Essen. . Die ersten Läden mit losen Lebensmitteln eröffnen in der Region. Sie bedienen einen Lebensstil, den Ältere noch kennen und Jüngere neu entdecken.
Es ist noch nicht so lange her, da hat Christiane Teske zweimal in der Woche eine Tüte voll mit Verpackungsmüll in die Gelbe Tonne geworfen. Heute kann sie sich nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal überhaupt den Müll rausgebracht hat. Nicht nur, weil sie nun von morgens bis abends in ihrem Laden steht, sondern weil sie einfach nicht mehr so viele Plastikfolien, Kartons und Schachteln kauft. Auch ihre Kunden können darauf verzichten, weil die 52-Jährige das erste Geschäft in Essen mit verpackungsfreien Lebensmitteln eröffnet hat.
Plastik verrottet nicht
Allein im Jahr 2014 entstanden laut Bundes-Umweltamt 17,8 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle in Deutschland. Ein großer Teil des Müllbergs wird recycelt, aber Plastik zerfällt erst nach mehreren hundert Jahren und schon für die Herstellung werden Rohstoffe und Energie benötigt. Viele Menschen wollen da nicht mehr mitmachen. Aber sie wissen nicht, wie sie das anstellen sollen. Denn die Ernährungsindustrie schweißt fast alles ein, sogar Lebensmittel, die schon eine natürliche Verpackung haben: Bio-Gurken oder Bananen kommen in Folie in die Regale. Hier wollen die Unverpackt-Läden – in Kiel und Berlin gab es die ersten – eine Alternative sein.
Christiane Teske kauft das Gemüse bei einem Bio-Bauern, der selbst seine Ernte auf dem Wochenmarkt anbietet. Die Zwiebeln gibt es in ihrem Laden in Essen-Rüttenscheid ohne Netz. Der Großteil der rund 300 Produkte in „Glücklich unverpackt“ an der Rosastraße 38 sind jedoch „Trocken-Lebensmittel“: Mehl, Reis, Nudeln, Müsli und Gewürze – meist in Bio-Qualität.
Ein altes Gurkenglas voller Waschmittel
Ein junger Mann stellt eine Packung Haferflocken auf die Theke. Er hat die leere Tüte aus einem Supermarkt neu befüllt. Andere bringen Plastikbehälter oder Schraubgläser mit. Wer spontan vorbeischaut, kauft ein Einmachglas oder nimmt ein altes Gurkenglas, um es mit Waschmittel zu füllen.
Eine Frau im dunkelblauen Kostüm betritt den Laden. Sie holt kleine Boxen aus ihrer Tasche, wiegt sie und schreibt das Gewicht auf einen Aufkleber. „Der löst sich beim Spülen im Wasser auf“, erklärt Christiane Teske. Dann geht die Kundin zu den Spendern und zapft ihre Lebensmittel, die nach Gewicht abgerechnet werden. „Ich mache das wegen meiner Kinder“, sagt die Innenarchitektin Constanze Nehring. Ihre 15- und 17-jährigen Töchter haben einen Vortrag darüber gehört, wie Müll unsere Umwelt zerstört. Seitdem versuchen sie, ohne Abfälle zu leben. Anfangs sei das nicht so leicht gewesen. „Aber wenn man einmal weiß, wie es geht, ist es gar nicht so schwierig.“ Lediglich Aufschnitt sei ein Problem, „da legt sogar der Bioladen Folie zwischen die Scheiben“.
„Man hat gegessen, was es in der Region gab.“
Auch Christiane Teske hat viel mit ihren drei Kindern über die Müllberge diskutiert und sich an frühere Zeiten erinnert. In ihrer Jugend kannte sie noch Tante-Emma-Läden, ihr Vater hat sich – wie die Generation überhaupt – ganz selbstverständlich Bio ernährt. „Man hat gegessen, was es in der Region gab.“
„Wir versuchen nun, die ursprüngliche Idee in die heutige Zeit zu führen“, sagt Christiane Teskes Tochter Lucy, die Gesellschaftswissenschaften studiert. Die 22-Jährige unterstützt ihre Mutter im Laden und postet Neuigkeiten auf Facebook.
Die nächste Kundin nimmt sich ein Leinensäckchen, das man für 20 Cent im Laden kaufen und wieder mitbringen kann. Christiane Teske: „Meine Mama und meine Tochter haben sie genäht.“. Die Kundin hält die Öffnung des Beutels unter einen Spender, drückt den Hebel und schon füllt sich das Säckchen mit Walnüssen. „Huch, so viel wollte ich gar nicht“, sagt die Kundin. Dabei kauft sie jetzt weniger, als wenn sie eine ganze Packung im Supermarkt mitgenommen hätte. Noch ein Vorteil: Im Unverpackt-Laden bekommt man auch kleinere Mengen. Nur so viel, wie man für den nächsten Kuchen braucht.
Grünes Licht vom Gesundheitsamt
Wenn man jedoch einmal das Lebensmittel in einen Behälter abgefüllt hat, geht es damit zur Kasse. Hier wird nichts zurückgefüllt. „Aus hygienischen Gründen“, sagt Christiane Teske. Wenn die ehemalige Krankenschwester die Spender mit den Lebensmitteln aus 25-Kilogramm-Säcken von oben befüllt, schiebt sie sich zuvor das Haar unter eine Haube, desinfiziert die Hände und zieht Schutzhandschuhe an. „Das Gesundheitsamt war da. Auch von dort haben wir grünes Licht.“
Auf den Spendern steht das Haltbarkeitsdatum. Das muss man sich notieren, wenn man nicht nur mit Augen und Nase testen möchte, ob ein Lebensmittel noch gut ist. Ist das Glas mit Reis fast leer, kann man den Inhalt in eine Schüssel füllen, mit dem Glas neuen Reis im Unverpackt-Laden zapfen und dann daheim den Rest-Reis wieder oben auf den frischen geben, rät Teske. So ist garantiert, dass man stets das ältere Lebensmittel als erstes aufbraucht.
