Essen. . Der Doktor wagt erste Schritte als Argentinischer Tangotänzer. Stratmann erzählt von den Drehungen in seinem Leben und was ihn aus dem Takt bringt.

Haltung bewahren kann er später noch. Erst mal muss der Doktor lernen zu spüren und zu führen. Vorsichtig berührt er beide Oberarme seiner Tanzlehrerin, die es ihm gleichtut. So schreiten sie durch den Saal. „Das ist sooo schwierig, so langsam zu tanzen“, stöhnt Ludger Stratmann, als die Tangomusik verstummt. Sogleich wippt er mit den Beinen, schnippt mit den Fingern. Langsam liegt ihm nicht. Wenn er normalerweise auf die Tanzfläche geht, dann zur schnellen Musik: „Hoppel, Hoppel.“ Dabei war der Kabarettist sofort Feuer und Flamme, sich mal als Argentinischer Tangotänzer zu versuchen: „Ich bin gespannt, wie man so einen etwas unbeweglich gewordenen Organismus auf eine elegante Art gut aussehen lässt.“

In schneller Schrittfolge hat Stratmann die Spitze der Kabarettisten-Szene erklommen. Dabei hat er sich erst mit 45 Jahren dazu bitten lassen. „Für meine Frau war das nicht so schön. Die hat gesagt, der hat ne Mitlife-Crisis, der spinnt jetzt, der verkauft eine gutgehende Praxis in Bottrop!“, erinnert sich der 66-Jährige an die Zeit, als seine Frau noch mit einem Arzt und nicht mit einem Komiker verheiratet war.

Ludger Stratmann in Tangopose.
Ludger Stratmann in Tangopose. © Volker Hartmann

Zusammen mit seinem Bruder Christian, der heute den RevuePalast Ruhr in Herten leitet, ließ er seinen Traum vom Theater wahr werden. Seit den ersten Kabarettauftritten als Student ließ er ihn nicht los. Sie kauften das Amerikahaus in Essen, das nun weit über die Reviergrenzen hinaus als Europahaus bekannt ist, als sein Stratmanns-Theater. „Ich habe den Schritt nicht bereut, nicht einen Tag.“ Die Menschen mochten auch den Arzt, aber: „Ich hatte immer Angst, etwas falsch zu machen. Heute würden sie ihr Eintrittsgeld verlieren, früher ihr Leben.“

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Stratmanns Gesicht erinnert mit der ersten Sekunde der Stunde bereits an das eines schmerzerprobten Tango-Tänzers. Nicht dass seine Tanzpartnerin Rebekka Weckesser ihm auf die wildgemusterten Schuhe gestiegen wäre. Und auch die 25-Jährige beteuert später, der Doktor sei ihr „nur ein einziges Mal“ auf die Füße getreten. Stratmann ist hochkonzentriert. Sein Lächeln lächelt er nur für den Kameramann. Er will alles richtig machen, niemanden enttäuschen. „Ich mag es nicht, wenn die Menschen unzufrieden sind.“

Der Doktor lernt: Rebekka Weckesser und Klaus Wendel zeigen, wie es geht.
Der Doktor lernt: Rebekka Weckesser und Klaus Wendel zeigen, wie es geht. © Volker Hartmann

Höflichen Applaus kann er nur schwer ertragen. Stratmann klatscht langsam in die Hände. „Ich höre das!“ Dabei wird er diesen müden Ton in Wirklichkeit nur selten hören, so groß ist seine Fangemeinde. Aber es geht ihm um den Einzelnen. „Es passiert schon mal, in der ersten, zweiten Reihe, die ich ja noch sehen kann, dass nach der Pause zwei junge Leute fehlen. Dann bin ich einen Moment beleidigt.“

Diesen Ehrgeiz hatte er noch nicht als junger Mensch. Die sensible Seite aber schon. „Ich war ein Spinner, ein Träumer“, erinnert sich Stratmann an die Zeit nach dem Tod seines Vaters, als er zehnjährig mit seiner Mutter und den acht Geschwistern von Verl bei Gütersloh nach Essen zu Verwandten an die Ruhrallee zog. „Ich habe so ziemlich alle Schulen durch, von der Volksschule aufs Gymnasium, dann auf die Realschule, zurück zur Volksschule, dann ein Versuch auf der Handelsschule, dann Sparkassenlehre, dann Abendgymnasium. Ich musste Disziplin erst lernen.“

