Iserlohn. Galeria-Karstadt-Kaufhof schließt an 52 Standorten. Warum unser Reporter schon lange nicht mehr in Warenhäuser geht und sie doch vermissen wird.
Mit dem Aus von 52 Galeria-Karstadt-Kaufhof-Filialen verschwinden in einigen Innenstädten in der Region die großen Kaufhäuser. Unser Autor erinnert sich an seine Kindheit bei Karstadt mit schier unendlich scheinende Warenwelten und die langsame Entfremdung. Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2020.
Sie waren die Kathedralen der Aufbaujahre, jetzt sind viele von ihnen bald nur noch leerstehende Immobilien in der Fußgängerzone. Warum man in letzter Zeit so selten im Kaufhaus war und es wohl trotzdem irgendwann vermissen wird.
Karstadt hat bei uns im Herbst 1967 geöffnet. Ich habe das nachgesehen, ich wusste es nicht mehr. Ich war sechs Jahre alt damals. Was ich noch weiß ist, dass ich in diesem Alter sehr gerne dorthin gegangen bin. Nicht alleine, sondern mit meinen Eltern. Allein durfte man als Sechsjähriger 1967 nirgendwo hingehen. Deshalb war es gut, dass meine Eltern auch gerne zu Karstadt gingen.
Wie ein Wirtschaftswunderkind
Ich hab nicht gefragt, warum das so war, ich kann es mir heute aber denken. Große Tiefgaragen direkt unterm Haus, und obendrüber gibt es auf drei Etagen alles, was man braucht. Keine schweren Einkaufstaschen, die man durch die Gegend schleppen muss. Und kein Sohn, der mault, weil er mit in die Lebensmittelabteilung soll. Oder zu den Schuhen. Im Kaufhaus darf er ausnahmsweise allein ein Stockwerk höher. In die Spielzeugabteilung.
Da stehe ich dann nun ein wenig wie ein Wirtschaftswunderkind der 50er-Jahre. Nur dass es hier keine Scheibe gibt, an der ich meine Nase plattdrücken kann. Hier ist greifbar, was ich bisher nur in Versandhauskatalogen sehen konnte. Oder in einem der damals noch drei Spielzeuggeschäfte am Ort. Wo aber streng dreinblickende Verkäuferinnen Kinder geflissentlich übersehen oder anraunzen: „Nichts anfassen.“
Bei Karstadt dagegen rasen – vor allem vor Weihnachten – die Flitzer über die Carrera-Bahn und Hot-Wheels durch Loopings. Hier lassen sich die Ritter der aufgestellten Burg aus Elastolin verschieben, wenn man als taktisch versierter Junge eine Lücke in der Verteidigung entdeckt. Kurzum, für Kinder der 60er Jahre ist das Kaufhaus das Paradies. Für ihre Eltern ist es praktisch. Für die alteingesessenen Einzelhändler drum herum ist es Pech.
Ich bin dem Kaufhaus lange treu geblieben, habe als Teenager allerdings weniger die Spielwaren-, sondern die Schallplattenabteilung besucht. Oder vor den Hi-Fi-Anlagen und TV-Geräten gestanden. Mal hier gedrückt und da gedreht. Klar, es gibt damals Läden in der Stadt, die haben mehr Auswahl. Aber die haben auch Verkäufer, die was dagegen haben, wenn man irgendwo drückt und dreht. Und deren „Kann ich helfen?“ eher nach Drohung als nach Angebot klingt. Die Kaufhaus-Verkäufer sind toleranter. Vielleicht ist es ihnen auch einfach egal.
Den ersten Freundschaftsring, das Weihnachtparfüm für meine Mutter und die Krawatte für meinen Vater habe ich bei Karstadt gekauft. Manchmal alles an einem Nachmittag. Biergläser, Bohrmaschine, Bonanza-Rad – Karstadt hat alles. Zumindest alles, von dem man denkt, es unbedingt zu brauchen.