Nicht so teuer, wie manche denken
Die Preise entsprechen etwa denen in Bio-Läden oder Marken-Supermärkten. Für Bio-Penne zahlt man 0,46 Euro pro 100g. Die Zahnbürste, deren Stiel aus Bambus ist, kostet zwischen 3,50 und 3,90 Euro. Die feste Haarseife allerdings 8,50 Euro. „Damit kommt man aber doppelt und dreifach aus“, sagt Christiane Teske, die den Kosmetik-Bereich ausbauen möchte. Auch eine Frische-Theke kann sie sich vorstellen, mit Käse und losem Quark. Allerdings sind da die Hygiene-Vorschriften strenger. Da darf das Glas des Kunden nicht hinter die Theke. Er muss es auf einem Tablett überreichen. „Wenn die Kunden frische Produkte möchten, mache ich das aber auch.“
Allerlei verpackungsfrei in Bottrop
Bottrop. Auch in Bottrop gibt es eine Familie, die generationenübergreifend überzeugt ist von der Idee eines Unverpackt-Ladens: Mutter und Sohn, Annette und Sebastian Metzgen, wollen Mitte Juni „Allerlei verpackungsfrei“ an der Gladbeckerstraße 19 eröffnen.
Um die Einrichtung zu finanzieren und möglichst viele Produkte direkt zu Anfang anbieten zu können, ziehen sie das Ganze als Crowdfunding-Projekt auf. Viele Menschen haben sich bereits an der Gemeinschafts-Finanzierung beteiligt. Da das Ziel von 35 000 Euro jedoch noch nicht erreicht ist, haben sie die Aktion bei www.startnext.com nun bis zum 15. Juli verlängert.
Auch bei „Allerlei verpackungsfrei“ soll es Getreide und Zucker, Kaffee und Kakao, Hülsen- und Trockenfrüchte geben. Zudem sollen Pflegemittel und Tierfutter Teil des Programms werden. Auch hier kann man Gefäße mitbringen, in die man die Produkte füllt.
Die Füllbar in Witten
Witten. Studentinnen der Uni Witten/Herdecke liegt die Umwelt derart am Herzen, dass sie am vergangenen Wochenende die „Füllbar“ im Wiesenviertel in Witten, Steinstraße 15, eröffnet haben. Auch dort gibt es Nudeln, Backpulver und Dinkelkerne ohne Verpackungen.
Die jungen Frauen haben einen Verein gegründet, auch um die Selbstständigkeit zu umgehen. Sechs Leute gehören heute zum festen Team sowie ein Pool von Helfern. Alle arbeiten zunächst ehrenamtlich. Finanziert wurde das Projekt über Spenden. Geld, das das Team einnimmt, fließt zurück in die Füllbar.
Die Macher haben darauf geachtet, dass die Behälter, in denen sie Linsen, Haferflocken oder Reis anbieten, ebenfalls aus nachhaltigem Material hergestellt sind. So werden viele der 60 Produkte in Gläsern angeboten. Die Holzkonstruktion, an der sie befestigt sind, ist Handarbeit. mit AnK
So können Sie noch mehr Verpackungsmüll sparen...
In Läden nachfragen: Wer fragt, bekommt in herkömmlichen Läden ebenfalls Lebensmittel ohne Verpackung. Röstereien füllen zum Beispiel die Kaffeebohnen auch direkt in eine Dose. Einige Bioläden bieten lose Lebensmittel an, das Veggihaus an der Kortumstraße in Bochum hat etwa eine Müsli-Bar. Auf Wochenmärkten oder in Bauernhof-Läden bekommt man das Gemüse ebenfalls unverpackt. Und wozu Blumen für den Weg nach Hause einwickeln lassen?
Frischhaltefolie: Es gibt Alternativen zu Alu- oder Frischhaltefolie. Ein Küchentuch kann auch eine Schale mit Teig abdecken. Oder man nimmt wiederverwertbare Folie, etwa welche aus Baumwolle und Bienenwachs. Darin kann man auch Käse einwickeln. Und es gibt Butterbrotbeutel, die man wieder befüllen kann.
Kaffee to go: Ein riesiger Müllberg entsteht durch einmal benutzte Kaffee-Becher mit Plastikdeckel. Dabei gibt es sie auch zum Wiederbefüllen. Milch kann man in Mehrwegflaschen kaufen. Manche Höfe haben auch Milchtankstellen. Und Kaltgetränke bestellt man einfach ohne Strohhalm.
Wasser aus dem Hahn: Das Wasser in Deutschland wird so gut kontrolliert, dass man sich die Flaschen sparen kann. Wer es nur prickelnd mag: Mittlerweile gibt es Sprudel-Systeme für den Wasserhahn.
Beutel in der Tasche: Es ist so einfach, man muss nur daran denken: Wer immer einen Beutel dabei hat, braucht nicht eine neue Tüte im Supermarkt zu kaufen. Gemüse kann man ebenfalls ohne die kleinen Plastiktüten aufs Band an der Kasse legen. Wie man plastikfrei leben kann, macht uns Ruanda vor. In dem kleinen Land in Ostafrika ist die Plastiktüte seit über zehn Jahren verboten.