Essen. . Sarah Ungar hat sich bei Thyssenkrupp als transsexuelle Frau geoutet. Weil sie Mutmacherin sein will, spricht sie offen über ihre Entscheidung.

Als Sarah Ungar vor zwölf Jahren zu Thyssenkrupp kam, war sie noch „Herr Ungar“. Schnell ging es steil bergauf: Führungskraft mit 27, Verantwortung für vier Standorte und 400 Beschäftigte, ein Arbeitstag prallvoll mit Terminen. Zu den beruflichen Anstrengungen kam ein erzwungenes Versteckspiel. „Im Job habe ich einen Mann gespielt, privat habe ich mich als Frau verabredet“, erzählt Ungar. Nach zehn Jahren im Konzern, sieben davon in leitender Funktion, outete sie sich als transsexuelle Frau.

Sarah Ungar ist eine der wenigen Managerinnen, die offen über ihr Coming-out sprechen. Entsprechend häufig bekommt sie Anfragen von Fernseh- oder Radiosendern, gelegentlich tritt Ungar bei Podiumsdiskussionen auf, auch Chefs großer deutscher Konzerne haben sie schon zum Gespräch gebeten, um von ihren Erfahrungen zu lernen. Bei Thyssenkrupp arbeitet die 37-Jährige aus Duisburg mittlerweile als interne Karriereberaterin für die Führungskräfte des Essener Industriekonzerns. „Ich möchte nicht auf die Transsexualität beschränkt werden“, sagt Ungar. „Mein Hauptberuf ist Personalmanagement.“

Rückendeckung von der Konzernleitung

Bei Thyssenkrupp kann Sarah Ungar so frei agieren, weil sie dafür die Rückendeckung der Unternehmensleitung hat. „Wir sind ein buntes Unternehmen und profitieren von dieser Vielfalt“, sagt Thyssenkrupp-Personalvorstand Oliver Burkhard. „Wenn Mitarbeitende ihre sexuelle Orientierung verbergen müssen, kostet das viel Kraft, die im Job fehlt. Für uns zählt der ganze Mensch, alles andere passt nicht zu unserer Kultur.“ Wenn ihm jemand vorhalte, ob er als Vorstandsmitglied nichts Wichtigeres zu tun habe, entgegne er: „Nein, es gibt nichts Wichtigeres als motivierte Beschäftigte.“

Thyssenkrupp ist seit 2016 Mitglied im Konzern-Netzwerk ­„Proutemployer“, dem mittlerweile rund 30 große Unternehmen angehören, darunter Bayer, Deutsche Bank, Post, Telekom, Metro, Siemens und SAP. Das Netzwerk will sich dafür einsetzen, dass die Arbeitswelt offen ist für alle Menschen – unabhängig davon, wen sie lieben oder welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen.

„Ich hatte Angst, alles zu verlieren“

Auch Sarah Ungar hat großen Druck vor ihrem Coming-out empfunden. „Ich hatte Angst, alles zu verlieren – meine Familie und Freunde, den Arbeitsplatz, meinen Status als Führungskraft“, erzählt sie. Andererseits sei es sehr kräftezehrend gewesen, beruflich ein anderes Leben zu führen als privat. „Die Belastung wurde immer größer. Oft habe ich mich gefragt: Kann ich das durchhalten?“ Irgendwann sei für sie klar geworden, dass sich etwas ändern müsse.

Ermuntert von Kolleginnen – und Oliver Burkhard – habe sie eine Liste mit Namen für Gespräche erstellt. Zuerst habe sie Personen im Unternehmen eingeweiht, bei denen sie mit Unterstützung gerechnet habe. Die vermeintlich schwierigeren Begegnungen sollten zum Schluss kommen. Die Reaktionen, die sie erlebt habe, seien überwiegend positiv oder neutral gewesen, erzählt Ungar. „Zum Schluss habe ich eine E-Mail an alle Beschäftigten geschrieben.“

Thyssenkrupp-Vorstand beim Christopher Street Day

Thyssenkrupp verweist darauf, dass laut Studien rund zehn Prozent der Menschen im Land lesbisch, schwul, bi-, trans- oder intersexuell seien. „Als Unternehmen sind wir ein Spiegelbild der Gesellschaft“, sagt Oliver Burkhard. „Es wäre falsch, auf das Potenzial von zehn Prozent der Gesellschaft zu verzichten.“

Um ein Zeichen zu setzen, hat Burkhard in diesem Jahr gemeinsam mit rund 250 Kolleginnen und Kollegen bereits zum zweiten Mal am Christopher Street Day (CSD) in Köln teilgenommen. Auch beim Ruhr-CSD in Essen sind Beschäftigte von Thyssenkrupp mit von der Partie.

„Sichtbarkeit schafft Akzeptanz“

„Sichtbarkeit schafft Akzeptanz“, sagt die Thyssenkrupp-Managerin, die sich als Mutmacherin sieht: „Ich will mich nicht als Vorbild vereinnahmen lassen, sondern ein Beispiel geben.“ Auch Sarah Ungar muss zuweilen gegen Ressentiments im Alltag ankämpfen. In mehreren Ruhrgebietsstädten sei sie ausgelacht, beleidigt und bedroht worden. Einmal habe sie die Angreifer mit ihrem Handy fotografiert und gerufen, sie werde die Polizei einschalten. Das habe Wirkung gezeigt.

Ihr Coming-out habe sie gestärkt, erzählt Sarah Ungar. „Ich war immer ich, aber jetzt bin ich authentischer und gelassener. Ich muss mir nicht mehr jeden Tag überlegen, ob ich so richtig bin.“