„Führen wir nicht… – hat auch sonst noch keiner nach gefragt“
Mit der Zeit aber führt mein Weg immer seltener ins Kaufhaus. Weil es nicht cool ist. Weil man merkt, wenn man älter wird, dass es erst Monate später hat, was viele andere schon lange haben. Die Welt verändert sich, die Kaufhäuser aber bleiben stehen. Die LP von der brandneuen Super-Band aus England? „Kenn ich nicht“, sagt der Verkäufer. Die geilen Sneaker, die jetzt jeder in den USA trägt? „Führen wir nicht“, stellt die Kollegin aus der Schuhabteilung klar. „Hat auch sonst noch keiner nach gefragt.“
Natürlich gibt es Ausnahmen. Die ganz Großen, die Berühmten. Edel und luxuriös. Die man im Urlaub besucht oder auf Klassenfahrt. Das KaDeWe in Berlin, wo ich stundenlang staunend in der gigantischen Lebensmittelabteilung stehe. Oder das LaFayette in Paris, aus dessen Parfümabteilung ich so eingenebelt zurückkomme, dass ich fast aus dem Gemeinschaftszimmer im Hotel ausgewiesen werde. Und natürlich Harrod’s in London, wo ich angeblich sogar einen Elefanten hätte kaufen können. Was ich allerdings schon mangels Transportmöglichkeit nicht ausprobiert habe. Aber beeindruckt bin ich trotzdem.
In den Otto-Normal-Kaufhäusern gibt es vieles irgendwann gar nicht mehr. Ganze Produktgruppen verlassen die Warenhäuser, ziehen um in Bau-, Möbel- oder Elektronikmärkte oder machen sich kurzzeitig beim Discounter an der Ecke breit. Was im Kaufhaus bleibt, wird gern verschoben. „Schuhe?“ Sind jetzt im Untergeschoss? Fahrräder stehen dafür in der ersten Etage. Aber das alleine reicht nicht, um Abwechslung zu schaffen.
Kleine Kinder merken das nicht. Meine haben es auch nicht getan. Und haben – zusammen mit der Schließung aller Spielzeugläden in meiner Stadt – dafür gesorgt, dass ich noch einmal eine Zeit lang zurückgekommen bin ins Kaufhaus. Weil es nichts Schöneres gibt als leuchtende Kinderaugen bei den Spielwaren – wo im frühen 21. Jahrhundert Playmobil-Schlösser stehen und Transformer sich verwandeln. Träume, die sofort wahr werden können – sofern Papa oder Mama sie bezahlen. Was Papas und Mamas bekanntlich oft machen.
Verkaufszirkus versus Internet
Doch das ist viel zu wenig, als das Internet kommt. Wo es keine Öffnungszeiten mehr gibt, aber ein Angebot, bei dem kein Kaufhaus der Welt mithalten kann. Wo ich nie nach einem Parkplatz suchen muss und es keine Schlange vor der Kasse gibt. Wo sich Preise binnen Sekunden vergleichen lassen und wo selbst die schlechtesten davon oft noch günstiger sind als die besten in der echten Welt. Ja, ich weiß, das ist unfair. Weil Karstadt & Co. Miete zahlen und Personal. Auch wenn das von Jahr zu Jahr weniger wird.
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Aber höhere Preise alleine sind am Ende auch gar nicht schuld daran gewesen, dass ich nur noch selten in den einstigen „Konsumtempel“ meiner Stadt gegangen bin. Mir hat das Staunen gefehlt. Dinge, die mich dazu bringen, etwas zu kaufen oder viel mehr zu kaufen, als ich eigentlich kaufen wollte. Dass das funktioniert, habe ich zuletzt in London bei Hamleys gemerkt, dem größten Spielzeugladen Europas.
Man kann stundenlang lebensgroße Star-Wars-Stormtrooper bewundern oder ein Cookie Monster trinken – ein Milchshake aus Oreos, Cookies, Sahne, Milch und Erdbeer-Marshmallows. Nicht gesund. Aber lecker. Und ein Erlebnis. Es ist ein Verkaufszirkus auf Tausenden Quadratmetern. Ich hab dann auch was gekauft. Einen Zauberstab, der fliegen kann. Ich übe noch. Mit so etwas kann man kleine Enkelkinder schwer beeindrucken, wenn man irgendwann mal welche haben sollte. Zu Karstadt kann ich mit ihnen ja nicht mehr gehen. Schade.