Oberhausen. Eigentlich wollte ich nur meinem Mann aushelfen. Jetzt ist mein maskiertes Gesicht seit Monaten überall zu sehen. Wie das kam – und was dann kam.
Als Redakteurin sollte ich es eigentlich gewohnt sein, mein Gesicht ab und zu in der Zeitung zu sehen. Und damit meine ich die klitzekleinen Kommentarbildchen, die wohl kaum einer wahrnimmt. Auch mit bebilderten Ich-Reportagen kenne ich mich aus, finde ich noch gerade so erträglich. Hätte mir aber jemand gesagt, dass ich meinen strubbeligen Haarschopf monatelang in sämtlichen Medien wiederfinde – ich hätte zumindest ein zweites Mal darüber nachgedacht, ob ich meinem Mann bei der Arbeit unter die Arme greife.
Aber mal von vorne: Hallo, ich bin’s, die Frau, die seit Anfang des Jahres Schlagzeilen verbildlicht wie „Gerüstet für das Coronavirus“, „Tödlicher als die Grippe?“ und „GZSZ: Coronavirus sorgt für Chaos“. Oder wie mich Familie und Freunde liebevoll nennen: Corona-Girl. Und Schuld ist mein Ehemann, der als Fotograf unter anderem für die Deutsche Presse Agentur arbeitet und eines grauen Januarnachmittags dringend ein Model für die Arbeit brauchte.
Die Schlagzeilen häuften sich
Die Schlagzeilen zum neuen Coronavirus häuften sich, die Nachfrage nach Atemschutzmasken stieg bundesweit. Und mein Mann hatte den Auftrag eben diese Nachricht in ein, zwei Bildern darzustellen. Ursprünglich sollte meine Mutter aushelfen. Ich, mit sechs Monate altem Kind auf dem Arm, hatte keine Zeit dafür – und noch weniger Lust darauf. Meine Mutter allerdings auch nicht. „Nee Kind, mach’ du das mal. Ich passe auf die Kleine solange auf“, so ihre Antwort. Na gut. Haare zusammengeknotet, Mantel an, Maske auf. Nicht das erste Mal, dass ich für die Arbeit des Gatten herhalten musste. Allerdings waren bisher meine Hände gefragt.
Kurzer Ausflug ins Modelbusiness
Nun also mein halbes Gesicht. Ab ins Auto und hin zur nächsten Apotheke bei usseligem Winterwetter. Eine Viertelstunde später war meine Arbeit getan, mein Hintern wieder auf dem Kinderzimmerboden und mein kurzer Ausflug ins Modelbusiness schon vergessen. Bis mein Mann mit der Titelseite des Handelsblatt nach Hause kam. „Deutschland rüstet sich gegen Corona“ lautete die Überschrift. Daneben ich, zuppelnd an der weißen Papiermaske. Mein erster ausgesprochner Gedanke: „Ja, super, dein Bild auf der Titelseite.“ Zweiter unausgesprochener Gedanke: „Mist, das bin ja ich, über die halbe Seite verteilt, das sehen jetzt ganz viele.“ Aber nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, richtig?
Denkste. Denn dann trudelten nach und nach in sämtlichen digitalen Postfächern Screenshots ein. „Bist du das?“, „Guck mal, die sieht aus wie du!“, „Jetzt muss ich dich schon beim Frühstück ertragen“. Menschen, mit denen ich jahrelang keinen Kontakt hatte, alte Schulkollegen, ehemalige Freunde von der Uni schrieben mich an, fragten nach Autogrammen – mit dickem Augenzwinkern natürlich. Meine beste Freundin im entfernten Heidelberg freute sich, mich wieder öfter zu sehen. Und auch die werten Kollegen von der Funke Mediengruppe griffen auf mein Konterfei zurück und ließen es sich nicht nehmen, mich darauf hinzuweisen. Beim Einkaufen oder Busfahren blieb ich allerdings von verstohlenen Blicken verschont. Soweit reichte die plötzliche Prominenz dann doch nicht.
Die Mona Lisa der Corona-Krise
Für meinen Stiefvater war ich nun die Mona Lisa der Corona-Krise. Ein neues wegweisendes Frauenporträt. Blickt sie skeptisch, besorgt oder vielleicht auch optimistisch in die Zukunft? Weder noch, ich versuche den Nieselregen weg zu zwinkern. Aber viel wichtiger: Ich wurde zum willkommenen Grund, den Fernseher einmal mehr anzuschalten. „Du musst uns ja gar nicht mehr besuchen, ich seh’ dich stündlich im TV.“ ARD, ZDF, N-TV, WELT. In der Tagesschau, beim Morgenmagazin, im News-Ticker und, und, und. Mein halbes Gesicht meist großflächig im Hintergrund.
Dabei ärgern mich gar nicht die mal mehr mal weniger lustigen Kommentare zu meinem verwegenen Blick. Im Gegenteil. In die Häme steige ich gerne mit ein. Einer lieben Ex-Kollegin habe ich die „exklusive Story über die Frau hinter der Maske“ angeboten. Sie lehnte dankend ab. Als mich Freunde plötzlich auf eine blonde Schönheit mit bunter Atemschutzmaske in den Medien aufmerksam machten, war die Empörung groß. Sollte meine Karriere schon wieder vorbei sein? Zwei Tage später trudelte allerdings die nächste abfotografierte Mattscheibe bei WhatsApp ein. „Da bist du ja wieder!“ Hello again.
Der Fluch der talentierten Fotografen
Nein, mich stört eine ganz andere Tatsache. Die Aufmerksamkeit gebührt doch ganz alleine meinem Mann, Fabian Strauch. Schließlich hat er das Foto geschossen, das seit Anfang des Jahres unzählige Beiträge verbildlicht. Auf das Journalisten in ganz Deutschland zurückgreifen, um über das wichtigste Ereignis des Jahres zu berichten – in der Zeitung, im TV, in den Sozialen Medien. Vor ein paar Monaten rief sogar ein Student der Technischen Universität Dortmund an. Das Foto sei Gegenstand eines Seminars und er wollte nun die Hintergründe erfragen. Kurioser Zufall: Mein Mann hatte sich vor Jahren um ein Studium an der TU Dortmund bemüht. Er wurde abgelehnt.
Aber so ist das leider, der Fluch der talentierten Fotografen: Die Öffentlichkeit sieht das Bild, aber selten die Arbeit dahinter. Es sei denn, man ist vom Fach. Und so freuen wir uns einfach zu zweit über seinen Erfolg und lachen gemeinsam über den nächsten Screenshot, den man uns zukommen lässt. Schließlich nehmen wir es so, wie es ist: Mit viel Humor, in einer Zeit, in der wir Corona-bedingt nicht viel zu lachen haben.
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