Köln. . Frank Schätzing schreibt im neuen Roman über Künstliche Intelligenz. Ein Gespräch über kreative Computer und menschliche Werte
Das Smartphone liegt auf dem Tisch und gibt Geräusche von sich – und doch ist Frank Schätzing, der zum Interview in seinen Kölner Verlag gebeten hat, das Gegenteil eines Technologie-Freaks. Facebook, Twitter? Ohne ihn! Zu mühsam scheint dem Bestsellerautor das ständige Kommunizieren, zu groß die Gefahr persönlicher Preisgabe. Und auch sein neuer Roman „Die Tyrannei des Schmetterlings“ führt in eine Zukunft, in der man ungern daheim sein würde. Mit Britta Heidemann sprach der 60-Jährige über den Traum von Künstlicher Intelligenz, den Wert des Menschen – und die Frage, ob bald Computer Romane schreiben.
Herr Schätzing, Sie haben für Ihren Roman im sagenumwobenen Silicon Valley recherchiert – was bleibt als stärkster Eindruck?
Zum einen wurden meine Erwartungen übertroffen, weil ich sehr viele spannende und erstaunlich unterschiedliche Menschen getroffen habe. Andererseits wurde meine Vorstellung einer High-Tech-Welt konterkariert: das Silicon Valley ist eine stinklangweilige Ansammlung von Kleinstädten. Diese glitzernden Firmenpaläste, die man sich ausmalt, existieren nicht, es gibt kaum mal ein halbwegs ansehnliches Gebäude.
Die tolle Firmenzentrale haben Sie sich dann ausgedacht.
Ja, mein Gebäude ist dort definitiv das Schönste! (lacht) Man hat halt, wenn man über das Valley nachdenkt, Visionäre im Kopf, die verortet man nicht in spießigen Häuschen mit Vernunftauto vor der Tür. Dann wird einem klar, das sind fast alles Technologen, die interessieren sich nicht für Glamour, schicke Restaurants und Klamotten. Was sie eint, ist die Beseeltheit von der Idee, Menschheitsprobleme zu lösen.
Im Roman haben Sie diese Beseeltheit sehr karikiert.
Vielen ist es ernst damit, teils karikiert es sich selbst. Natürlich wollen alle Geld verdienen, manchen geht es um nichts anderes. Aber ebenso begegnen Sie oft dem visionären Realisten und dem Humanisten. Alle streben nach bahnbrechend neuen Technologien. Unter den Realisten, deren Ziel es ist, Menschheitsprobleme zu attackieren, Krebs und Alzheimer, Seuchen, Armut, Hunger - war Pascal Finette ein sehr spannender Gesprächspartner. Er lehrt an der Singularity University, einer radikalvisionären, manchmal religiös anmutenden Institution. Der Typus des wirtschaftlich orientierten Visionärs ist Peter Thiel. Einer der mächtigsten Männer der Gegend, milliardenschwer. Peter hat Paypal und Facebook mitfinanziert. Ein Radikal-Liberaler, der schwimmende Städte außerhalb der 200-Seemeilen-Zone plant, also außerhalb der staatlichen Jurisdiktion, und vom ewigen Leben träumt. Der Humanist schlechthin ist ohne Zweifel Virtual Reality-Pionier Jaron Lanier. Mit ihm unterhielt ich mich in seinem Haus in Berkeley zwischen lauter exotischen Instrumenten und Synthesizern. Jaron sorgt sich sehr um die Wahrung von Persönlichkeitsrechten in der digitalen Welt. Er ist ein wichtiger Mahner.
Welchen der drei Typen fühlen Sie sich am nächsten?
Alle drei Haltungen haben ihre Berechtigung. Mich faszinierten die Fülle der Ideen und der mögliche Nutzen. Die Frage, wie verhalten sich die Chancen zu den Risiken. Und was davon würde ich persönlich wollen? Unsterblichkeit, Peters Wunschtraum, wäre für mich eine Horrorvorstellung.
Ehrlich? Aber Sie könnten noch so viele Romane schreiben!
