Essen. NRW-Umfrage in der Metallindustrie: Ohne Putins Gas befürchtet jeder zweite Betrieb Einschränkungen und jeder vierte einen Stopp der Produktion.
Digitalisierung, Automatisierung, Umstieg auf eine klimaneutrale Produktion – die Metall- und Elektrobranche steht als mit Abstand größter Industriezweig des Landes vor einem gewaltigen Umbruch. Deshalb wertet sein Verband es als Alarmzeichen, dass viele Unternehmen wegen der Energiekrise und weiteren Folgen des Ukraine-Krieges an ihren Investitionen sparen wollen. Das ergab eine Umfrage des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen (Metall NRW).
Arbeitgeber: Investitionspause wirft Betriebe zurück
Drei von vier der 360 befragten Betriebe mit insgesamt 122.000 Beschäftigten gaben demnach an, bereits geplante Investitionsvorhaben zu reduzieren oder zu verschieben. Fast jeder vierte Betrieb wolle zudem seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung kürzen oder verschieben. „Beides wird manchen Betrieb mit Blick auf die Bewältigung der Transformation notgedrungen erheblich zurückwerfen“, betonte Hauptgeschäftsführer Johannes Pöttering und nannte dies „Besorgnis erregend“.
Fast jeder vierte Metall- und Elektrobetrieb gab in der Umfrage an, er sehe sich wegen „angespannter Lieferketten, exorbitanter Preissteigerungen und eingeschränkter Produktionsabläufe“ wirtschaftlich gefährdet, ebenfalls jeder vierte will bereits am Personal sparen. „Die Unternehmen leiden vor allem unter den teilweise exorbitant gestiegenen Preisen für Energie, Rohstoffe und Vorprodukte“, sagte Pöttering. Das gelte für fast alle Betriebe und für acht von zehn „in substanziellem Umfang“. Fast neun von zehn Betrieben (88 Prozent) erwarten in diesem Jahr einen Rückgang ihrer Gewinne, 64 Prozent sinkende Umsätze. Die Gewinne werden aufgezehrt, weil nur jedes dritte Unternehmen seine Kostensteigerungen ausreichend über die Preise an seine Kunden weitergeben könne.
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Sollte Russland seine bereits gedrosselten Gaslieferungen ganz einstellen, erwartet Metall NRW einen weiteren drastischen Einbruch. Fast jedes zweite Unternehmen rechne in diesem Fall mit Auswirkungen auf die eigene Produktion, etwa weil dann nicht mehr alle Vorleistungsgüter geliefert werden könnten. Jedes vierte Unternehmen befürchte bei einem Gasmangel sogar einen kompletten Produktionsstillstand. Für Pöttering ist dies ein „Alarmsignal“, das auch die IG Metall vor der anstehenden Tarifrunde für die rund 3,8 Millionen Beschäftigten der Branche in Deutschland hören solle. Er könne „nur davor warnen, durch überzogene Lohnforderungen“ die angespannte Stimmungslage in den Unternehmen „noch weiter zu verschlechtern“.
IG Metall: Krise nicht herbeireden
Das mochte die IG Metall in NRW so nicht stehen lassen. Sie hatte im vergangenen Jahr den Pilotabschluss für die anderen Metallbezirke erzielt, in NRW arbeiten rund 700.000 Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie. „Seit Monaten wird uns die Wirtschaftskrise herbeigeredet. Fakt ist: Die Auftragseingänge sind weiterhin auf sehr hohem Niveau, in NRW herrscht eine sehr gute Auslastung in den Betrieben und es gibt Facharbeitermangel an jeder Ecke“, sagte Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall, unserer Redaktion. Und forderte: „Jetzt gilt es, dass die Beschäftigten eine gerechte Teilhabe an dieser guten wirtschaftlichen Situation haben.“ Zuletzt hatte Giesler für die Stahlindustrie ein Plus von 6,5 Prozent für die Dauer von 18 Monaten herausgeholt.
Die Umfrage der Gewerkschaft von Ende Mai kam auch zu deutlich anderen Ergebnissen als die der Arbeitgeber: Sieben von zehn Betriebsräten in NRW gaben an, die Ertragslage ihrer Unternehmen sei auch in der Prognose für das Gesamtjahr 2022 „eher gut“ oder „gut“, für die aktuelle Auftragslage gelte das sogar für 83 Prozent der Betriebe. Drei von zehn Unternehmen wollten deshalb Personal aufstocken, nur knapp acht Prozent abbauen.
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Der Vorstand der IG Metall in Frankfurt empfahl den Tarifkommissionen der Bezirke eine Forderung zwischen sieben und acht Prozent für eine Laufzeit von einem Jahr. Das entspricht fast exakt der aktuellen Inflationsrate. Die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag beginnen in gut zwei Monaten, der alte läuft Ende September aus.