Geldern. Unsere beliebtesten Plus-Texte: Fee Brauwers ernährt sich wilgan und isst Fleisch nur, wenn sie es selbst geschossen hat.
Dieser Text ist zum ersten Mal am 28. August erschienen.
Auf dem Weg zum Hochsitz schleicht Fee Brauwers über einen abgeernteten Kartoffelacker und zeigt auf ein Wäldchen aus Eichen, Pappeln und Farn. „Da leben Böcke drinnen, die will ich schießen“, flüstert sie. Geräuschlos erklimmt sie die Leiter des Hochsitzes, das Fernglas hängt um den Hals, das schwarze Gewehr sitzt fest an der Schulter. Plötzlich schreckt sie auf. Nur ihr Kopf geht hin und her, um von der Leiter aus die Wiese zu beobachten. Aber noch sitzt da nur ein Hase, der an diesem bewölkten und heißen Augustabend Gras frisst.
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Fee Brauwers, 24, braune Haare, dunkelgrünes T-Shirt, studiert den Master Holzwirtschaft an der Uni Hamburg. Aufgewachsen ist sie in Geldern, nahe der niederländischen Grenze. Ihr Elternhaus ist nur wenige Autominuten vom Revier entfernt, in dem sie heute Abend jagt. Es pachtet ein alter Freund der Brauwers.
Avocados und Kurzstreckenflüge lehnt sie ab und seit vier Jahren lebt sie überwiegend vegan. Sie verzichtet auf Milchprodukte, kauft nur selten Eier – und niemals Fleisch aus dem Supermarkt. Doch ganz ohne Fleisch will sie nicht leben. Sie isst es aber nur, wenn sie es selbst oder Freunde geschossen haben. Meistens kocht sie Gemüse. Ihr Konzept nennt sie wilgan, eine Mischung aus Wild und vegan. „Ich kann es nicht tolerieren, wenn Menschen Billig-Wurst im Supermarkt kaufen, Jagd aber als unmoralisch kritisieren“, sagt sie. „Wildfleisch ist klimafreundlicher und die Tiere konnten frei leben.“
Fee Brauwers lebt überwiegend vegan, sie isst nur Fleisch, wenn sie es selbst erlegt hat
Auch ihr Vater, der Metzger Burkhard Brauwers, ist Jäger. Er kaufte ihr die Waffe, Kaliber .30-06, für 6.500 Euro. Als sie ein Kind war, hat er sie vom Ballett abgeholt, um mit ihr ins Revier zu fahren. „Im Auto bin ich dann mit dem pinken Body in die Jagdjacke rein.“ Ihre Großmutter sagt, ihre Fee sei schon im Kindesalter ein Öko gewesen. Damals hatte sie den Traum, alleine in einer Hütte im Wald zu leben. Mit 18 Jahren erlegte sie ihren ersten Bock. Sie stand weinend vor dem regungslosen Tier, – „wegen mir war es tot“ – ihr Vater nahm sie in den Arm und sagte: „Du hast alles richtig gemacht.“ Hinterher war sie glücklich.
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Als sie heute Abend den schwarzen SUV ihres Vaters auf einem Feldweg parkt, um von dort über den Kartoffelacker zum Hochsitz zu schleichen, sagt sie: „Jetzt ist ein typischer Rehwildabend.“ Mit der untergehenden Sonne werde es kühler, die Rehe fräßen dann nochmal. Showtime sei 21 Uhr, sie kämen dann aus ihrem Schlafzimmer, womit sie das Wäldchen meint. Jetzt ist es kurz nach 20 Uhr, spätestens also in einer Stunde ist es soweit.
Sie öffnet den Kofferraum. Neben der Hundebox liegt eine rote Wanne. „Da kommt das Reh rein“, sagt sie. Ihr Jagdhund Caillou (man spricht den Namen Kaju aus), ein Weimaraner, liegt verletzt zu Hause – ein Biber hat ihm in die Pfote gebissen.
„Ich muss heute was schießen“
Mit ihrer Entscheidung, wilgan zu leben, eckt sie quasi überall an. In Restaurants, die kein Wild anbieten. Bei alten Klassenkameraden, die eine jagende Frau ekelig finden. Und besonders im Internet, seitdem sie öffentlich für ihren Weg kämpft: Im MDR ist sie in einer Talkshow aufgetreten, im ZDF hat sie mit einem Jagdgegner diskutiert und auf Instagram, wo 12.600 Menschen ihrem Account „Jagd-Fee“ folgen, sendet sie Videos und Bilder, mit denen sie für den Verzehr von Wildfleisch wirbt.