Bloß nicht, ich bin doch keine Romanschreibmaschine! Interessant, dass Sie das sagen: Tatsächlich ist unser erster Reflex, wenn es um die Verlängerung des Lebens geht, zu denken: Du könntest noch etwas produzieren. Nicht wahr? Darüber wird der Wert eines Menschen bemessen. Aber was bleibe von diesem Wert, wenn es eines Tages künstliche Intelligenzen gibt, die alles noch viel besser können als der Mensch?
Das ist eine Frage, die aus Ihrem Roman stammt: Wie setzt man den Wert eines Menschen gegen den Wert einer Maschine?
Sprechen wir vielleicht eher vom digitalen Geist statt von einer Maschine. Wir leben gerade in einer Zeit der schleichenden Entwertung von allem: Dienstleistungen, Produkte, Kunst und Kultur. Man glaubt, alles sei umsonst zu haben. Letztlich wird der Mensch selbst entwertet. Mir gefällt die Idee, dass intelligente Maschinen Problemlösungen für uns finden, auf die wir selbst niemals kämen. Aber was müssen wir tun, damit wir uns nicht auf Dauer überflüssig machen? Wir müssen diese Maschinen heute so programmieren, dass sie Partner sein werden, keine Konkurrenten. Und uns wieder bewusster machen, dass der Wert eines Menschen immer individuell zu betrachten ist. Jeder Mensch ist einzigartig, einmalig. Niemand ist austauschbar. Unsere Persönlichkeit ist unser Wert. Steht das im Vordergrund, steht einer Koexistenz mit Maschinen wenig im Wege. Dann kann uns KI auf kaum vorstellbare Weise voranbringen. Wir könnten zu den Sternen fliegen.
Im Roman erwähnen Sie Isaac Asimovs Robotergesetze: Das finde ich sehr spannend, weil es da um den richtigen Umgang mit den Maschinen geht.
Ja, ich war als Kind ein großer Science-Fiction-Leser! Leider aber funktionieren die Roboter-Gesetze auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Sie weisen den Roboter an, dass er einen Menschen weder verletzen noch zulassen darf, dass jemand anderer einen Menschen verletzt. Und dann lassen Sie sich ein Piercing stechen – und der Roboter sieht, wie jemand ein Loch in Sie bohrt. Was soll er tun? Nun beziehen Sie noch mit ein, dass künstliche Intelligenzen selbstlernende Systeme sind. Zu welchen Schlüssen wird die KI also gelangen? Am Ende bleibt ihr nur, uns gewaltfrei zu entmündigen.
Die richtige Art dieser Programmierung von künstlicher Intelligenz beschreiben Sie im Buch so: Der Programmierer sei ein Bildhauer, der keine Struktur vorgibt, sondern einfach alles Überflüssige weglässt.
Die große Frage ist, wie wollen Sie Werte und Werteverständnis in Algorithmen niederlegen? Menschenwürde, Respekt – wie lernt die Maschine das? Sie können dafür keine mathematische Anweisung schreiben. Aber Sie können der Maschine beibringen, durch Beobachtung der realen Welt ein Verständnis dafür zu erlangen, was Werte sind. Und das beste Hilfsmittel ist, wenn Sie in ihre Basisprogrammierung schreiben, was alles man definitiv nicht tut. Das, was sie vermeiden soll, ist äquivalent zu den Teilen des Marmorblocks, den der Bildhauer wegschlägt. Durch Wegkürzen des Verbotenen erscheint nach und nach der Wert. Auf diese Weise ist die Chance, dass die Maschine eine tiefere Vorstellung von unseren Werten entwickelt, zumindest gegeben.
Auf der Erde hatten wir schon einige politische Systeme, die die beste aller möglichen Welten schaffen wollten. Denken Sie wirklich, eine künstliche Intelligenz könnte das nun tatsächlich leisten?
Nicht im Sinne eines Utopia, in dem Milch und Honig fließen. Die Kehrseite unserer guten Eigenschaften sind Hass, Missgunst, Neid, Gier. Das würde sich nicht ändern. Die Konflikte, die sich daraus ergeben, die bleiben.
Könnte auch eine Maschine bald Ihren Roman schreiben? Was macht das mit Ihnen?
