Witten. In NRW wird immer mehr Kürbis angebaut. Warum in diesem Jahr der Hokkaido besser als der Butternut wächst, erklärt eine Biobäuerin aus Witten.

Welch Gewusel: Die Ranken winden sich am Boden in alle Richtungen, schaffen einen Dschungel aus Blättern, grünen Trieben und hölzernem Gestrüpp, aus dem es hie und da leuchtet. Feuerrot der Hokkaido, bläulich-orange der Muskat und gelb die Zucchini, die mitwachsen darf auf Vera Gebauers Kürbisfeld. Von ihrem „Schachbrett“ ist nichts mehr zu sehen, das sie im Mai angelegt hat. Akkurat in Quadraten gepflanzt, um die jungen Früchte leichter pflegen zu können, entwickelt der Kürbis bald seinen eigenen Kopf und wächst, wohin ihm dieser steht.

Die Wittener Gemüsebäuerin trägt natürlich eine orangene Jacke, die leuchtende Farbe nennt sie als ersten Grund auf die „Warum Kürbis?“-Frage. „Die Farbe, die Frucht und die Vielfalt haben es mir angetan“, sagt Vera Gebauer. Sie baut neben Tomaten, Gurken und Zucchini vor allem Kürbis an – aber nur so viel, wie sie selbst verkaufen kann. Für ihren Direktvertrieb reicht ihr deshalb der viertel Hektar, auf dem wir gerade versuchen, nicht auf die Pflanzen zu treten und nach Kürbissen suchen, deren Stielansatz anfängt zu verholzen – das Zeichen für die Erntereife.

Halloween treibt auch hierzulande den Kürbisabsatz

Denn jetzt im September ist Hochsaison, die Deutschen kaufen laut Marktforschungsanalysen 60 Prozent ihrer Kürbisse in den Monaten September und Oktober ein, bis Halloween eben. Das amerikanische Gruselfest ist auch hierzulande ein Hauptgrund für den seit vielen Jahren ungebrochenen Aufstieg der fleischigen Gemüsekolosse, es ist sogar Namensgeber für den großen, hellorangenen Halloween-Kürbis, der auf den unteren Feldern von Gebauers Schachbrett wächst. Auch er ist essbar, betont Gebauer. Doch natürlich werden auch in viele ihrer Halloween-Kürbisse Fratzen geritzt.

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Doch auch als Gemüse hat der Kürbis einen steilen Aufstieg hinter sich, wird im Supermarkt inzwischen ganzjährig verkauft. „Wir sehen seit Jahren einen Kürbis-Boom, die Nachfrage ist deutlich gewachsen“, sagt Peter Muß, zweiter Geschäftsführer des Provinzialverbands rheinischer Obst- und Gemüsebauern. 18.600 Tonnen wurden 2020 in NRW geerntet, die Anbaufläche wuchs Jahr für Jahr – von 2015 bis 2021 um mehr als ein Viertel auf 968 Hektar. Nur in Bayern wächst noch mehr Kürbis.

Pferdemist statt Düngemittel spart aktuell viel Geld

Es seien „sehr spezialisierte Betriebe“, die Kürbis anbauen, sagt Agraringenieur Muß. Der größte sitzt in Hürth – dort baut die Kürbis Company auf mehreren Hundert Hektar an und ist damit einer der größten Kürbisproduzenten Deutschlands. Vera Gebauers Betrieb dürfte zu den kleinsten im Land gehören. In der aktuellen Energiekrise hat ihr Bioanbau aber mehrere Vorteile: Der Spritverbrauch hält sich in Grenzen, sie setzt zwar Maschinen ein, erledigt vieles aber auch von Hand. Und dass sie keinen Kunstdünger verwenden darf, ist angesichts der als Folge des Ukraine-Krieges explodierten Düngemittelpreise ein großes Glück. Ihren Dünger bekommt sie umsonst – aus dem Pferdestall ihres Bruders. „Pferdemist ist ideal für Kürbis“, sagt sie. Und lacht.

