Mülheim. . Sabine Forster musste nach Alkoholabsturz zum „Idiotentest“ – als eine von 90 000 Deutschen im Jahr. Wie sie ihren Führerschein zurückbekam.
Mit 2,8 Promille setzt sich Sabine Forster (Name von der Redaktion geändert) hinters Steuer. Sie ist auf dem Weg zum Laden, braucht Nachschub. Dann knallt sie gegen einen Bordstein. Als die Polizei die Altenpflegerin auf den Platten aufmerksam machen will, fliegt ihre Alkoholsucht auf: Lappen weg, Geldstrafe. Das ist jetzt sechs Jahre her. „Kein normaler Mensch hätte mit so viel Alkohol im Blut fahren können, aber ich war an die großen Mengen gewöhnt“, sagt die 61-Jährige heute. Nur ein Gedanke war für sie wichtig: „Ich wollte schnell nach Hause, um weiter trinken zu können.“ Alles andere werde einem in der Sucht egal: „Man ist ein anderer Mensch.“
Und in solchen krassen Fällen auch noch ein Mensch ohne Führerschein. Ihn wiederzubekommen, davor steht eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (kurz MPU) – im Volksmund „Idiotentest“. Den zu schaffen, ist zu diesem Zeitpunkt für Sabine Forster utopisch. Erst als sie sich entscheidet, sich aus dem Strudel freizuschwimmen und trocken zu werden, werden ihr die Ausmaße ihrer Trunkenheitsfahrten klar: „Wegen mir hätte jemand sterben können.“
Kontrolle über das eigene Leben gewinnen
Krisen haben die hagere Frau gezeichnet. Lange Zeit ertränkt sie ihre Probleme, erzählt keinem, dass sie in ihrer Jugend missbraucht worden ist. Die Ehe zerbricht, die Kinder wenden sich von ihr ab.
Der Weg zurück ist lang. Selbsthilfegruppe, Traumatherapie. „Als ich mein Leben wieder soweit unter Kontrolle hatte, wollte ich auch meinen Führerschein zurück.“ Sie weist mittels Haar- und Urinproben ein Jahr Abstinenz nach und geht parallel zur MPU-Vorbereitung der Mülheimer Caritas. Beraterin Regina Wedeking kennt sie bereits über die Gruppenabende. Nach zehn Sitzungen, im März dieses Jahres, fühlt sie sich bereit – zum „Idiotentest“.
Beim Reaktionstest durchgefallen
Wie läuft das eigentlich ab? Nach einer ärztlichen Untersuchung folgt ein intensives Gespräch mit einer Verkehrspsychologin. Sabine Forster: „Ich habe einfach die Wahrheit erzählt.“ Sie legt ihre Bescheinigungen über die MPU-Vorbereitung, die Selbsthilfegruppe und die Traumatherapie vor. „Die kamen gut an.“ Bei dem Reaktionstest, dem dritten Teil der MPU, ist Sabine Forster überfordert. „Am PC sollte ich anklicken, in welche Richtung ein Männchen blickt. Dabei musste ich links und rechts umdenken.“ Das Gutachten der MPU ist positiv, beim Reaktionstest aber fällt sie durch. In der praktischen Prüfung reißt sie es raus. „Nach einer einstündigen Fahrt mit Fahrlehrer und MPU-Psychologin durch Essen hatte ich dann meinen Schein wieder.“
Damit gehört sie nach einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zu den knapp 60 Prozent der Personen, die als „geeignet“ beurteilt werden. 2000 Euro hat sie die MPU samt Vorbereitung, Abstinenznachweisen und der Fahrverhaltensbeobachtung gekostet.
Immer mehr Fahrer unter Drogeneinfluss
Ihr Fazit: „Respekt vor der MPU sollte man haben, Angst aber nicht.“ 90 000 Deutsche mussten laut BASt im Jahr 2016 zur MPU. Ursache: Trunkenheit am Steuer ab 1,6 Promille, Fahrten unter Drogeneinfluss oder zu viele Punkte in Flensburg.
Die Trinker sind mit 47 Prozent immer noch führend, obwohl die Zahl zumindest der Wiederholungstäter um elf Prozent gesunken ist. Dafür wurden deutlich mehr mit Drogen und Medikamenten erwischt – jeder Vierte! „Cannabis läuft Alkohol den Rang ab, das merken auch wir“, sagt Wedeking.
