Essen. Wirtschaftsförderin Julia Frohne ruft im Podcast zu Akzeptanz für die Ruhr-Industrie auf. Ohne Gewerbegebiete gebe es keine neuen Arbeitsplätze.
Das Ruhrgebiet war einst Schmelztiegel der deutschen Schwerindustrie. Inzwischen arbeiten in der Region zwischen Duisburg und Dortmund mehr Menschen in der Gesundheitsbranche als in der Produktion. Selbst wenn das Revier wollte, könnte es kaum neue Industrieunternehmen ansiedeln, weil die Flächen fehlen. Eine schwierige Aufgabe für Wirtschaftsförderin Julia Frohne – nicht zuletzt, weil sie eine schrumpfende Akzeptanz für Industrie in der Bevölkerung beobachtet.
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Mit der Flächennot mussten sich schon ihre Vorgänger abplagen. Seit August des vergangenen Jahres steht nun die Marketing-Professorin Julia Frohne an der Spitze der Business Metropole Ruhr (BMR). Auch wenn sich die Knappheit verfügbarer Grundstücke immer weiter zuspitzt, lässt sich die Geschäftsführerin ihren Optimismus nicht nehmen. „Früher war man stolz, in einer Industrieregion zu arbeiten. Heute ist Industrie ein bisschen negativ behaftet“, sagt Frohne im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“.
60 Prozent der Stellen entstehen in Gewerbegebieten
Dabei kommen jüngste Erhebungen der BMR zu dem Schluss, dass 60 Prozent der im Ruhrgebiet zwischen den Jahren 2012 und 2019 geschaffenen Arbeitsplätze in Gewerbegebieten entstanden sind. Für die Wirtschaftsförderin ist die Zahl Mahnung und Verpflichtung zugleich. „Wenn wir gegen Gewerbegebiete sind, sind wir auch gegen Arbeitsplätze. Das muss man sich gut überlegen“, meint Frohne. Industrie- und Handelskammern warnen bereits vor einer Deindustrialisierung des Ruhrgebiets. Die BMR-Chefin ist bemüht, die gegenläufigen Interessen von Anwohnern und Kommunalpolitikern, die um Freiflächen kämpfen, und der regen Nachfrage von Unternehmen gleichermaßen gerecht zu werden.
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Ihr Ansatz: Industriebrachen für Neuansiedlungen aufbereiten. „Wir wollen nicht alles zubauen, wie es in der Nachkriegszeit war“, betont Frohne. Doch die Sanierung der Brachen kostet viel Geld, das die Kommunen allein nicht aufbringen können. Große Hoffnung ruhen deshalb auf den 24 sogenannten Kooperationsstandorten, die der Regionalverband Ruhr ausweisen will und die sich mehrere Städte teilen sollen. Zu den Flächen gehören unter anderem das an den Chemiepark Marl grenzende Gelände der ehemaligen Zeche Auguste Victoria, das 2018 stillgelegte Steag-Kraftwerk in Lünen und die Schachtanlage Franz Haniel in Bottrop.
Flächen im Ruhrgebiet trotz Corona begehrt
Selbst während der Corona-Pandemie war die Nachfrage nach Flächen im Ruhrgebiet ungebrochen. „Es sind nur noch 1600 Hektar da“, sagt Frohne nüchtern. Die Folge: Im vergangenen Jahr sind in der Region netto knapp 30.000 neue Stellen entstanden. „Wir sind besser als der Bund“, meint die Wirtschaftsförderin unter Berufung auf Zahlen des Landeswirtschaftsministeriums. Danach legte die Metropole Ruhr bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 1,6 Prozent zu. Der Bund kam danach nur auf 1,4 Prozent, NRW dagegen auf 1,8 Prozent. „Das ist schon ganz gut, da kann man aber auch noch eine Schippe drauflegen“, meint Frohne.
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Zumal die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebietsdurchschnitt seit einiger Zeit zwar unter die psychologische Grenze von zehn Prozent gesunken ist. Im März lag sie bei 9,3 Prozent. Gelsenkirchen aber weist aber immer noch mit fast 14 Prozent die höchste Quote der Region auf.
„Es darf nicht das Gefühl der Hoffnungslosigkeit entstehen“
Beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit will die Wirtschaftsförderin vor allem auf Weiterbildungsangebote setzen. „Da sind wir im Ruhrgebiet ganz gut aufgestellt“, sagt sie. „Es darf nicht das Gefühl der Hoffnungslosigkeit entstehen.“ Frohne macht Mut. „Der demografische Wandel spricht dafür, dass es nicht bei der Langzeitarbeitslosigkeit bleibt“, meint sie im Hinblick auf den wachsenden Fachkräftemangel. „Es gibt viele Möglichkeiten, die Leute zurückzuholen.“
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Ein Anliegen ist es der BMR-Geschäftsführerin aber auch, junge Schul- und Uni-Absolventen auf Dauer an das Ruhrgebiet zu binden. „Jeder zweite bleibt in der Region“, sagt sie und sieht in der Quote noch Optimierungsbedarf. Ihr Ziel sei es deshalb, die zahlreichen Hochschulen stärker mit dem breiten Mittelstand zu verknüpfen. Das Revier überdies für auswärtige Fachkräfte attraktiv zu machen, so Frohne, sei auch eine Imagefrage – eine Kernaufgabe der Business Metropole Ruhr, die zuletzt im März auf der internationalen Immobilienmesse in Cannes für den Standort warb.
Manifesta und IGA im Blick
Frohne bringt auf dem Sektor Marketing eine Menge Erfahrung mit. Sie gehörte unter anderem zum Team der Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Mit spektakulären Aktionen wie der Sperrung der A 40 und den leuchtenden Schachtzeichen auf den ehemaligen Zechen hatte das Revier international für Beachtung gesorgt. „Die Kulturhauptstadt hat meine Liebe zum Ruhrgebiet mitbegründet“, bekennt die gebürtige Kölnerin, die seit Jahren mit ihrer Familie in Essen-Stadtwald lebt.
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Die Vielzahl von Veranstaltungen habe damals gezeigt: „Wenn sich die Region hinter einem Thema versammelt, ist sie sehr stark. So kann man viel bewegen und sichtbar werden“, sagt Frohne. Die Notwendigkeit, ein solches Megaevent neu aufzusetzen, sieht sie allerdings nicht. Zumal zwei Großveranstaltungen in Sichtweite seien: die europäische Biennale für zeitgenössische Kunst „Manifesta“ 2026 und ein Jahr später die Internationale Gartenausstellung IGA. Großveranstaltungen, mit denen das Ruhrgebiet wieder positive Schlagzeilen liefern will.