Gelsenkirchen. Für die Weihnachtsgans werden Rekordpreise fällig: Importe im Supermarkt doppelt so teuer, heimische Gänse ein Fünftel. Ein Bauer erklärt, warum.

Feuchte, kühle Luft liegt über der riesigen Wiese mit Blick auf die Pauluskirche im grünen Norden von Gelsenkirchen. Bei diesem Wetter sind sie alle draußen, bewegen sich wie in Schwärmen, nur am Boden statt in der Luft: Eine große Schar ausgewachsener Gänse marschiert flatternd, kreischend und zu den fremden Besuchern auch mal fauchend Michael Föcker und seinem großen Eimer hinterher, der hier und da eine Hand Hafer fliegen lässt. Was die schneeweißen Langhälse nicht wissen: Sie sind die wertvollsten ihrer Art aller Zeiten.

Zumindest in Deutschland war die Weihnachtsgans noch nie so teuer wie in diesem Jahr. Auch Michael Föcker, einer von rund 560 Landwirten in NRW, die Gänse mästen, muss mit 17,50 je Kilo einen Rekordpreis aufrufen – drei Euro mehr als im letzten Jahr. Damit bewegt sich der Gelsenkirchener Geflügelbauer aber noch am unteren Rand der Preise für heimische Gänse: Viele Höfe rufen bereits bis zu 20 Euro und mehr auf, die Preise sind durchschnittlich um etwa ein Fünftel geklettert.

Alle Gänse zu verkaufen, war nie ein Problem – bisher

Damit ist in Zeiten knapper Haushaltskassen infolge der Rekordinflation für viele die Schmerzgrenze erreicht. Ob er in diesem Jahr alle seine 300 Gänse bis Weihnachten verkaufen wird? „Ich hoffe. Die Bestellungen laufen ganz gut, vor allem von Stammkunden“, sagt der 35-Jährige. Dass er hoffen muss, ist neu für ihn, in den vielen Jahren zuvor war es für den Eckermannshof in Gelsenkirchen-Resse nie ein Problem, auch die letzte Gans loszuwerden, jetzt sind noch einige zu haben. Die nebenan weit weniger elegant watschelnden Puten werden für 14,50 Euro das Kilo wohl leichter weggehen, obwohl auch das ein neuer Preisrekord ist.

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Die Inflation macht fast alles teurer, vor allem Lebensmittel. Größtes Problem in der Tiermast: Der Krieg in der Ukraine vor allem die Futterpreise in die Höhe getrieben. Auch die Energie-Rekordpreise treiben die Fleischpreise vor allem bei Schweinen, weniger bei den Freilandgänsen, die ihr etwa achtmonatiges Leben vom Schlüpfen bis zur Schlachtung fast nur draußen verbringen. Beim Federvieh kommen dafür die Folgen der in Europa grassierenden Geflügelpest hinzu: In Deutschland mussten in diesem Jahr rund 40.000 Gänse gekeult werden. Auch das knappe Angebot lässt die Preise steigen. Und weil diese schwere Form der Vogelgrippe bereits im vergangenen Jahr wütete, gab es dieses Jahr ohnehin weniger Küken.

Futterkosten um 35 Prozent gestiegen

300 federleichte gelbe Küken hat Michael Föcker im Mai gekauft – „50 weniger als sonst“, erzählt er. Erstmals hat er sie als „Tagesküken“, also frisch geschlüpft auf seinen Hof geholt, bisher immer erst nach sechs Wochen. Doch das wäre ihm diesmal zu teuer gewesen, so hat er 4,60 Euro je Küken gezahlt und bis zum Sommer mit eigenem Weizen bis ins Teeniealter groß gezogen. Danach füttert er bis zur Schlachtung Hafer, den er zukaufen muss – „das Futter ist um 35 Prozent teurer geworden, ich brauche dieses Jahr zehn Euro je Tier“, sagt der Landwirt. Und er brauchte noch mehr: Weil die Trockenheit das Gras auf der Wiese nicht üppig genug hat werden lassen, musste er Vitamine zusetzen, für weitere 700 Euro.