Der Halloween-Hype hat in Deutschland auch den Kürbisumsatz angekurbelt. Die großen Halloween-Kürbisse haben aber im Vergleich mit Hokkaido, Butternut oder Muskatkürbis am wenigsten Aroma.
Der Halloween-Hype hat in Deutschland auch den Kürbisumsatz angekurbelt. Die großen Halloween-Kürbisse haben aber im Vergleich mit Hokkaido, Butternut oder Muskatkürbis am wenigsten Aroma. © dpa | Patrick Pleul

Ohnehin lacht Vera Gebauer viel, trotz des trockenen Sommers ist sie einigermaßen zufrieden mit der Ernte. Die Früchte sind wegen der Dürre im Sommer kleiner als sonst, die ganz großen ließen sich aber ohnehin nicht so gut verkaufen. „Anders als Südeuropäer kaufen die Deutschen Kürbisse nicht angeschnitten, sondern nur ganz“, sagt sie. Ihre Sorten, Hokkaido, Muskat, Halloween-, Spaghetti- und Butternut-Kürbis, geben mit der Aussaat im Mai zugleich eine gute Risikostreuung ab. „Die einen brauchen im Frühsommer Regen, die anderen später, irgendeiner wächst immer gut, in Summe sind die Ernten ziemlich stabil“, sagt sie. Dieses Jahr haben der trockene Juli und August dem spät wachsenden Butternut ziemlich zugesetzt, umso erfreuter ist Gebauer, dass sie nun kurz vor Ernteschluss doch noch einige der hellbraunen Birnenkürbisse erblickt.

Muskatkürbis lässt sich bis Mai lagern

Der Butternut sei perfekt zum Backen, der Hokkaido landet oft in Suppen, ist wegen seiner essbaren Schale aber auch ein tolles Ofengemüse. Der Muskat de Provence kann alles, hat einen sehr eigenen, süßlich-fruchtigen Geschmack, der ihn auch mariniert als Rohkost und für Süßspeisen qualifiziert. Vor allem aber, sagt Gebauer, lässt er sich sehr lange lagern – bis Mai. Auch der feuerrote Hokkaido hält bis März, was Gebauers Kürbissaison eine willkommene Verlängerung beschert.

Die Preise müsse sie in diesem Jahr nicht erhöhen, sie liegen freilich über denen der konventionellen Ware im Supermarkt. Den Zweieinhalb-Kilo-Hokkaido, den sie gerade erntet, wird sie für mehr als zehn Euro verkaufen. Am günstigsten ist der Halloween-Kürbis für rund zwei Euro das Kilo. Der Muskatkürbis kostet gut das Dreifache, von ihm bleibt aber wegen der wenigen Kerne und der dünnen Schale mehr Fruchtfleisch übrig. Ihr Aufwand sei nicht vergleichbar mit dem in konventionellen Großbetrieben, sagt die 50-Jährige. Und einen guten Teil ihrer möglichen Umsätze knabbern noch stets die Feldmäuse ab. Sie zu bekämpfen, überlässt sie ganz dem Bussard.

Hof in vierter Generation: „Heute braucht man eine Nische“

Auf dem in vierter Generation geführten Hof verließ Vera Gebauer zunächst die eingetretenen Pfade, arbeitete als Stadtplanerin und Projektmanagerin im Immobilienbereich. Mit 40 dann stieg sie aus, Zeit für den Hof, für was ganz eigenes, Zeit für ihre Nische in der Landwirtschaft. „Heutzutage braucht es ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt sie. Ihres ist der im Ruhrgebiet seltene Anbau von Bio-Kürbis, aber auch ihr Laden unten in Witten-Buchholz.

Dort verkauft sie neben ihrem auch das Biogemüse anderer Höfe aus der Nachbarschaft, Forellen aus dem Muttental und lokales Bier. Und alte, selten gewordene Apfelsorten, an diesem Morgen hat sie Jakob Lebel und Dülmener Rosenäpfel gesammelt. Die Sorten abseits der Supermarktware liefen sehr gut, sagt sie. Dass die Leute insgesamt weniger kaufen, merkt auch Vera Gebauer in ihrem kleinen Laden. Doch klagen mag sie nicht, auf ihre Stammkunden sei Verlass.