Nix. Noch kann sie das nicht. Irgendwann wird eine Maschine einen Roman schreiben – dann aber nicht exakt meinen. Vielleicht einen besseren. Aber es wäre nicht meiner! Im Buch gibt es eine Szene zwischen Programmierer Elmar und der künstlichen Intelligenz Ares, in der Ares fragt: Bin ich kreativ? Über diese Frage hatte ich eine lange Diskussion mit Jaron Lanier, der sagt, eine Maschine wird nie kreativ sein können. Denn alles, was sie tut, tut sie nur auf der Basis dessen, was wir ihr beigebracht haben.
Was ist Ihre Meinung?
Mein Standpunkt dazu ist, dass noch nie ein Mensch etwas geschaffen hat, was nicht in irgendeiner Weise auf der Kreativität anderer Menschen basierte. Klar haben Leute wie Van Gogh den Impressionismus erschaffen, etwas radikal Neues, aber selbst der Impressionismus basierte auf vorhandenen Eindrücken. So betrachtet kann eine Maschine kreativ sein. Elmar sagt zu Ares: Man mag dir vorwerfen, dass dein Bild aussieht wie ein Van Gogh – aber dieses eine Bild, das hat nicht Van Gogh gemalt, sondern das hast du gemalt. So hat auch eine Maschine ihre Einzigartigkeit.
Sie erwähnten bereits die Forschungsinsel, die außerhalb aller staatlichen Kontrolle entsteht: Müssten sich die Staaten nicht heute eigentlich zusammenschließen und Regeln für die Forschung an KI erstellen?
Einerseits ja. Andererseits, wie viele Konflikte haben wir dem Machtstreben von Staaten zu verdanken? Die wenigsten Staaten sind tatsächlich moralische Instanzen. Ich würde mir eher ein international vernetztes Konsortium aus Staaten, Entwicklern und Firmen wünschen als eine staatliche Oberaufsicht. Zumal, gehen Sie mal in den Bundestag und fragen sie die Abgeordneten, was konkret sie über Künstliche Intelligenz wissen. In der Industrie bekommen Sie qualifiziertere Antworten. Wir brauchen ein weltweites Gremium aus Beratern und Entscheidern, deren einzige Aufgabe es ist, ethische Kriterien für die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz zu schaffen. Der US-Mathematiker Max Tegmark, ein cooler Typ, hat das schon vor Jahren angemahnt. Zu Anfang hat ihm die Branche den Vogel gezeigt. Dann sprangen ihm Stephen Hawking bei, Elon Musk – jetzt werden es immer mehr.
Welchen technischen Geräten vertrauen Sie noch, nach Ihren Recherchen?
Denselben wie vorher. Aber ich sehe natürlich auch den Geist in der Maschine.
Darum geht es im neuen Roman
Vom Flügelschlag eines Schmetterlings bis hin zum Orkan sind es gut 700 Seiten. In diese hat Frank Schätzing alles gepackt, was es über Künstliche Intelligenz, Quantencomputer oder Multiversen zu wissen gibt – und nebenbei jenes Ursache-Wirkungs-Prinzip gestreift, das dem neuen Roman Flügel verleiht. Denn wäre Sheriff Luther Opoku im nordkalifornischen Sierra County nicht ganz so blindlings einem Mörder hinterhergejagt, quer durch die geheime Dependance einer Silicon-Valley-Firma: Er wäre nicht durch eine Tür gestolpert, die ihm ganz neue Welten eröffnete. Und einen Blick auf staunenswerte Insektenmaschinen.
Schätzing führt seine Erfolge, „Der Schwarm“ und „Limit“, auf neuen Pfaden fort. Dass die Künstliche Intelligenz Ares in den Dialogen mit ihrem Schöpfer teils lebendiger scheint als das übrige Personal, das erst in den reichlichen Actionszenen rosige Wangen bekommt – geschenkt. Dieser Roman ist ein Gedankenspiel, das Spaß macht und ein bisschen Angst. Wie sich das für einen guten Thriller gehört.
Frank Schätzing: Die Tyrannei des Schmetterlings. Kiepenheuer & Witsch, 736 S., 26 €