Essen. Viele Queere Menschen fürchten, im Betrieb diskriminiert zu werden und verzichten auf ein Outing. Es gibt aber Fortschritte in der Firmenkultur.
Mögen sie beim Christopher Street Day noch Stolz zelebrieren und ein buntes Fest feiern - an ihren Arbeitsplätzen erfahren lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Beschäftigte jedoch immer noch Diskriminierung. Aber zunehmend gibt es auch Fortschritte und respektvollen Umgang mit Mitgliedern der LGBTQ-Community. Wir haben mit zwei Unternehmerinnen und einer Arbeitnehmerin gesprochen, warum die Lage in den Unternehmen so unterschiedlich ist.
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„Damit anders sein endlich normal wird“, ist in diesen Tagen ein Buch mit dem Titel „Generation Rainbox“ erschienen. Die bunten Farben des Regenbogens symbolisieren Diversität. Viele Unternehmen bekennen sich dazu und zeigen den Regenbogen an ihren Fassaden oder auf ihren Internetseiten. 15 Konzerne haben sich zum Diversity Netzwerk Rhein-Ruhr zusammengeschlossen, unter ihnen die Deutsche Post, Telekom, Vodafone, Thyssenkrupp, Eon, Metro und der Tüv Rheinland. Aus Umfragen ist aber bekannt, dass andere Lebensformen als die heterosexuelle längst noch nicht als Normalität akzeptiert werden.
„Es ist ein Menschenrecht so zu sein, wie man ist“
„Es ist ein Menschenrecht so zu sein, wie man ist“, sagt Annika Zawadzki. „Die Zahlen aus den Studien zeigen aber, dass es noch viel zu tun gibt.“ Zawadzki ist Mitautorin des Buchs „Generation Rainbow“ und Partnerin bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) in Köln. Das Unternehmen, aber auch zahlreiche Forschungsinstitute haben erhoben, dass es vor allem queere junge Menschen immer noch schwer haben. Drei von zehn Befragten einer Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft gaben an, dass sie im Arbeitsleben während der vergangenen zwei Jahre Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität erfahren haben. Vier von zehn Transsexuellen berichten einer anderen Studie zufolge, dass sie im Job weniger Informationen erhalten, von Kommunikation ausgeschlossen und schlechter bewertet werden.
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Die Furcht vor Ausgrenzung ist oft der Grund. Deshalb vermeiden vier von zehn jungen LGBTIQ-Menschen, sich gegenüber ihren Arbeitskolleginnen und -kollegen zu outen. 22 Prozent befürchten ein Karriererisiko, wie die Boston Consulting Group herausfand. Vier von zehn jungen Queeren greifen im Gespräch mit Vorgesetzten deshalb eher zur Lüge und stehen nicht zu ihrer sexuellen Orientierung.
„Frauen sorgen sich vor Diskriminierung. Sie haben Angst davor, stigmatisiert zu werden, obwohl sie in ihrem Beruf so kompetent sind wie andere“, sagt Annika Zawadzki. Das habe Folgen für die Frauen selbst, aber auch für die Produktivität des Unternehmens. „Man fühlt sich nicht richtig wohl, man ist nicht richtig präsent im Job. Deshalb haben es die Beschäftigten schwer, ihr volles Potenzial zu entfalten.“
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Dass es Frauen oft schwerer haben als Männer, bestätigt auch Mitautorin Juliane Kronen. „Aus den Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten, ist immer wieder zu hören: Wir kennen nur schwule Männer, aber keine lesbischen Frauen. Für Frauen ist es schwieriger, sich zu outen. Dabei ist es sehr anstrengend für sie, wenn sie sich verstecken müssen“, sagt die Gründerin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Kölner Innatura GmbH, die sich auf die Weiterverwertung neuwertiger Ware spezialisiert hat.
Letztlich sei es eine persönliche Entscheidung, ob sich Menschen mit ihrer privaten Seite im Betrieb öffnen, meint Kronen. „Das gilt allerdings nicht für Führungspositionen, dort hat man keine Wahl, sondern muss Vorbild sein“, betont sie. In den Geschäftsführungen und Vorgesetzten sehen die beiden Autorinnen den größten Hebel, Ängste zu nehmen und für ein offenes Klima zu sorgen. „Das Signal muss von oben kommen, dass Diversität unterstützt wird“, fordert Zawadzki. „Wenn die Führungsgremien im Unternehmen erkannt haben, dass Diversität wichtig ist, dann stellt sich Fortschritt schneller ein“, argumentiert sie. Immer mehr Firmen beriefen Chief Diversity Officer, die auch mit einem Budget ausgestattet werden. „Das Unternehmen holt dann wahnsinnig auf“, meint Zawadzki.
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Fortschritt erkennt auch Juliane Kronen, aber längst nicht überall. „Manche Unternehmen sind schon sehr weit beim Kulturwandel. Andere brauchen länger. Vor allem in manchen Branchen, wie zum Beispiel Banken und Versicherungen, gibt es viele konservative weiße Männer. Dort ändert sich die Kultur langsamer“, sagt sie. Unternehmen seien eben auch Ausschnitte der gesellschaftlichen Realität. „Im Mittelstand tut man sich immer noch schwer, Frauen einzustellen.“
Der Fachkräftemangel beschleunigt den Wandel
Der grassierende Arbeitskräftemangel sorge überdies dafür, dass der kulturelle Wandel Fahrt aufnimmt. „Durch den Kampf um Talente tut sich aktuell viel. Deshalb wächst in den Unternehmen die Erkenntnis, dass man Menschen ganzheitlich abholen muss. Wir brauchen jede und jeden einzelnen“, erklärt Kronen. Auch wenn die Frauen die Rolle von Führungskräften unterstreichen, erinnern sie freilich auch daran, dass Menschen viel früher von ihren Familien geprägt werden. „Die Einstellung zu Diversität wird entscheidend im Elternhaus geprägt“, sagt Annika Zawadzki. „Es kommt demnach auch auf die Sozialisierung an.“