Neuss. 5,9 Millionen Menschen sind überschuldet – so wenige wie nie. Doch die Trendwende naht, meint Creditreform. So sieht es in den Revierstädten aus.

Die Energiekrise dürfte viele Menschen in die Überschuldung treiben, befürchtet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Das Neusser Unternehmen hat 15,6 Millionen Menschen in Deutschland ausgemacht, die gefährdet sind, ihre Energierechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Jeden fünften Haushalt drohen demnach die Strom- und Gaskosten zu überfordern.

Nicht jeder werde deshalb eine Privatinsolvenz erleiden, aber die Energiekrise berge „ein erhebliches Risiko“ für einen Anstieg der Überschuldungen zum Ende dieses und im ersten Halbjahr des kommenden Jahres. Creditreform rechnet deshalb damit, „dass die deutsche Gesellschaft aktuell vor einer Zeitenwende bei der Überschuldung steht“, sagte Stephan Vila, Chef der Creditreform-Tochter Boniversum.

Historischer Tiefstand an Überschuldungen

Zunächst aber registrieren die Wirtschaftsforscher in ihrem am Dienstag vorgestellten Schuldenatlas für 2022 einen erneuten historischen Tiefstand an überschuldeten Bürgerinnen und Bürgern: Aktuell gelten demnach rund 5,88 Millionen Menschen in Deutschland als überschuldet, das sind 274.000 weniger als vor einem Jahr. Von allen Erwachsenen sind damit 8,48 Prozent „nachhaltig zahlungsgestört“, wie die Bonitätsexperten es formulieren.

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Dass die Zahlen trotz der noch immer nachwirkenden Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und der sich abzeichnenden Rezession in Deutschland weiter gesunken sind, erklärt Creditreform mit den vielen staatlichen Stützmaßnahmen für Unternehmen wie Verbraucher sowie mit der Kaufzurückhaltung der Leute. Sie kaufen weniger ein, weil sie spüren, dass es knapp in der Kasse wird. Was vor allem den Einzelhandel in diesem Herbst und dem nahenden Adventsgeschäft große Probleme bereitet, verhindert bisher eine Zunahme der Privatinsolvenzen.

Für viele Gründe privater Überschuldung können die Betroffenen nichts. Quelle: Creditreform, Schuldenatlas 2022
Für viele Gründe privater Überschuldung können die Betroffenen nichts. Quelle: Creditreform, Schuldenatlas 2022 © dpa | dpa-infografik GmbH

Hohe Energiekosten erhöhen Gefahr der Überschuldung

Aber: „Die guten Zahlen sind leider trügerisch“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Denn das in den vergangenen Monaten und Jahren gesparte Geld sei vielfach schon wieder aufgebraucht. „Das trifft jetzt vor allem Geringverdiener, die auch in normalen Zeiten nicht viel auf die Seite legen können“, sagte Hantzsch. Wenn nun die Rekordinflation durchschlage, drohe die Trendumkehr bei den Überschuldungen.

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Nach wie vor können im Ruhrgebiet besonders viele Menschen ihre laufenden Rechnungen nicht mehr bezahlen. Gelsenkirchen hat mit 16,9 Prozent aller Erwachsenen die bundesweit zweithöchste Verschuldungsquote, sie ist anders als in fast allen Städten und Kreisen auch nicht gesunken. Auch Herne (16,4 Prozent), Duisburg (15,9 Prozent) und Hagen (15,4 Prozent) finden sich in den deutschen Flop-Ten-Städten in Sachen Überschuldung.

Die Überschuldungsquoten 2022 in den Ruhrgebietsstädten:

  • Gelsenkirchen: 16,9 Prozent (+0,0 Prozent gegenüber 2021)
  • Herne: 16,44 Prozent (-2,26)
  • Duisburg: 15,87 Prozent (-1,79)
  • Hagen: 15,41 Prozent (-0,9)
  • Essen: 12,45 Prozent (-3,79)
  • Dortmund: 12,44 Prozent (-2,28)
  • Kreis Recklinghausen: 12,26 Prozent (-2,15)
  • Bochum: 11,28 Prozent (-1,83)
  • Mülheim an der Ruhr: 10,49 Prozent (-2,33)
  • Düsseldorf: 9,9 Prozent (-5,62)
  • Ennepe-Ruhr-Kreis: 9,77 Prozent (-2,59)
  • Kreis Wesel: 8,78 Prozent (-3,2)
  • Kreis Mettmann: 8,61 Prozent (-5,7)
  • NRW: 10,05 Prozent (-4,01)
  • Deutschland: 8,48 Prozent (-4,29)

Boniversum-Geschäftsführer Vila appellierte, überschuldete Menschen nicht zu stigmatisieren. Denn die häufigsten Gründe für ihr finanzielles Abrutschen prallen von außen auf sie herein: Arbeitslosigkeit, Krankheit/Unfall sowie Trennung, Scheidung und Tod. Unwirtschaftliche Haushaltsführung ist auch ein häufiger Grund für Überschuldung, in insgesamt rund 860.000 von 5,9 Millionen Fällen. Dauerhaftes Niedrigeinkommen ist für 680.000 Überschuldungen verantwortlich.