Norden/Essen. Der Gelsenkirchener Autor Klaus-Peter Wolf hat schon vor zehn Jahren einen Virusroman geschrieben: mit fast hellseherischen Parallelen zu Corona.
Bestseller-Autor Klaus-Peter Wolf schrieb vor zehn Jahren den Thriller „Todesbrut“. Wer ihn heute liest, fühlt sich im Hier und Jetzt, mitten in der Corona-Krise. Mit dem gebürtigen Gelsenkirchener (66), der seit vielen Jahren in Ostfriesland lebt, sprachen Sylvia Lukassen und Rolf Kiesendahl.
Klaus-Peter Wolf, wie fühlen Sie sich denn hier, in der frischen Luft an der Nordsee?
Wolf: Nun ja. Ich bin es gewohnt, mich zurückzuziehen und zu schreiben. Aber ich bin auch eine Rampensau. Ich brauche den Kontakt mit meinen Fans. Das direkte Gegenüber mit dem Publikum gibt mir sehr viel, und ich vermisse es. Ich musste ja eine Tournee mit ausverkauften Häusern abbrechen. Deshalb freue ich mich riesig auf die offizielle Vorstellung meines neuen Buches „Rupert undercover“ am 22. Juni im Autokino Dinslaken. Das wird bestimmt spannend, zumal es einen Überraschungsgast gibt, der mir gesagt hat: „Alter, ich lass’ dich nicht im Stich“. Und hier, an der Nordsee zu leben, ist im Moment sicher angenehmer als im Ruhrgebiet. Ostfriesland ist ja auch ein Sehnsuchtsort der Ruhrgebietler.
Kommen wir zu Ihrem Thriller „Todesbrut“, der in Emden und auf einer in der Nordsee kreuzenden Fähre, die in Borkum nicht anlanden darf, spielt. Sowohl an Land als auch an Bord ist die Vogelgrippe ausgebrochen.
Es realisiert sich jetzt, was ich damals geschrieben habe. Und es basiert auf meinen Erfahrungen. Ich habe keine hellseherischen Fähigkeiten. Ich habe das nur zu Ende gedacht, was in der Luft lag. Die Frage war ja nicht, ob eine Pandemie kommt, sondern nur, wann. Die Fähre, die im Buch über die Nordsee irrt, ist vergleichbar mit den Kreuzfahrtschiffen heute.
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Erzählen Sie uns Ihre Erfahrungen?
Na klar. Das war 2009. Meine Frau Bettina Göschl, Sängerin und Kinderbuchautorin, und ich beendeten gerade in Luzern eine Deutschland-Schweiz-Tournee. Damals war die Schweinegrippe ausgebrochen. Im Bahnhof von Luzern baute ich plötzlich total ab und wusste sofort Bescheid. Die Schweinegrippe trifft dich wie ein Baseballschläger. Die Frage war, was tue ich jetzt. In allen Zeitungen stand alles, was du tun solltest: den Hausarzt anrufen, dich zu Hause isolieren, keine Kontakte. Nicht in ein Krankenhaus. Die Regeln sind ja nicht doof. Die helfen aber nicht, wenn du 14 Stunden von zu Hause weg bist.
Wie haben sie beide das Problem gelöst?
Du gerätst in einen fürchterlichen moralischen Konflikt. Du bist krank, willst nur Hilfe, weist aber, dass du den anderen etwas antust. Du denkst: schrecklich, wenn die anderen erfahren, was du hast. Zurück zum Hotel ging nicht. Das wollte ich denen nicht antun. Die wären unter Quarantäne gestellt worden. In die Klinik ging auch nicht. Bettina hat mich in ein leeres Zugabteil verfrachtet, aufgepasst, dass keiner reinkam. Zu Hause hat sie mich versorgt. Ich hatte zwar keinen schweren Verlauf, aber viele Stunden über 40 Grad Fieber. Ich habe alles nur so im Dunst erlebt, aber gewusst: Darüber wirst du schreiben.
In „Todesbrut“ schildern Sie nicht Ihre Erlebnisse und erklären auch nichts zum tödlichen Virus.
Mir ging es nur um die Menschen. Wie verhalten sie sich unter solch einer unsichtbaren Bedrohung? Es geht darum, was das Virus psychisch mit den Menschen macht. Für das Medizinische sind die Virologen und andere zuständig. Die Leser fragen sich: Wie hätte ich es gemacht? War es richtig, was Kai oder Frau Rose getan haben? Der Unterschied zur realen Corona-Krise: Ich habe die Geschichte auf zwei Tage beschleunigt. Dadurch ist alles sehr komprimiert.
Sie liest sich unheimlich.
Es geht mir nur um das menschliche Verhalten in all seinen Facetten, das zu durchleuchten ist die Aufgabe von Literatur. Nicht um das Virus, seine Herkunft, und schon gar nicht um Verschwörungstheorien.
Sie sagten zu Beginn unseres Gespräches, dass die Regeln zur Pandemie-Eindämmung nicht doof sind. Machen Politiker derzeit alles richtig?
