Bochum/Essen. Corona-Zeit ist Eulen-Zeit: Im Homeoffice können sie länger schlafen und werden dadurch produktiver. Ein Modell für die Zukunft, so Experten.
Die Bochumer sind in der Corona-Zeit zu Spätduschern geworden. Jedenfalls hat sich nach Angaben der Stadtwerke der Wasserverbrauch verändert: Rund zwei Stunden später gehen die Menschen ins Bad. Statt um 7.30 Uhr brausen sie sich nun um 9.30 Uhr ab. Das kann natürlich verschiedene Gründe haben, aber Schlafexperten sehen damit bestätigt: Wenn man die Menschen nach ihrer inneren Uhr leben lässt, schlafen sie unter der Woche länger.
„Wir haben eine weltweite Studie gemacht, bei der wir in 40 Ländern 10.000 Menschen befragt haben, wie sie zeitlich leben, vor dem Lockdown und während der Ausgangsbeschränkungen“, sagt Chronobiologe Till Roenneberg. „Sie schlafen nun an Arbeitstagen länger und an freien Tagen kürzer“, so der Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das Ergebnis überrascht ihn nicht. Denn bisher seien die freien Tage immer für die Erholung genutzt worden, um das Defizit innerhalb der Woche wieder auszugleichen. Nun sei das nicht mehr nötig, weil die Menschen schon an Arbeitstagen genügend Schlaf bekommen haben. Das Homeoffice mache es möglich.
„Ich kann sehr viel effizienter schlafen, wenn ich versuche, nicht zu schlafen, wie die Gesellschaft es von mir verlangt, sondern, wenn ich schlafe, weil mir die innere Uhr das sagt“, so der 67-Jährige. Jeder Mensch ticke anders. Da gibt es die so genannten Lerchen, die früh abends müde werden, dafür aber am frühen Morgen fit sind. Die Eulen können dagegen noch nachts arbeiten, dafür bleiben sie morgens länger im Bett. „Es gibt nicht nur diese zwei Chronotypen“, erklärt Roenneberg. „Das sind der Zwerg und der Riese dieser Verteilung.“
Am liebsten erst um 1 Uhr ins Bett
Eine „Eule“ ist auch Ulrich Götze. Wenn man den 52-Jährigen lässt, geht er am liebsten nicht vor 1 Uhr nachts ins Bett – und steht dann um 8 Uhr morgens auf. Das hat er auch in der zweiwöchigen Quarantäne gemacht, die er Corona-bedingt einhalten musste. Aber meist kann er nicht nach dem eigenen Rhythmus schlafen. Denn als Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie beginnt sein Arbeitstag um 7.30 Uhr, am Zentrum für Schlafmedizin an der Ruhrlandklinik in Essen. „Ich bin dadurch gezwungen, ein bisschen früher zu Bett zu gehen“, sagt Götze. Wenn er seiner normalen Zu-Bett-geh-Zeit folgen würde, bekäme er einen so genannten „Social Jetlag“, also einen gewissen Schlafmangel.
„Dass man ein Eulentyp ist, ist nichts Krankhaftes“, betont Götze. Warum der eine abends müde ist, während der andere dann erst so richtig auf Touren kommt, sei noch nicht gänzlich erforscht. Roenneberg spricht unter anderem von einer genetischen Veranlagung.
Die Sonne gibt auch den Takt vor
Götze nennt drei Uhren, die den Wach-Schlaf-Rhythmus beeinflussen. Da sei zum einen die Master-Clock im Gehirn im Hypothalamus. „Die hat einen Rhythmus von 24,2 Stunden.“ Richtete man sich nur nach ihr, würde man irgendwann tagsüber schlafen und nachts wach sein. Doch da gibt es ja noch einen weiteren wichtigen Zeitgeber: die Sonne. Die Lichtimpulse werden an das Gehirn weitergeleitet, bis zur Master-Clock. Und dann folgen wir noch einem weiteren Zeitmesser, der sozialen Uhr, die den Arbeitsbeginn festlegt, aber auch Mahlzeiten oder Medikamenteneinnahme. Ganz statisch sei der Wach-Schlaf-Rhythmus aber nie. „Keine Nacht ist wie die andere.“
Ein kleines Schlafdefizit innerhalb der Woche sei kein Problem, solange man am Wochenende den verpassten Schlaf nachholen könne. „Wenn ich aber nur Frühdienst machen wollte, jeden Tag um 5 Uhr aufstehen und um 6 Uhr auf der Arbeit sein, das wäre für mich der Tod, weil da mein Körper eigentlich seine Schlafzeit haben möchte“, so der Mediziner lachend und fügt ernst hinzu: „Der Eulentyp muss bei der Berufswahl die Augen offen halten.“ Denn wenn man komplett gegen seine innere Uhr lebe, sei man nicht nur wie er morgens manchmal etwas knatschig, sondern richtig müde. Und wer müde ist, der kann sich nicht konzentrieren – und das erhöht die Unfall-Gefahr.
