Essen. KI verändert alle Berufe rasant, das erschwert Vermittlung von Zuwanderern und Arbeitslosen. Wie er das ändern will, sagt BA-NRW-Chef Schüßler.

Mehr Zuwanderung, mehr Qualifizierung und ganz neue Strukturen braucht es im Kampf gegen den Fachkräftemangel – sagt Roland Schüßler, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA) in NRW, im Gespräch mit unserer Zeitung. Denn Künstliche Intelligenz werde jeden einzelnen Beruf verändern. Um künftig das passende Personal unter den aktuell Beschäftigten, Arbeitslosen und Zuwanderern zu finden, müssten Arbeitgeber, Gewerkschaften, Bildungsträger, Unis und Behörden ganz neue Wege gehen. Zum Beispiel, um die schleppende Integration qualifizierter Zuwanderer zu beschleunigen.

Herr Schüßler, was bewegt Sie derzeit am meisten?

Roland Schüßler: Wie wir dem großen Problem Fachkräftemangel begegnen. Arbeitslose zu qualifizieren, bleibt wichtig, wird aber nicht reichen. Wir brauchen auch mehr Zuwanderung und auch die Qualifizierung von Beschäftigten wird immer wichtiger. Mit 7,3 Millionen Beschäftigten in NRW ist das mit Abstand die größte der drei Säulen, um die wir uns gleichzeitig kümmern müssen.

5000 Berufe und keiner, der sich nicht verändert

Beschäftigte als Hauptklientel der Arbeitsagentur? Klingt nach einem Paradigmenwechsel.

Schüßler: Ich möchte nicht der Reparaturbetrieb sein, als solcher könnten wir auch nicht viel erreichen und deshalb mische ich mich vorne ein. Die Bundesagentur ist einer von mehreren Akteuren, die jetzt zusammenarbeiten müssen. Wir haben 340 Ausbildungsberufe, aber insgesamt rund 5000 Berufe – und darunter ist keiner, der sich nicht verändert. Wo es hingeht, wissen wir in vielen Fällen noch gar nicht. Deshalb müssen wir zusammen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften ein Bild davon entwickeln, wie sich welcher Beruf verändern wird.

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Es fehlt Ihnen an Zusammenarbeit?

Schüßler: Nein, auf dem Lehrstellenmarkt haben wir mit dem Ausbildungskonsens eine vorbildliche Struktur, für den Arbeitsmarkt noch nicht. Wenn wir vergleichbare Strukturen für den Arbeitsmarkt und vielleicht auch für die Zuwanderung schaffen könnten, hätten wir als NRW einen echten Vorteil.

Warum gibt es die noch nicht?

Schüßler: Weil es komplizierter ist. Wenn Arbeitgeber wissen, dass bestimmte Tätigkeiten etwa durch Künstliche Intelligenz wegfallen oder sich stark verändern, an anderer Stelle aber neue Tätigkeiten benötigt werden, kann ich als Bundesagentur Drehscheiben organisieren. Wenn ich weiß, welche Fähigkeiten gefragt sind, kann ich Arbeitslose gezielter qualifizieren. Und ganz wichtig: Ich kann nach Zuwanderer-Gruppen suchen, die sich für diese Tätigkeiten eignen. Wir müssen solche Strukturen schaffen. Die Fachkräfteinitiative von Landesarbeitsminister Laumann ist ein guter erster Schritt.

Hilft das neue Zuwanderungsgesetz der Bundesregierung?

Schüßler: Wir begrüßen jede Erleichterung.

Im Interview mit unserer Redaktion: BA-NRW-Chef Roland Schüßler.
Im Interview mit unserer Redaktion: BA-NRW-Chef Roland Schüßler. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Klingt nicht sehr euphorisch.

Schüßler: Nun, wir müssen das mit Leben füllen, wenn wir die benötigten 80.000 Arbeitsmigranten pro Jahr nach NRW holen wollen. Die deutsche Sprache ist die größte Hürde, der Sprachkurs muss im Ausland gemacht – und bezahlt werden. Ebenso das Flugticket. In Deutschland muss dann zuerst der Berufsabschluss anerkannt werden. Das alles muss jemand vernetzen. Dass sich ein Einzelner auf den Weg macht, ohne hier auf entsprechende Strukturen zu treffen, glaube ich nicht.

Die Ukrainer und die deutsche Bürokratie

Seit gut einem Jahr kommen wegen des Krieges viele Ukrainerinnen und Ukrainer zu uns. Sie seien als Fachkräfte hochwillkommen, heißt es aus Arbeitgeberverbänden. Aber heißt unser Arbeitsmarkt sie auch willkommen?

Schüßler: Wir haben in unseren Jobcentern 107.000 gemeldete Ukrainerinnen und Ukrainer, darunter 70 Prozent Frauen. Das sind in der Regel hoch motivierte Menschen, sieben von zehn haben einen Berufsabschluss oder studiert. Und jeder Dritte will in Deutschland bleiben, auch wenn der Krieg in der Heimat vorbei ist. Doch sie müssen zuerst Sprachkurse machen, ihre Abschlüsse anerkennen lassen, und wir brauchen für die meisten eine Kinderbetreuung, damit sie arbeiten gehen können. Wenn wir das nicht zusammen denken, können wir sie nicht vermitteln. Auch hier muss also vieles mehr ineinander greifen.

Bedeutet aktuell?