Landwirt Michael Föcker füttert seine Freilandgänse mit Hafer.
Landwirt Michael Föcker füttert seine Freilandgänse mit Hafer. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Wenn seine Gänse vor dem Fest abgeholt werden, wird Föcker sie selbst schlachten. Sein Großvater hat vor gut 40 Jahren mit der Gänsemast angefangen, der in unvermuteter Idylle zwischen Gelsenkirchen, Herten und Recklinghausen liegende Hof ist schon seit 300 Jahren in Familienhand, nur hat der Bergbau ihn und die große Gänsewiese inzwischen zehn Meter tiefer gelegt. Nach einer halben Stunde verlieren die Zweibeiner langsam ihre Scheu und schauen sich die Gäste genauer an. Ihr Schlachtgewicht haben sie bereits annähernd erreicht, durchschnittlich 4,5 Kilogramm.

Macht knapp 80 Euro für die ganze Gans. Ein Preis, bei dem fast alle Gastronomen abwinken. Würden sie heimische Gänse braten, müssten sie für das Tier mit Beilagen mehr als 200 Euro aufrufen, also mehr als 50 Euro pro Person. Aus diesem Grund landen fast alle deutschen Gänse in privaten Öfen, in Restaurants fast ausschließlich osteuropäische. Mehr als vier von fünf Gänsen werden importiert, fast alle kommen aus Polen oder Ungarn, meist tiefgekühlt. Auch sie sind deutlich teurer, der Kilopreis für die Polnische Hafermastgans hat sich fast verdoppelt – auf acht bis zehn Euro und mehr im Groß- und Einzelhandel.

Gastronomen bieten günstigere Alternativen an

Damit sind sie immer noch deutlich günstiger als die regionalen Gänse, für viele Gastronomen trotzdem schon zu teuer: Mehr als drei von vier Restaurantbetreibern gaben in einer Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga an, ihre Gänse-Menüs durch günstigere Alternativen zu ergänzen oder gar zu ersetzen. Das sind vor allem Wild-, Enten- oder Rindergerichte.

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„Viele Leute sagen immer, sie würden auf regionale Produkte achten, tun es dann aber nicht“, sagt Landwirt Föcker. Wie er rät wenig überraschend auch der Rheinische Landwirtschaftsverband (RLV) von der polnischen Tiefkühl-Gans ab – aus Qualitäts- und Tierwohlgründen. Dabei haben sie die Verbraucherschutzzentrale und Tierschutzverbände wie die „Vier Pfoten“ auf ihrer Seite: Sie kritisieren die in Osteuropa übliche Intensivmast, in der die Tiere in nur zehn Wochen mit Kraftfutter fett gefüttert werden, meist unter Kunstlicht in großen Hallen.

In Ungarn dürfen Gänse noch gestopft werden

In Ungarn ist sogar noch die in Deutschland und verbotene Herstellung von Gänsestopfleber erlaubt, die als Foie Gras teuer nach Frankreich exportiert wird. Das Tiefkühlfleisch für Deutschland wird so zum Nebenprodukt. Die Tiere bekommen Rohre in den Schlund gestopft und die fünffache der normalen Futtermenge eingetrichtert – auf dass die Leber krankhaft fett wird. In Polen und Ungarn ist zudem auch das Daunenrupfen vom lebendigen Leib noch erlaubt.

Die Verbraucherzentrale NRW rät deshalb zum Kauf regionaler Gänse aus Freilandhaltung. So wie vom Eckermannshof der Föckers in Gelsenkirchen. Was, wenn er nicht alle Gänse verkauft bekommt, was passiert dann mit ihnen? „Dann schlachten wir sie für uns selbst“, sagt Michael Föcker. Die Familie ist groß, die Tafel lang, wenn alle kommen. Und seine Augen verraten, dass ihm diese Mahlzeiten die liebsten sind.