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In den Kommentaren stehen jede Woche drei bis vier hasserfüllte Nachrichten. Um sich davor zu schützen, hat sie auf ihrem Handy die Benachrichtigungen deaktiviert und Facebook, Twitter und Instagram in einem Ordner gebündelt. Sie hat ihn „Vermeidungswürdig“ genannt. Ein Jahr lang hat ein Stalker sie verfolgt. Er rief sie täglich an, bombardierte sie mit Nachrichten. „Er war ein Jagdfanatiker, geistig benachteiligt.“ Erst als sie die Polizei rief, ließ er sie in Ruhe.
Hinter dem Hochsitz rauschen Autos über eine Landstraße, zwei Windräder summen wie ein alter Kühlschrank. Der Wind weht schwach. „Er kommt so, dass uns die Rehe nicht riechen. Das ist optimal.“ Um 20.45 Uhr flüstert sie: „Ich muss heute was schießen. In meiner Kühltruhe ist kaum noch was drinnen.“ Fünf silberne Patronen, so lang wie ihre Hand breit, drückt sie ins Magazin ihrer Waffe, ohne den Blick von der Wiese zu wenden: Klick, Klick, Klick, Klick und Klick. Sie stellt die Waffe vor sich ab, in die Ecke des Hochsitzes, dabei schaut sie kurz weg, doch dann schweifen ihre Fernglasaugen wieder über das Feld. Sie ist eine Muräne in einem Felsspalt, die auf ihre Beute wartet.
Wildfleisch hat Vorteile für Tierwohl und Umwelt
Ihr Entschluss, nur noch Wildfleisch zu essen, ist während des Bachelor-Studiums in Rottenburg am Neckar gereift. Es gab nicht den Schockmoment, der ihr Leben veränderte. „Durch den Betrieb meines Vaters wusste ich von Anfang an, dass Fleisch nicht in Plastik geboren wird.“ Im Studium habe sie gelernt, dass Jagd notwendig sei, um die Ernte der Bauern und junge Bäume zu schützen. Sie lernte neue Freunde kennen, von denen viele so denken wie sie.
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„Wenn man jagt, verwertet man das komplette Tier“, sagt sie, „vom Hühnchen aus dem Supermarkt nur Brustfilets oder, wenn wir mal ganz verrückt sind, die Keulen“. Von der erlegten Ente klebt sie die Federn auf Weihnachtsbriefe, aus den Knochen bereitet sie einen Fond zu. Der umfassende Gedanke gefalle ihr. „Es wird kein Futter, keine Fläche und kein Wasser verbraucht, kein CO2 emittiert. Es gibt keine Transporte und keine Tierhaltung. Ein Premium-Öko-Produkt.“
Das Wild habe meistens ein freies Leben und der Schuss sei schmerzlos. So sei das eine runde Sache für sie geworden. „Sollte ich eines unnatürlichen Todes sterben, dann bitte so: am Kühlschrank mit meinem Lieblingsessen im Mund – Licht aus.“
„Was gibt mir das Recht über Leben und Tod zu entscheiden“
Am Himmel sieht man jetzt den Mond, eine feine Sichel, immer wieder von Wolken verdeckt. Es ist 21 Uhr, also Showtime. „Es gibt bei Rehen diesen Vorhang-Effekt“, sagt Brauwers leise. „Man beobachtet die Wiese und plötzlich steht das Reh mitten drauf.“ Es raschelt, Brauwers dreht das linke Ohr zum Fenster des Hochsitzes. „Da ist was.“ Dann höre auch ich es, aber es kommt vom Dach. Und mit ausgestreckten Flügeln umkreist uns eine Schleiereule.
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Zurück am Auto, Grillen zirpen und es riecht nach Sommernacht, öffnet sie den Kofferraum. Die rote Wanne bleibt heute leer. Brauwers hat nichts geschossen.
„Ich wundere mich manchmal, dass ich in die Jagd reingewachsen bin“, sagt sie. „Was gibt mir das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden?“ Sie sei ja nicht von Gott geschickt. „Auch wenn es rationale Gründe für die Jagd gibt, ein Recht, so im buddhistischen Sinne, dass alle Lebewesen gleich sind, habe ich, glaube ich, nicht“, grübelt sie laut vor sich hin. Aber das sei eine Frage, über die denke sie nach, wenn sie in den Sternenhimmel blicke oder nach dem zweiten Glas Rotwein.