Längst nicht jeder Klient komme, wie Sabine Forster, schon einsichtig in den MPU-Kurs. „Es gibt auch hoffnungslose Fälle“, sagt Astrid Blasius, Sozialarbeiterin bei der Caritas. Wer mehrfach behaupte, nur zwei Bierchen getrunken zu haben, aber mit 1,8 Promille erwischt wurde, dem sage sie: Das ist Schönrederei! Manche kommen dann zur Einsicht, geben zu, dass sie doch schon morgens mit dem ersten Sektchen für den Kreislauf angefangen haben.
Viele verleumden ihr Problem
Andere brechen die MPU-Vorbereitung einfach ab – Durchhaltevermögen ist kein Freund von Abhängigkeit. Meist seien es junge Männer, die wegen Cannabis-Sucht Beratung suchen, wegen Alkoholauffälligkeit kämen überwiegend ältere Männer. Insgesamt waren es 51 Kandidaten im vergangenen Jahr. 15 Einzelsitzungen braucht es im Schnitt, bis der Klient fit für die MPU ist. „Viele unserer Klienten verleumden ihr Problem.“ Sprüche wie „Die anderen trinken doch auch“ fallen. Dahinter stecke oft eine Verdrängungsstrategie – sowie viel Scham.
Auch wenn es nicht leicht war, sogar hart: Offen über alles zu reden, hat Sabine Forster geholfen, wieder ein geregeltes Leben führen zu können. „Hätte ich weiter geschwiegen, hätte ich es wahrscheinlich nicht da raus geschafft“, weiß sie heute. Als Leiterin der Selbsthilfegruppe, zu der die 61-Jährige einst selbst ging, hilft sie nun anderen dabei, ihr Problem einzusehen und an sich zu arbeiten. Sie hofft, anderen eine Abkürzung auf dem langen Weg zurück zum Schein zeigen zu können.
Sechs Mythen zum „Idiotentest“
1. Beim ersten Mal fällt man durch. Viele glauben, einen „Denkzettel“ zu erhalten. Doch intensive Vorbereitung erhöht die Chance. Die Person muss ihr Problem erkannt haben, darf es nicht bagatellisieren. 2. Wer ehrlich ist, rasselt durch. In Internetforen hält sich das Gerücht, dass man die „richtigen“ Antworten auswendig lernen müsse, die der Psychologe hören will. Richtig ist vielmehr: Man sollte überzeugend erklären, was man in Zukunft ändern möchte und warum man diesen Entschluss gefasst hat.
3. Um die MPU zu umgehen, kann ich den Schein einfach in Polen machen.
Seit 2009 werden ausländische Führerscheine, die nach Entzug binnen der Sperrfrist im Ausland gemacht werden, nicht mehr anerkannt. Jeder, der es im Ausland versucht, muss den ersten Wohnsitz ein halbes Jahr in dem Land nachweisen.
4. Ich bestehe nur, wenn ich an teuren Kursen teilnehme.
Wer sich gar nicht auf die MPU vorbereitet, hat kaum Chancen auf ein positives Gutachten. Die Vorbereitung muss nicht zwangsläufig teurer sein, auch eine Psychotherapie kann den Gutachter überzeugen.
5. Im Internet bieten schwarze Schafe oft MPU-Vorbereitungskurse an.
Leider richtig. Nicht seriös sind aus Sicht der Bundesanstalt für Straßenwesen etwa Kurse, die mit Schauspielunterricht oder 100-prozentiger Erfolgsgarantie (oder gar Geld zurück) werben. Ein seriöser Berater empfiehlt nicht, erfundene Geschichten vorzutragen. Im besten Falle hat der Berater eine verkehrspsychologische Ausbildung.
6. Der Klassiker: Wenn ich kiffe, ohne danach berauscht Auto zu fahren, habe ich nichts zu befürchten.
Selbst derjenige, der nur mal einen Joint raucht und dazu ein Bier trinkt, könnte den Schein verlieren, auch wenn er nüchtern gefahren ist. Das bekräftigte 2013 ein Urteil des Leipziger Verwaltungsgerichts. Damals ging es um den Fall eines 31-Jährigen, der nie berauscht gefahren ist. Er trinke alle paar Tage Bier und kiffe etwa einmal im Monat, hatte der Mann angegeben. Das Gericht aber entschied: Der „Mischkonsum von Cannabis und Alkohol rechtfertigt selbst dann die Annahme mangelnder Fahreignung“, wenn der Konsum „nicht im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr steht“.