Schüßler: Dass viele jetzt aus den Sprachkursen kommen und erst einmal arbeitslos werden. Wenn wir qualifikationsadäquat in Arbeit vermitteln wollen, sind wir von den Anerkennungen der ausländischen Berufsabschlüsse abhängig. Nach unseren Erfahrungen dauert das mehrere Monate, darauf haben wir in der BA keinen Einfluss. Wir können also erst mit Nachqualifizierungen anfangen, wenn die Anerkennungsstelle uns mitteilt, was noch fehlt. Viel besser wäre es, wenn die Berufsanerkennung parallel zum Sprachkurs laufen würde. Zum Vergleich: Im letzten Jahr gab es in NRW 10.000 Anerkennungen von Berufsabschlüssen – bei allein zehnmal so vielen Menschen aus der Ukraine.

Andere Strategie als bei syrischen Flüchtlingen

Lassen sich die Menschen aus der Ukraine leichter integrieren als die Kriegsflüchtlinge aus Syrien?

Schüßler: Seinerzeit ging es um eine schnellstmögliche Integration. Viele syrische Flüchtlinge sind deshalb in Helferjobs gegangen. Das wollen wir jetzt anders machen und die Menschen so qualifizieren, dass sie bei uns in ihren erlernten Berufen arbeiten können. Unter den Ukrainerinnen sind zum Beispiel viele Erzieherinnen, die wir dringend brauchen.

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Arbeitgeber setzen im Kampf gegen Fachkräftemangel auch auf Künstliche Intelligenz (KI), die Beschäftigten fürchten genau das. Wo droht KI die meisten menschlichen Arbeitskräfte zu ersetzen?

Schüßler: Das lässt sich so nicht sagen. Wer in einem Großunternehmen arbeitet, wird in der Regel nicht mehr von der Ausbildung bis zur Rente dasselbe machen. Wir haben einen digitalen Job-Futuromaten, in dem jeder nachschauen kann, wie viel Prozent der Kerntätigkeiten seines Berufes sich automatisieren lässt. Das muss nicht heißen, dass das auch passiert, aber für uns gehört es zur Transparenz dazu.

Ersetzt KI meinen Job? Blick in Futuromaten

Mein Beruf als Redakteur lässt sich laut Ihrem Futuromaten zu 17 Prozent ersetzen. Ist das gut?

Schüßler: Der Wert liegt in vielen Berufen deutlich höher. In den meisten Fällen heißt das aber trotzdem nicht, dass diese Berufe wegfallen, sondern dass sich die Arbeitsplätze besonders stark verändern. Laut IAB-Studie (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Anm. d. Red.) entstehen zudem genauso viele neue Jobs wie alte wegfallen.

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Kommt deshalb eine neue Umschulungswelle im Zuge des KI-Vormarsches auf Sie zu?

Schüßler: Die Arbeitswelt verändert sich immer stärker, deshalb nimmt die Qualifizierungsarbeit zu. Auch das schaffen wir nicht allein. Ein gerade eingestellter Mechatroniker lässt sich im Zweifel gut zum Softwareentwickler weiterbilden, ein Mechaniker, der seit 30 Jahren dabei ist, eher nicht. Wir müssen zusammen mit Kammern, Betrieben, Bildungsträgern und auch Universitäten schauen, wie sich welche Berufe verändern. Die Unis können dabei helfen und etwa Studieninhalte wie Robotik blockweise in wenigen Monaten vermitteln. Gerade bei KI kommen viele Bildungsträger alleine an ihre Grenzen.

Ist die Vorstellung mancher Arbeitgeberfunktionäre, dass Verwaltungsangestellte, Versicherungskaufleute und Call-Center-Beschäftigte künftig in Altenheimen, auf dem Bau oder am Flughafen arbeiten, nicht naiv?

Schüßler: In der Pandemie haben wir gesehen, wie flexibel Menschen werden, wenn sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Während der Zwangsschließungen der Gastronomie sind viele aus der Branche in andere Berufe gewechselt und nicht mehr zurückgekommen. Ob im Zusammenhang mit KI, Zuwanderung oder Langzeitarbeitslosen: Wir müssen künftig mehr auf die Kompetenzen der Menschen gucken, nicht mehr nur auf ihre Berufsabschlüsse.

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Dass zu wenig Nachwuchs von den Schulen kommt, verschärft den Fachkräftemangel weiter. Wie ist die Lage kurz vor Ende des Ausbildungsjahres?

Schüßler: Wir haben fast überall mehr Ausbildungsstellen als Bewerber. Nur im Ruhrgebiet ist es noch umgekehrt, aber auch hier schließt sich die Lücke. Die Landesregierung will mit einem Gesetz Beruf und Studium für gleichwertig erklären. Aber auch das müssen wir erst noch mit Leben füllen. Arbeitgeber sollten offener werden für Jugendliche, die nicht ihren Idealvorstellungen entsprechen. Und wir müssen in der Berufsorientierung auch bei den Eltern Vorurteile ausräumen.

Die Vorurteile der Eltern entscheiden oft über Berufswahl

Bei den Eltern?

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Schüßler: Ja, wir wissen, dass für 80 bis 90 Prozent der Jugendlichen der Rat der Eltern entscheidend ist bei der Wahl für einen Beruf oder ein Studium. Und tatsächlich sind es oft vor allem die Eltern, die etwa den Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik immer noch mit dem alten Berufsbild verbinden, welches sich stark gewandelt hat. Wir planen digitale Elternabende, auf denen wir viele Berufe vorstellen und den Eltern erklären, dass zum Beispiel der Heizungstechniker von heute mit dem Laptop unterwegs ist.