So müde - Müdigkeit erhöht die Gefahr eines Unfalls
Weil man im Haushalt vor lauter Müdigkeit auf der Trittleiter eine Stufe nicht erwischt. Oder bei der Arbeit im Halbschlaf die Maschinen falsch bedient. Der Schlafforscher Jürgen Zulley warnte bereits vor Jahren, dass die Hauptursache für Unfälle auf deutschen Autobahnen übermüdete Fahrer seien.
Insbesondere Menschen, die im Schichtdienst arbeiten, können nicht mehr ihrem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus folgen. Man sollte daher laut Götze genauer hinschauen, ob zum Beispiel die Eule den Spätdienst übernimmt, während die Lerche den frühen Wurm fängt. In einer Studie bei Thyssen-Krupp habe man genau das ausprobiert, so der Biologe Roenneberg, und die Menschen ihrem Chronotyp entsprechend in den Schichten eingeteilt. Und es sei das geschehen, was jetzt auch in der Pandemie zu beobachten ist: Die Leute schlafen an Arbeitstagen länger und an freien Tagen weniger.
Trotzdem wurde bei dem Konzern das Modell nicht in die Realität umgesetzt, so Roenneberg: „Weil nur die Nachtschicht extra bezahlt wird.“ Der finanzielle Anreiz verhindere, dass die Menschen ihrer inneren Uhr entsprechend arbeiten.
Es sei keine Gewöhnungssache, ob man eher morgens oder abends fit ist. Man könne sich ja auch nicht an zu enge Schuhe gewöhnen, so Roenneberg: „Keine Fabrik würde allen Arbeitern Sicherheitsschuhe in der gleichen Größe geben, weil die meisten da rausrutschen oder Blasen bekommen. Man gibt ihnen die Schuhe, die individuell passen.“
Krank durch Schichtdienst
Wer im Schichtdienst ständig gegen seine innere Uhr lebe, schade damit seiner Gesundheit, so Roenneberg. „Er erhöht sein Krankheitsrisiko und zwar in alle Richtungen“, sagt der Biologe und zählt auf: Herzkreislauferkrankungen, Diabetes Typ 2, Depressionen und, und, und. Auch das Risiko, an Krebs zu erkranken, würde steigen. Götze schildert die Konsequenzen nicht so drastisch. „Da müssen noch andere Faktoren hinzukommen.“ Wichtig sei, dass man in seiner freien Zeit dem Schlaf den benötigten Raum gebe.
Auch die Schulen müssten den Schlafvorgaben angepasst werden und später anfangen, so Roenneberg. Götze erinnert sich an seine Schulzeit, wo er zu Unterrichtsbeginn etwas „dösig“ war. Da habe er bereits an den Wochenenden sein Defizit ausgeglichen.
Bei festen Arbeitszeiten, ob in der Schule oder im Beruf, besteht die Gefahr, dass die Produktivität nachlässt, sind sich die Experten einig. Ein müder Mensch muss im Büro einen Absatz mehrmals lesen, bis er ihn endlich begriffen hat. Das könne nicht im Sinne des Arbeitgebers sein, so Roenneberg: „Der Arbeitgeber nimmt in Kauf, dass die Leute verpennt reinkommen und erstmal beim Kaffee rumsitzen.“ Die Corona-Zeit habe gezeigt, dass es auch anders geht, dass die Menschen im Homeoffice genauso viel leisten, sie sparen sich lange Anfahrtszeiten und folgen eher ihrem Schlafrhythmus. Daraus könne man auch Lehren für die Zeit nach der Pandemie ziehen, so Roenneberg: „Wir können alle gesünder und produktiver werden, wenn wir nach unserer inneren Uhr leben.“
Die Schlafmythen
Der Mensch braucht acht Stunden Schlaf – richtig oder falsch? „Falsch“, sagt Mediziner Ulrich Götze. Viele Menschen würden sich bei sechs bis acht Stunden Schlaf wohlfühlen. Aber keiner benötige jede Nacht exakt acht Stunden Schlaf. Es gebe auch Menschen, die sich dauerhaft nach drei Stunden Schlaf fit fühlen, andere nach zwölf Stunden.
Der Schlaf vor Mitternacht ist der gesündeste – richtig oder falsch? Das sei ebenfalls nicht richtig, so der Schlafmediziner. Auch der Biologe Roenneberg widerspricht. Der Schlaf in der Einschlafphase sei zwar wichtig, aber unabhängig von der Uhrzeit. Und Mitternacht sei ja durch Sommer- und Winterzeit auch nicht immer zur gleichen Zeit.