Dokumentarfilmer Konstantin Flemig hat ein Buch über den Kriegsreporter-Alltag geschrieben. Im Interview erzählt er von der Arbeit an der Front.

Aus reiner Abenteuerlust über Kriegsgebiete schreiben – das halten die von Ihnen befragten Journalisten für falsch. Wie kamen Sie dazu, aus Krisengebieten berichten?

Natürlich ist das ein sehr prestigeträchtiger Job. Ich habe wohl mit einer Art Grundidealismus angefangen. 2003 waren die Zeitungen voll von Protesten gegen den Irakkrieg – in einem Blatt habe ich ganz hinten eine kleine Meldung über das Ende des Zweiten Kongokriegs gefunden. Der unglaubliche Zahlen an Opfern gefordert hat. Und habe mich gefragt, über welche Konflikte berichten wir überhaupt?

Es folgte ein Lehrgang bei der Bundeswehr für Journalisten in Krisengebieten. Welche Sicherheitsvorkehrungen treffen Sie, wenn Sie vor Ort arbeiten?

Bei der Bundeswehr lernt man vormittags Theorie, die dann auf dem Truppenübungsplatz durchgespielt wird. Es gibt eine simulierte Geiselnahme. Wie wir uns dann vor Ort verhalten, hängt ganz von der Situation und Region ab. Da kommt das Gelernte schnell wieder. Man versucht etwa, einen 360-Grad-Blick zu haben, um nicht in Schusslinie zu sein. In Rakka, der ehemaligen IS-Hauptstadt, haben wir etwa alle fünfzehn Minuten den Ort gewechselt, damit sich nicht herumspricht, dass Journalisten da sind und wir nicht entführt werden. Wir haben auch keine Presse-Westen getragen, um nicht auf uns aufmerksam zu machen. 2017 in Mossul waren wir mit voller Ausrüstung unterwegs.

Aus welchen Gebieten haben Sie denn schon berichtet?

Ich war unterwegs im Libanon, Kongo, in Somalia und in den kurdischen Gebieten in Syrien und im Irak. Dort bin ich mindestens einmal im Jahr. Mich interessiert vor allem, was abseits der Frontlinien passiert, wie es der Zivilbevölkerung geht. Zuletzt habe ich in der Ost-Ukraine gedreht, wo der Krieg in den sechsten Winter ging.

Sogenannte „Fixer“ vermitteln Journalisten in unübersichtlichen Krisengebieten Gesprächspartner, ermöglichen Themen und Einsichten. Wo sind Ihnen statt Fakten „Fakes“ begegnet?

Auf Fake News bin ich zum Glück noch nicht reingefallen. Wichtig ist, ein gutes Netzwerk in Krisenregionen zu haben. Bei der Arbeit mit Fixern ist Vertrauen essenziell. Die Quellenlage kann auch in Europa schwierig sein, in Kriegsgebieten hat man das Problem aber hundertfach. Journalisten können Risiken der Falschberichterstattung minimieren, indem sie die Übersetzungen checken und Fakten nachprüfen.

In Ihrem Buch ordnen die Journalisten die Akteure in Kriegsgebieten – etwa die Rolle der Kurden in Nordsyrien und im Nordirak – teilweise komplett entgegengesetzt ein.

Die Wahrnehmungen sind sehr unterschiedlich. Deshalb ist es so wichtig, dass verschiedene Journalisten vor Ort sind. Ein einfaches Bild, eine Schwarz-weiß-Darstellung, ist für den Journalismus verführerisch, weil sie leicht zu erklären und zu verstehen ist. Wenn keine Kriegsjournalisten mehr vor Ort sind, nimmt die Öffentlichkeit nur noch das wahr, was Armeen jeglicher Seite ihnen vermitteln.

In Deutschland haben Medien zunehmend mit Misstrauen zu kämpfen. Wie steht die Zivilbevölkerung in Krisengebieten europäischen Journalisten gegenüber?

Die schlechteste Erfahrung habe ich in Ruanda gemacht. Zuvor hatte es einen regierungskritischen BBC-Bericht über die Zeit nach dem Völkermord gegeben. Eine Anti-BBC-Stimmung wurde von der Regierung gepuscht, die Bevölkerung war Journalisten gegenüber sehr misstrauisch. Auch unter Journalisten gibt es schwarze Schafe, die ihre Arbeit nicht ordentlich machen. Das merken sich die Menschen. Da können Journalisten viel verbrannte Erde für ihre Kollegen hinterlassen. Bei den Jesiden war es das genaue Gegenteil – weil der Westen dort eingegriffen hatte, waren sie offen.

Der Journalist Klaus Petrus sagte Ihnen, Reporter bräuchten eine „verdammt gute Legitimation“, um in Kriegsgebiete zu reisen und wieder dorthin zurückzukehren, wo sie sicher sind.

Ich war 2015 im Irak, in einem lange umkämpften Dorf. Ein Bulldozer hat dort einen Haufen getöteter IS-Kämpfer abgeladen. Wir haben beobachtet, wie eine Frau die Leichen angeschrien und bespuckt hat. Sie hatte ihren Sohn zuvor im Kampf gegen den IS verloren. Diese Wut und Trauer war so surreal. Wir haben das nicht gefilmt, das war zu intim. Aber das war ein Fehler, denn in diesem Moment waren wir einfach nur Touristen. Das Einzige, was unsere Anwesenheit legitimiert hätte, wäre zu filmen. Das war unsere einzige Aufgabe als Journalisten. Man kann später noch entscheiden, ob man das sendet.

„Man kann schnell innerlich zu Asche verfallen“, sagte Ihnen eine Reporterin. Wie gehen Sie selbst mit den Erlebnissen um?

Ich komme mit dem, was ich gesehen habe, relativ gut klar. Ich rede und schreibe viel darüber. Es macht mich wütend, dass manche Menschen ein Stück Papier haben, das sie zu etwas „Besserem“ macht und in Sicherheit bringt – und andere nicht. Diese Wut möchte ich für meine Arbeit kanalisieren.

Sie haben diese Frage Ihren Interviewpartnern gestellt, nun geben wir sie zurück: Kann Journalismus die Welt verändern?

Auf jeden Fall. Wenn auch manchmal nur im Kleinen. Aber das darf auch nicht unterschätzt werden. Wenn gar nicht erst berichtet wird, gibt es überhaupt keine Veränderung.


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