Duisburg. Der niederrheinische IHK-Präsident Burkhard Landers vermisst Aufbruchstimmung im schwarz-grünen Koalitionsvertrag. Was ihm darin besonders fehlt.
Burkhard Landers führt die niederrheinische Industrie- und Handelskammer (IHK) seit 13 Jahren, im Dezember gibt der 66-Jährige dieses Amt ab. Zuvor redet er im Interview mit unserer Redaktion noch einmal Klartext – und sagt, was der Wirtschaft im schwarz-grünen Koalitionsvertrag für NRW fehlt, warum ihm die viel beschworene Wasserstoff-Offensive viel zu langsam vorangeht und warum das Ruhrgebiet dringend neue Gewerbeflächen braucht.
Herr Landers, am heutigen Mittwoch nimmt die erste schwarz-grüne Landesregierung in NRW ihre Arbeit auf. Sind Sie mit dem Koalitionsvertrag zufrieden?
Burkhard Landers: Nach Putins Überfall auf die Ukraine haben Bundeskanzler und Wirtschaftsminister Habeck im Frühjahr politische Grenzen niedergerissen und eine Aufbruchstimmung verbreitet. Dieser Aufbruch ist aber schon wieder weitgehend versickert. Auch im NRW-Koalitionsvertrag sehe ich diese Aufbruchstimmung nicht. Dabei bin ich davon überzeugt, dass Ministerpräsident Wüst mehr kann als in dem Papier steht.
WAZ: Was vermissen Sie?
Landers: Wir stehen vermutlich am Vorabend einer massiven wirtschaftlichen Rezession. Trotzdem müssen wir jetzt die industrielle Transformation hin zur Klimaneutralität schaffen. Dabei ist Duisburg als größter Stahlstandort Europas nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung. Bei dem Ziel, Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen, stehen Politik und Wirtschaft einig beieinander. Aber wir bringen die PS nicht auf die Straße.
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WAZ: Ihnen geht die Umstellung auf Wasserstoff zu langsam?
Landers: Ich habe ja Verständnis dafür, dass der Ukraine-Krieg vieles in den Hintergrund rückt. Trotzdem vermisse ich die Arbeitsgruppen in den Ministerien, die sich darüber Gedanken machen, woher der grüne Wasserstoff kommen soll und wie schnell Pipelines genehmigt werden können. Davon hängt ab, ob der Preis für deutschen Stahl noch wettbewerbsfähig sein wird. Die Dekarbonisierung wird die Kosten der Sanierung Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro bei weitem überschreiten. Ein nationaler Stahlgipfel könnte den Druck auf alle Beteiligten erhöhen.
WAZ: Glauben Sie, dass die neue Landesregierung die richtigen Akzente setzen wird?
Landers: Nehmen wir nur das Thema Rheinvertiefung. Das taucht im Koalitionsvertrag gar nicht auf. Dabei werden wir Wasserstoff auch per Schiff transportieren müssen. Marokko etwa könnte ein interessantes Produktionsland sein. Die Niederländer werden bis zum Jahr 2025 ihre Pipelines bis Venlo vorangetrieben haben. Bei uns gibt es aber keinerlei Pläne, wie der Wasserstoff von dort etwa zu den großen Chemiestandorten Marl und Leverkusen gelangen kann.
WAZ: Für die Ruhrwirtschaft ist die Gewerbeflächenknappheit ein existenzielles Thema. Die neue Landesregierung will aber nur einen Flächenverbrauch von rechnerisch fünf Hektar täglich zulassen. Reicht Ihnen das?
Landers: Nein. Um Zukunftsgewerbe etwa mit Mikroelektronik im Ruhrgebiet anzusiedeln, können wir nicht nur auf recycelte Brachen setzen. Dort haben wir ein Altlastenproblem, und oft sind diese Areale auch nicht mehr zeitgemäß, weil sie zu nah an Wohngebieten liegen. Deshalb brauchen wir auch neue ausgewiesene Gewerbeflächen. Im übrigen auch für die 400.000 Wohnungen, die der Bund jährlich bauen lassen will. In Duisburg etwa gibt es keine zusammenhängende Gewerbefläche für eine Ansiedlung von 10 Hektar oder mehr.
WAZ: Aber immerhin will Schwarz-Grün die „Ruhrkonferenz“ fortsetzen und sogar intensivieren. Was erwarten Sie?
Landers: : Im Zuge der Ruhrkonferenz haben wir IHKs im Ruhrgebiet mit 40 eigenen Projektideen Impulse für die Wirtschaftspolitik des Landes formuliert. Manches wurde schon erreicht wie der Aufbau verschiedener Kompetenzzentren, wie dem Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre in Bochum, dem Versuchs- und Leitungszentrum autonome Binnenschiffe in Duisburg oder dem Wasserstoffzentrum ebenfalls in Duisburg. Weitere Kompetenzzentren sollen folgen. Es ist gut und wichtig, dass auch die neue Landesregierung an dem Programm festhält. Vieles ist aber unkonkret geblieben. Es ist schade, dass das Ruhrgebiet unter der bisherigen Landesregierung keine richtige Lobby hatte.
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WAZ: Herr Landers, nach 13 Jahren im Amt als IHK-Präsident wollen Sie im Dezember auf eine Wiederwahl verzichten und begründen das auch mit der neuen Landesregierung. Warum?
Landers: Der Moment passt einfach gut, weil vieles im Aufbruch ist: Neben dem Regierungswechsel organisiert sich auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag neu. Jetzt können wir zusammen die Weichen stellen, so dass ein Nachfolger sich gut einarbeiten kann, bevor dann 2024 die neue IHK-Vollversammlung gewählt wird. Es tut gut, den Wechsel mit organisieren zu können.
WAZ: Sie gehörten zu den Gründungsvorständen der IHK Fosa, das bundesweite Kompetenzzentrum zur Feststellung der Gleichwertigkeit ausländischer Berufsabschlüsse. Ein hoch aktuelles Thema.
Landers: Ja, damit haben wir uns schon vor 2015 bemüht, als die syrischen Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Es ist doch eine Frage der Willkommenskultur, den Berufsabschluss des Zerspaners aus Aleppo auch in Deutschland anzuerkennen. Damit erkennen wir auch seine Lebensgeschichte an. Wir sind mit hohem Aufwand daran gegangen, die Echtheit von Dokumenten zu überprüfen. Viele Menschen flüchten aber auch ganz ohne Geburtsurkunde oder Zeugnisse. Ihnen geben wir die Lebensgeschichte zurück.
WAZ: Liegt in der Anerkennung auch ein Schlüssel, den Fachkräftemangel hierzulande einzudämmen.
Landers: Natürlich. Wir als Kammern bieten den Flüchtlingen die Möglichkeit der Nachqualifizierung. Dann haben sie die Chance, als Fachkräfte eingestellt zu werden. Zuwanderung ist eine der wenigen Möglichkeiten, die wir haben, um offene Stellen zu besetzen.