Duisburg. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sagt, warum Tariferhöhungen die Inflation nicht ausgleichen können. Ampel soll Preise deckeln und Gewinne abschöpfen.

Es ist mal wieder laut vor Tor 1 des Thyssen-Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Bruckhausen: „Seid Ihr bereit? Streik!“ schreien der Einpeitscher auf der Bühne und die rund 3000 Stahlkocher sich gegenseitig zu. Der 1. Vorsitzende der IG Metall klatscht zufrieden. Jörg Hofmann selbst schlägt anschließend im Interview mit unserer Redaktion leisere Töne an – sowohl stimmlich als auch klassenkämpferisch. Diese Rekordinflation und die Energiekrise infolge des russischen Krieges in der Ukraine könnten die Tarifpartner nicht alleine auffangen, sagt er, da müsse schon der Staat einspringen. Deutschlands mächtigste Gewerkschaft fordert Preisdeckel und eine Übergewinnsteuer.

Herr Hofmann, Ihre Gewerkschaft fordert in der Stahlindustrie 8,2 Prozent mehr Lohn. Man fühlt sich in die 70er-Jahre zurückversetzt, als es zum letzten Mal so hohe Abschlüsse gab. Gehen Sie vorwärts in die Vergangenheit?

Jörg Hofmann: Das ist nicht vergleichbar. Wir haben uns während der Corona-Pandemie bei den Löhnen zurückgehalten und auf die Beschäftigungssicherung konzentriert. Die letzte tarifwirksame Erhöhung hatten wir im Stahl 2019, in der Metall- und Elektroindustrie 2018. Jetzt haben wir beim Stahlpreis ein Allzeithoch, die Tonne geht für 1300 bis 1400 Euro weg, vor dem Krieg waren es 1000 und in den Jahren davor um die 400 Euro.

Ist doch gut, dass die Stahlindustrie mal wieder Geld verdient …

… … ja, aber es ist auch genug da, die Kolleginnen und Kollegen anständig zu bezahlen. Wir müssen damit ja im Grunde zwei Jahre abdecken.

Aber Sie fordern die 8,2 Prozent doch für eine Laufzeit von einem Jahr.

Hofmann: Das ist richtig, aber 2022 gab es bisher keine Erhöhung. Dieser Tarifvertrag muss also dieses und weite Teile des kommenden Jahres abdecken. Eine Zeit, in der die Haushalte massiv unter der Rekordinflation leiden werden. Die Stahlunternehmen verdienen aktuell hervorragend, der Billigstahl aus Asien kommt nicht mehr nach Europa, das macht den Stahl hier knapp und teuer. Die Branche, das gehört zur Wahrheit dazu, profitiert indirekt von dem schrecklichen Krieg in der Ukraine.

Sagen Sie das nicht zu laut, sonst muss die Stahlindustrie noch eine Kriegsgewinnsteuer zahlen, die SPD und Grüne in der Ampel durchsetzen wollen.

Hofmann: Das könnte sein, wäre aber verkraftbar. Ich finde die Idee einer Übergewinnsteuer sehr in Ordnung. Vier von fünf Unternehmen unserer Branchen können die gestiegenen Kosten über die Preise weitergeben. Andere, etwa die Mineralölkonzerne, packen sogar noch ein Schnäpschen obendrauf, die verdienen kräftig am Tankrabatt. Derjenige, den es am Ende trifft, ist der letzte in der Futterkette. Das sind die Privathaushalte. Hier muss der Staat helfen. Dafür wären ein paar Euro mehr Steuern aus Übergewinnen nicht verkehrt.

Die dritte Verhandlungsrunde im Stahl brachte wieder kein Ergebnis. Was erwarten Sie für die vierte Runde am 14. Juni?

Hofmann: Was die Arbeitgeber bisher angeboten haben, ist bei der Prozentzahl deutlich zu gering und in der Laufzeit zu lang. Ich erwarte, dass die Arbeitgeber in sich gehen, sich noch einmal ihre glänzenden Bilanzen vergegenwärtigen und dann ein Angebot vorlegen, das die Beschäftigten wirklich fair am Erfolg beteiligt. Sonst wird es ungemütlich.

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Der Inflationsausgleich war immer ein Argument der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen. Doch das ist bei der aktuellen Teuerung unrealistisch. Ist den Beschäftigten Ihre Forderung nicht noch zu niedrig?

Hofmann: Die Debatte, ob es reicht, gibt es. Die Inflation von derzeit acht Prozent und auch absehbar 2023 weiter steigend, können wir alleine nicht ausgleichen. Dazu braucht es auch staatlicher Entlastungsmaßnahmen . Wir wollen und werden einen ordentlichen Lohnabschluss erzielen. Alles andere wäre aber unrealistisch und auch nicht gut.

Warum?

Hofmann: Weil diese Inflation und die Energiekrise keine marktwirtschaftlichen Ursachen haben, sondern geopolitische. Jeder Haushalt muss in diesem Jahr durchschnittlich 1000 Euro und im kommenden Jahr weitere 2500 Euro mehr allein für die Energiekosten zahlen. Hinzu kommen die steigenden Lebensmittelpreise. Einen solchen externen Preisschock können die Tarifpartner nicht allein auffangen, dafür braucht es einen staatlichen Ausgleich.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann erläutert im Interview mit unserer Redaktion, warum die Tarifparteien mit der aktuellen Inflation überfordert sind. Den „externen Preisschock“ müsse der Staat auffangen.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann erläutert im Interview mit unserer Redaktion, warum die Tarifparteien mit der aktuellen Inflation überfordert sind. Den „externen Preisschock“ müsse der Staat auffangen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Klingt, als scheuten auch Sie eine Lohn-Preis-Spirale – eigentlich das Hauptargument der Arbeitgeber gegen Ihre hohe Forderung.