Sie verlagern das Problem gern auf untere Behörden. Wenn dann etwas schiefgeht, ist die hohe Politik nicht verantwortlich. Sie drückt sich vor der Verantwortung. Politikern fehlt oft die Lebensrealität.
Nennen Sie uns ein Beispiel.Ostfriesland und die Nordseeinseln haben dicht gemacht. Kein Tourist durfte rein, auch Besitzer von Ferienhäusern und -wohnungen nicht. Selbst Familienmitglieder und Freunde durften nicht kommen – wie meine Tochter. Im Ernstfall hätten alle versorgt werden können. Und das in einer Ecke der Welt, die komplett vom Tourismus lebt. Grenzen innerhalb Deutschlands. Wer hat denn an so was gedacht?
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Wagen Sie einen Blick in die Zukunft?Es wird eine Erleichterung kommen. Aber das Virus werden wir so schnell nicht los. Oder? In „Todesbrut“ verschwindet es einfach. Die Menschen atmen auf, freuen sich, sich wieder frei bewegen zu können. Auch Bettina und ich haben alles stehen und liegen gelassen, als die erste Eisdiele wieder aufgemacht hat. Mit dem Rad sind wir zum Strand gefahren und haben uns in einen Strandkorb gesetzt. Das war ein Aufatmen!
Begreifen wir nun, was Freiheit ist?Ja! Sie ist ein hohes Gut. Ich merke hinter der Wut über die Einschränkungen auch eine gewisse Demut: Was haben wir gehabt? Kommt das wieder?
Gehen wir gestärkt aus der Krise hervor?Ja! Wir haben gemerkt, was eine freie Gesellschaft bedeutet.
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Endzeitstimmung treibt die Auflage hoch
Unmerklich verändert sich das Meer. Plötzlich starten Orcas und Wale koordinierte Angriffe auf Schiffe, die ihnen zu nahekommen. Ein Fischerboot wird vor der peruanischen Küste in die Tiefe gezogen. Das Wasser – es trägt nicht mehr. Ein unüberschaubares Heer giftiger Krabben kommt an der Ostküste Nordamerikas an Land und marschiert los. Eine Invasion auf acht Beinen, kaum zu bändigen. Vor der norwegischen Küste knabbern mutierte Tiefseewürmer die Methanhydrat-Vorkommen im Kontinentalhang an. Die unterseeischen Gebirge geraten daraufhin ins Rutschen, lösen einen gigantischen Tsunami aus, der halb Nordeuropa verwüstet. Es scheint so, dass sich die Natur wehrt. Gegen den Menschen, der das Klima verändert, Meere überfischt, sie mit Plastikmüll erstickt und Dünnsäure verklappt. Gesteuert von einer geheimnisvollen Macht aus der Tiefe der Ozeane.
Apokalyptische Ahnungen
„Der Schwarm“ heißt dieser fulminante Endzeit-Thriller, in dem Erfolgsautor Frank Schätzing derartige Schreckensszenarien schildert. Das Buch erschien im Februar 2004 und ging bis heute über 4,5 Millionen mal über die Ladentheken. Schätzings apokalyptische Ahnungen wurden indes schon am zweiten Weihnachtstag 2004 grausame Realität. Zwar nicht in Nordeuropa, sondern in Südostasien. Dort überrollte ein Tsunami, verursacht durch ein Seebeben, die Küsten Thailands, Sri Lankas und Indonesiens. 230.000 Menschen kamen ums Leben, darunter 500 Deutsche, die ihren Weihnachtsurlaub dort verbracht haben.
Von Terror bis Blackout
Es gibt auch andere Autoren, deren literarische Horror-Visionen Wirklichkeit wurden. In Tom Clancys 1991 erschienenen Roman „Das Echo aller Furcht“ geht es um eine Attacke islamischer Terroristen. Zehn Jahre später fielen die Türme des World Trade Centers in New York. 3000 Menschen starben bei 9/11. Das Buch diente später als Vorlage für den Film „Der Anschlag“, unter anderem mit Ben Affleck und Morgan Freeman.
Und wer sich nicht vorstellen kann, wie ein großflächiger Stromausfall ganz Europa lahm legt, sollte „Black out – Morgen ist es zu spät“ lesen, den Bestseller des österreichischen Autors Marc Elsberg. Er erschien 2012 und wurde inzwischen 1,7 Millionen mal verkauft.
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Erschreckend real
Klaus-Peter Wolfsetzt in „Todesbrut“ seine Charaktere einer Extremsituation aus und schildert die Bedrohung, wie sie von der Vogelgrippe H5N1, dem Coronavirus SARS-CoV-2 oder anderen Epidemien und Pandemien ausgeht, erschreckend realistisch.
Bücherliste:
Klaus-Peter Wolf: Todesbrut. Loewe Verlag, 9,95 Euro.Frank Schätzing, Der Schwarm, Kiepenheuer & Witsch, 13,00 EuroTom Clancy, Das Echo aller Furcht, Heyne, 9,99 EuroMarc Elsberg, Blackout – Morgen ist es zu spät, Blanvalet 10,99
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