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Ein Schulpsychologe hatte anfangs behauptet, der Ludger eigene sich nur für einen „Anlernberuf für leichtere Anreichungen im Bauhandwerk“. „Der hat meinen Weg vorgezeichnet, dass dann alle anderen sagten: Der Ludger, der ist so ein bisschen doof. Da brauchen wir uns nicht mehr drum kümmern, der macht irgendwann eine Baulehre und gut ist.“ Stratmann ärgert sich noch heute darüber, wenn Kinder schon früh in eine gedankliche Schublade gesteckt werden. „Jeder weiß doch, dass es Leute gibt, die später durchstarten.“

Seine Frau zeigte ihm das Leben neben Micky Maus

Seine Frau habe ihm sehr geholfen, „Ordnung in den Kopp“ zu kriegen. „Sie hat richtige Bücher gelesen, nicht wie ich Micky Maus und Jerry Cotton“, sagt der zweifache Vater lachend. Sie studierte bereits Sozialpädagogik, als sie sich in der Essener Disco „Kaleidoskop“ kennen lernten. In den „Kiffladen“ ging er damals mehr zum Gucken als zum Tanzen.

Tango-Tanz mit Stratmann

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    Wo bleibt die große Geste, wundert sich Stratmann, während er seine Tanzpartnerin sich einmal drehen lässt. Diesen Zahn muss der Tangolehrer dem Doktor ziehen: „Wir tanzen Tango de Salón“, sagt Klaus Wendel von „Sencillo“, die nach eigenen Angaben älteste Tangoschule im Ruhrgebiet, die Stunden in den Räumen der Essener Schule „Dance & More“ gibt. Die ausladenden Bewegungen, die Frauen-Wirbelsäulen knacken lassen, hätten nichts mit dem ursprünglichen Tango in Buenos Aires zu tun. Das sähe man nur bei Bühnen-Shows.

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    Dabei fühlt sich Stratmann genau dort so wohl, auf der Bühne. Und das seit 20 Jahren. Er hat schon Medizin-Kabarett gemacht, als noch keiner den Namen Hirschhausen kannte. Selbst die prüdesten Menschen schüttelten sich vor Lachen, wenn der Arzt vom „Pilz inne Buxe“ erzählte und über so manches medizinisches Hilfsmittel meckerte.

    Während einer Vorstellung vor drei Jahren fühlte er seinen eigenen Puls. Viel zu niedrig! In der Klinik hat ein Arzt gemeint: „Man könnte es auch medikamentös versuchen. Aber ich habe ja Auftritte, ich muss ja fit sein.“ Für die Bühne. Er ließ sich einen Herzschrittmacher einsetzen. „Das Ding tut mir gut.“ Nur die Fahrerei ist er heute so satt, die Hotels. „Ich will nicht mehr so viel vorm Kopp haben.“ Daher hat er sich von den Tourzeiten verabschiedet, von den Hausbesuchen. Wer zum Doktor will, muss in sein Theater gehen.

    Jupps Kneipentheater im Fernsehen

    Die Auftritte dort mag er auch lieber als die im Fernsehen in seinem erfolgreichem „Kneipentheater“. Obwohl die Moderation der Kabarettsendung seine Figur Jupp noch bekannter gemacht hat. Aber die Dialoge schreibt da ein Autor. Und Stratmann formuliert seine Nörgeleien lieber selbst, spürt als Bühnenarbeiter Jupp den Irrsinn des Alltags auf, zeigt den Ruhri mit seinen guten wie grantigen Eigenheiten.

    Stratmann liebt Schuhe. Übers Parkett tanzt er mit einem wildgemusterten Paar aus Rom.
    Stratmann liebt Schuhe. Übers Parkett tanzt er mit einem wildgemusterten Paar aus Rom. © Volker Hartmann

    Zurzeit arbeitet Stratmann an seinem sechsten Soloprogramm, das im März in seinem Theater, das heute der Sohn Philipp managt, Premiere feiert. Der Titel: „Pathologisch“. „Jupp ist tot. Er liegt im Pathologiesaal. Seine ersten Worte werden sein: ,Du merkst nichts, du merkst gar nichts.’ Dann fängt er an, sich über sein Leben aufzuregen.“

    Und wenn Sie auf Ihren bisherigen Lebensweg zurückblicken, Herr Stratmann, welchem Tanz gleicht er? Einem langsamen Blues, einem drehreichen Walzer, einem feurigen Tango? Der Doktor: „Es ist Hoppel-Hoppel, nix Strukturiertes, also kein klassischer Standardtanz.“

    Termine im Stratmanns-Theater