Hofmann: Unsere Forderung ist völlig angemessen. Ich sehe keine Lohn-Preis-Spirale in Deutschland, eher eine Profit-Preis-Spirale.

Das Problem ist doch, dass die Inflation von einem knappen Angebot getrieben wird, weil Güter, Waren und Energie knapp sind. Es mangelt keineswegs an Nachfrage, die Sie mit höheren Löhnen ankurbeln wollen. Das würde die knappen Waren nur weiter verteuern.

Hofmann: Was wäre denn die Alternative? Wir kommen aus einer Bredouille in die nächste. Nach der Corona-Krise, in der die Lohntabellen zu Gunsten stabiler Beschäftigung nicht erhöht wurden, belastet die Energiekrise Haushalte und Teile der Wirtschaft. Doch aktuell machen viele Unternehmen wieder gute Gewinne. Ihre Beschäftigten fragen zurecht, wo sie dabei bleiben. Für diese Lage, in der die Konzerngewinne und gleichzeitig die Verbraucherpreise derart steigen, gibt es kein Beispiel aus der Vergangenheit. Wir dürfen die privaten Haushalte nicht die ganze Last dieser Krise allein schultern lassen.

Hofmann: Ich sehe eher eine Profitspirale

Aber ein möglicher hoher Tarifabschluss hätte diesmal keinen Vorbildcharakter für andere Branchen, oder?

Hofmann: : Ich sehe die Stahlindustrie schon in einer Sonderkonjunktur, doch auch in anderen Branchen sind die Auftragsbücher voll. Und die unterbrochenen Lieferketten drücken in einigen Bereichen vielleicht die Produktionsmengen, aber nicht die Gewinne. Viele nutzen den Teilemangel dafür, sich auf die margenstärksten Produkte zu fokussieren. Ein Autobauer, der nur wenige Chips verbauen kann, steckt sie in seine teuersten und nicht in die Massenmodelle.

Die Stahlindustrie ist sehr abhängig von der Autoindustrie. Wenn diese weniger produziert - schlägt das nicht bald auf die Stahlindustrie zurück?

Hofmann: Die Autoindustrie nimmt weniger Stahl ab. Aber der Maschinenbau, Spezialfahrzeuge etwa für die Schiene und die maritime Wirtschaft boomen, sie alle nehmen dafür mehr ab. Und auch der Rüstungskonzern Rheinmetall verbaut Stahl.

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Vor allem bei den Elektroautos steigen die Wartezeiten enorm. Wenn ich einen elektrischen Wagen aus deutscher Produktion bestelle, wird der in diesem Jahr nicht mehr geliefert und die schöne hohe Kaufprämie ist futsch …

Hofmann: … nicht, wenn Sie das Kleingeld haben sich einen elektrischen Porsche zu bestellen …

… ist nicht nur mir zu teuer. Droht der Produktionsstau und die Befristung der Kaufprämie im kommenden Jahr den Elektroboom zu stoppen, den ja alle wollten?

Hofmann: Das kann bremsen, ja. Die Regierung sollte sich fragen, ob es nicht besser wäre, ihre Förderung an das Kaufdatum zu koppeln statt an die Auslieferung. Aber die Autoindustrie muss dann auch die ganze Breite ihrer elektrischen Modelle bedienen und nicht nur Margenmaximierung mit ihren Premiummodellen betreiben. Die Lieferzeiten bei Importeuren sind in der Regel kürzer, wenn Sie dort bestellen …

… rät der VW-Aufsichtsrat Jörg Hofmann?

Hofmann: Nein, er warnt nur vor den Spätfolgen der aktuellen Strategie. Die Importeure aus Asien gewinnen derzeit Marktanteile in den unteren und mittleren Preissegmenten. Die Frage, ob die deutschen Hersteller diese jemals wieder zurückgewinnen, sollte sich die Industrie stellen.

Im Moment leiden unter der Rekordinflation vor allem Geringverdiener, Rentner und Studierende darunter, dass alles teurer wird. Ihre Mitglieder gehören nicht zu diesen Gruppen, ihnen muss also der Staat durch die Krise helfen. Tut er genug?

Hofmann: Er tut einiges, die Hilfen sind in der Summe durchaus beträchtlich. Warum Rentner und Arbeitslose die Energiepauschale nicht erhalten, kann ich aber nicht nachvollziehen. Das ist nicht sozial ausgewogen und geht sicher zielgenauer. Vor allem aber muss der Staat über dieses Jahr hinausblicken, die Lebenshaltungskosten werden sich auf einem höheren Niveau einpendeln. Das muss auch der Sozialstaat abbilden und den besonders Bedürftigen helfen.

IG Metall: Gaspreisdeckel wäre besser als Einmalhilfen

Sie setzen deshalb auf dauerhaft wirksame Tariferhöhungen statt Einmalzahlungen. Sollte die Politik von Ihnen lernen?

Hofmann: Die Pauschalen helfen aktuell, schon für das kommende Jahr wird es aber weitere Hilfspakete geben müssen. Und wenn der Staat wirklich 2023 wieder die Schuldenbremse einhalten will, muss er die Hilfspakete schon in diesem Jahr auf den Weg bringen. Wirksamer als Einmalzahlungen wären sicher mittelfristig wirkende Maßnahmen wie ein Gaspreisdeckel.