältnissen aus.

Dabei kam heraus: Die Studentinnen, die in Haushalten mit mindestens einem Elternteil mit abgeschlossenem Hochschulstudium aufgewachsen waren, hatten in den Haaren höhere Cortisol-Werte – also auch mehr Stress. Und das unabhängig vom selbst empfundenen Stress, denn darin unterschieden sich die Gruppen nicht. Die Wissenschaftler folgern daraus: Wer aus einem Akademiker-Haushalt stammt, steht stärker unter Druck, weil ein Versagen zum Statusverlust der Familie führen würde. Nicht-Akademiker-Kinder könnten hingegen nur gewinnen.