Gelsenkirchen. Fiktiv und Fantasy? Bei „Game of Thrones“ sieht Theologe Thomas Dietz erstaunliche Parallelen zu christlichen Glaubensfragen und dem Coronavirus.

Thorsten Dietz hat schon mehrere Bücher geschrieben. „Weiterglauben“ heißt das vorletzte. Und auch wenn Dietz aus Gelsenkirchen kommt, ist es nicht – wie man vermuten könnte – die Geschichte eines Schalke-Fans, der unbeirrbar auf die nächste Meisterschaft der Knappen hofft. Es geht um Universitätstheologie und Bibelgläubigkeit. Denn Dietz ist evangelischer Theologe, einer der bekanntesten im Land. Nun hat er ein neues Buch geschrieben. „Gott in Game of Thrones“ heißt es. Ungewöhnlich? „Nicht wenn man die Serie aufmerksam verfolgt hat“, sagt der 49-jährige.

Und das hat er. Über Jahre und mit großer Begeisterung. Wie Millionen andere Menschen rund um den Globus auch. Was „Game of Thrones“ (GoT) zu einer der erfolgreichsten Serien der jüngsten Zeit macht. Sie spielt in der fiktiven Welt der sieben Königreiche von Westeros, in denen die Jahreszeiten schon mal viele Jahrzehnte dauern können.

Brutal, bildgewaltig – und ein Spiegel unserer Welt voller Glaubensfragen

Thorsten Dietz hält die Religion in „GoT“ für systemrelevant.
Thorsten Dietz hält die Religion in „GoT“ für systemrelevant. © Unbekannt | Privat

Dort kämpfen drei mächtige Adelsfamilien um den Eisernen Thron. Mit feinen Intrigen und in großen Schlachten. Eine Serie ebenso brutal wie komplex, so bildgewaltig wie überraschend. Drachen gibt es und Untote. Auf den ersten Blick ist das Fantasy. Ein wenig Mittelalter, eine Prise „Herr der Ringe“ – basierend auf den Büchern von George R.R. Martin.

Sieht man allerdings genauer hin, stellt man fest, dass die Serie viel mehr zu bieten hat. „Die Welt von Westeros hält uns einen Spiegel vor“, sagt Dietz. GoT sei nicht nur ein Actionspektakel, sondern biete eine Welt „voller Götter, Priesterinnen und Glaubensfragen“. Und letztere sind in Zeiten von Corona so aktuell wie lange nicht.

Romanfiguren, die mit der Religion ringen und sich die Sinnfrage stellen

Dietz liefert in seinem Buch viele Beispiele dafür, wie die Romanfiguren um ihre Religion ringen und nach dem Sinn ihrer eigenen Existenz fragen. Und so unterschiedlich die Völker von Westeros sind, so unterschiedlich sind auch die Mächte, an die sie glauben. Es gibt „Naturgeister“, „Die Sieben“, den „Herrn des Lichts“, den „Vielgesichtigen Gott“ oder den „Großen Hengst“. Es gibt die religiöse Reformbewegung der „Spatzen“, die stark an die englischen Puritaner erinnern, und Danaerys Targaeryen, Drachenkönigin und eine Art Heilsfigur, von der die unterschiedlichsten Menschen aus unterschiedlichsten Schichten und Ländern glauben, dass sie alle Unterdrückten dieser Welt befreien kann.

Und natürlich gibt es noch Jon Schnee, der nicht nur für die Schwächeren kämpft, der auch irgendwann für sie stirbt und wieder aufersteht und der deshalb nicht nur Thorsten Dietz an Jesus erinnert. Kurzum: Es gibt eine, wie der Theologe zusammenfasst, „höchst komplexe Religionsgeschichte“, die zahlreiche Parallelen zur heutigen Zeit aufweist. Und die nicht weniger kritische Fragen aufwirft. Warum etwa die Götter so viel Leid zulassen, warum sie manche retten und andere nicht, sind nur zwei davon.

„Wenn der Ausnahmezustand des Lebens einbricht, ist Religion nicht mehr lächerlich.“

Was für Westeros die Weißen Wanderer und die Armee der Toten ist, ist – auch wenn weder George R.R. Martin noch die Drehbuchautoren beim Schreiben eher an den Klimawandel gedacht haben – für viele Menschen heute das Corona Virus.

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Eine globale Gefahr, die man eher ahnt als wirklich kennt. Eine Bedrohung, die viele lange nicht ernst nehmen, bis sie plötzlich kaum noch aufgehalten werden kann. Und bei der sich für viele Bedrohte letztlich alles um die entscheidende Frage dreht: „Was kann mir in dunklen Zeiten helfen? Vielleicht Gott?“

Thorsten Dietz’ Buch „Gott in Game of Thrones“
Thorsten Dietz’ Buch „Gott in Game of Thrones“ © Unbekannt | Adeo Verlag

Wie in der Serie, sagt Dietz, spiele auch im realen Leben „die Religion für viele Menschen in ihrem Alltag längst eigentlich keine Rolle mehr“, ist vielmehr „eine Sache der Vergangenheit – lästig, lächerlich oder langweilig“. „Doch dann bricht der Ausnahmezustand des Lebens ein. Dann ist Religion nicht mehr lächerlich.“ In GoT hält sie Dietz dann sogar für „systemrelevant“.

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In der Realität seien solche Ausnahmezustände, bei denen man versuche, sich an seine Religion zu erinnern, bei vielen Menschen nur „eine Episode“. Schnell wieder vergessen, wenn die Krise vorbei ist. „So war es am 11. September, so war es bei der Finanzkrise, so wird es bei vielen auch dieses Mal wieder sein“, macht sich der Theologe keine falschen Hoffnungen.

„Für andere aber kann eine solche Erfahrung Anstoß zu einer Lebenswende sein“, sagt Dietz. Eine Gelegenheit, sich zu besinnen, dankbar zu werden für vieles, was einst selbstverständlich war, vielleicht sogar, umzukehren. „Menschen merken, dass es nicht mehr nur um sie geht, sondern um etwas Größeres“, hofft Dietz. Und im besten Fall würden sie lernen, sich zurücknehmen und für andere da zu sein.

Gott wie Drogon, der letzte Drache von Westeros: eine Herausforderung

„Wird es der Menschheit gelingen, ihre Egoismen beiseite zu stellen? Das ist die große Frage unserer Zeit“, sagt Dietz. Das sei aber auch eine Frage an jede religiöse Gruppe. „Welche Rolle wollen Gläubige bei Herausforderungen spielen, die es nach menschlichem Ermessen so noch nicht gegeben hat? Man wird sie danach beurteilen, wie sie sich in dieser Phase verhalten. Ob sie in ihrem Glauben bewegt worden sind, sich mit so vielen wie möglich für das Leben aller Menschen einzusetzen.“

Mit Gott, leitet der Theologe eine bemerkenswerte Analogie ein, sei es wie mit Drogon, dem letzten Drachen von Westeros. „Seine geschichtlichen Spuren sind nicht zu übersehen. Aber man kriegt ihn nicht in den Griff.“ Man müsse ihn immer wieder neu suchen, ihn für sich selbst entdecken. Nicht als einmaliges Erlebnis sondern als andauernde Erfahrung. „Das ist eine Herausforderung für Gläubige und Ungläubige.“

Nicht nur zu Ostern, nicht nur in Corona-Zeiten.