Duisburg/Dortmund. An diesem Freitag wird das Modellschiff Ella im Duisburger Hafen getauft. Wie das Schiff lernen soll ohne Kapitän am Steuer zu fahren.

Ein Schiff, das ohne Kapitän am Steuer fährt: Die Ruhrwirtschaft fordert seit Jahren ein Testfeld für autonom fahrende Binnenschiffe. Nun ist es soweit: An diesem Freitag soll „Ella“ im Duisburger Hafen getauft werden. Vollgestopft mit Radar, Sensoren und Kameras soll das gerade vom Stapel gelaufene Schiff auf dem Dortmund-Ems-Kanal zwischen Waltrop und Dortmund das autonome Fahren lernen.

Rupert Henn hat es sich nicht nehmen lassen, persönlich dabei zu sein, als Ella in der vergangenen Woche von der Werft Feller Yachting in Wetter an der Ruhr nach Duisburg überführt wurde. Henn ist Geschäftsführer des Entwicklungszentrums für Schiffstechnik und Transportysteme (DST) in Duisburg und einer der Väter von Ella. „Ich habe mir gedacht: Wenn Autos autonom fahren können, dann ist es bei Schiffen nicht anders“, sagt der Wissenschaftler im Gespräch mit unserer Redaktion.

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Im Vergleich zu den großen Pötten, die gemeinhin auf dem Rhein und in den Kanälen unterwegs sind, geht die Ella fast unter. Das Binnenschiff wurde in Wetter im Maßstab 1:6 gebaut, um leichter bewegt werden zu können. Die Mini-Version muss sich hinter den Originalen aber nicht verstecken. „Im Maßstab 1:6 sind alle Algorithmen abbildbar, die wir brauchen. Mit einer Länge von 15 Metern fällt Ella in die Kategorie Kleinfahrzeuge“, sagt Henn. Mit 800.000 Euro fördert das Bundesverkehrsministerium das Projekt.

Autonomes Fahren: Künstliche Intelligenz erkennt Ruderer auf dem Kanal

Und genau um diese Algorithmen wird es in den nächsten Jahren gehen. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz wollen die Duisburger Wissenschaftler Ella mit allen Widrigkeiten und außerplanmäßigen Ereignissen vertraut machen, mit denen ein Schiff im Verkehr auf dem Kanal gemeinhin konfrontiert wird. Wenn Ella demnächst zwischen Waltrop und Dortmund unterwegs sein wird, sitzt der Schiffsführer in Duisburg oder sonst wo am Computer. „Mit einer Reihe von Assistenzprogrammen können wir Ella fernsteuern“, schwärmt Henn und macht zugleich eine Einschränkung. „Aus rechtlichen Gründen muss aber noch ein Mensch mit Kleinschifferzeugnis an Bord sein, um bei Bedarf einzugreifen.“

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Spaziergänger am Dortmund-Ems-Kanal müssen sich also keine Sorgen machen, wenn sie das vermeintliche Geisterschiff auf dem Wasser erblicken werden. „Ella muss jetzt lernen, einen Ruderer auf dem Kanal zu erkennen oder Hindernisse, die plötzlich auftauchen“, erklärt der DST-Geschäftsführer. Das Schiff werde im Laufe der Zeit unterschiedliche Szenarien aus dem praktischen Leben über Radar, Sensoren und Kameras nach dem Prinzip Versuch und Irrtum kennenlernen und im Gedächtnis der Künstlichen Intelligenz abspeichern.

Frisch vom Stapel gelassen liegt das Modellschiff Ella im Duisburger Hafen, um dort ausgerüstet zu werden. 
Frisch vom Stapel gelassen liegt das Modellschiff Ella im Duisburger Hafen, um dort ausgerüstet zu werden.  © Rupert Henn | Rupert Henn

Dazu gehören freilich auch die sehr unterschiedlichen Wetterbedingungen, denen sich das autonome Schiff im Laufe eines Jahres ohne Kapitän an Bord aussetzen muss. „Wir arbeiten natürlich zum Teil unter Laborbedingungen. Ella muss bei jedem Wetter fehlerfrei fahren – bei Schneetreiben und schlechten Lichtverhältnissen“, meint Henn. Alle denkbaren Szenarien wollen die Wissenschaftler simulieren – und zwar über Ellas digitalen Zwillingen, den sie im Institut auf ihren Rechnern haben. „Auf diese Weise wollen wir jede Kinderkrankheit ausmerzen“, nennt der Geschäftsführer das Ziel.

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Und da ein Binnenschiff nicht nur gemütlich durch das Ruhrgebiet schippert, sondern auch Fracht an Bord hat, wird Ella auch eine Menge Logistik lernen müssen: Kohle laden in Rotterdam, durch die Schleuse in Herne fahren und in Gelsenkirchen die Ladung löschen. All das wird viel Zeit in Anspruch nehmen. „Wir rechnen damit, dass die Testphase Ende des Jahrzehnts abgeschlossen sein wird“, prophezeit Henn. Für die kommerzielle Nutzung des autonomen Systems auf bestehenden Binnenschiffen werde es dann noch einmal einige Jahre brauchen. Und dann gibt es ja auch noch die politisch-juristische Seite. „Wann die europäische Harmonisierung des Rechtsrahmens kommen wird, ist nicht absehbar“, räumt der Wissenschaftler ein.

Schiff wird aus dem Büro ferngesteuert

An der Notwendigkeit, die Binnenschifffahrt zu digitalisieren, hat er trotz aller formalen Hürden keinerlei Zweifel. „Die Automatisierungstechnik ersetzt den Schiffsführer. Der Fachkräftemangel ist ein großes Problem unter den Partikulieren“, sagt Henn. Die Branche ist im Umbruch. „Viele Schiffsführer sind 60 Jahre oder älter. Es ist zu erwarten, dass viele kleine Partikuliere verschwinden werden, weil sie keine Nachfolger finden. Die Binnenschifffahrt wird zunehmend geprägt werden von den großen Reedereien“, meint der DST-Geschäftsführer.

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Schiffseigner, so seine Beobachtung, hätten zunehmend Probleme, qualifizierten Nachwuchs zu finden. „Unter jungen Leuten geht die Bereitschaft zurück, abwechselnd zwei Wochen an Bord zu leben und zwei Wochen an Land“, berichtet Henn. Die Automatisierung werde das Anforderungsprofil grundlegend wandeln. Der Wissenschaftler: „Durch eine Fernsteuerung wird die Schiffsführung in weiten Teilen zum Bürojob. Im Ernstfall kann das Schiff auch von zu Hause bedient werden.“

>>> Ruhrwirtschaft

Die Ruhrwirtschaft fordert seit Jahren, dass das Ruhrgebiet Testfeld für autonome Binnenschiffe wird. „Wir freuen uns riesig, dass aus unserer Studie vom November 2018 eine ganze Projektfamilie wie ein Simulator, das Hafenlabor zur Automatisierung des Güterumschlags und jetzt Ella entstanden ist“, sagt Ocke Hamann, Geschäftsführer bei der Duisburger IHK. „Das hilft uns dabei, den Verkehr von der Straße aufs Wasser zu verlagern.“

Auch wenn die Testphase noch viele Jahre dauern, glaubt der Verkehrsexperte an einen wirtschaflichen Schub. „Die Vision ist das autonome Fahren. Dazwischen liegen viele Schritte wie die Fernsteuerung von Schiffen“, so Hamann. „Sie ermöglicht einen Betrieb rund um die Uhr und hat große wirtschaftliche Vorteile.“