Werdohl. Oliver Schuster, Chef des Bahntechnikkonzerns Vossloh aus Werdohl, erklärt den Unterschied zwischen China und Deutschland beim Schienenausbau.
Wenn es um den Ausbau der Schiene geht, kommt man an der Vossloh AG aus dem Sauerland kaum vorbei. Wo im 19. Jahrhundert in einer kleinen Schmiede an der Lenne alles begann, steht heute eine „Fabrik der Zukunft“ aus deren Ideenschmiede Innovationen buchstäblich um die Welt gehen. Warum das Unternehmen seiner Heimat treu bleibt und welche Erwartungen mit einer Politik der Klimawende für das Bahntechnikunternehmen verbunden sind, erläutert Vossloh-Chef Oliver Schuster.
Eine Fabrik der Zukunft im engen Lennetal statt in der weiten Welt, wieso?
Oliver Schuster: „Es war definitiv die richtige Entscheidung hier in den vergangenen Jahren rund 40 Millionen Euro zu investieren. Genau hier hat die Familie Vossloh etwas aufgebaut, hat sich über Jahrzehnte sozial engagiert und ist damit ein fester Bestandteil von Werdohl geworden. Das kann man nicht einfach wegwischen. Uns war es wirklich ein Anliegen, uns zu diesem Standort zu bekennen und nicht darauf zu schielen, wo vielleicht noch zehn Prozent auf der Arbeitskostenseite gespart werden könnten, wo vielleicht noch ein Steuervorteil liegen könnte.
Klingt etwas sentimental
Ist es gar nicht. Zum einen spielt die Tradition und das Bekenntnis zum Standort Deutschland und damit auch Werdohl eine Rolle. Entscheidend war aber auch, dass wir hier Leute haben, die teilweise schon sehr, sehr lange für uns arbeiten. Am Standort in Werdohl ist unglaubliches Wissen versammelt. Das dritte Argument ist, dass wir hier unser Entwicklungszentrum für Schienenbefestigungssysteme haben. Die Nähe zwischen Entwicklung und Produktion ist in unserem Geschäft erfolgskritisch. Das Know-how liegt nicht nur im Produkt, dem Material, der Formgebung und dem Zusammenspiel der Komponenten, sondern vor allen Dingen in der Produktion.
Hätten Sie nicht ein Entwicklungszentrum besser in China aufgebaut, einem Markt, auf dem Vossloh sehr erfolgreich ist?
Das hätten wir sicher tun können. Aber das Wissen, das wir in einzigartiger Weise am Standort Werdohl schon haben, ist ein sehr spezielles. Man kann nicht kurzfristig ersetzen, was über Jahrzehnte aufgebaut wurde. Es geht hier mehr um Qualität und Innovationskraft als darum, die billigsten Entwickler zu beschäftigen.
Wie wichtig ist der chinesische Markt für Vossloh?
Er ist für uns insbesondere im Bereich Schienenbefestigungssysteme wichtig. Da liegt ein großer Fokus. Das Schöne an diesem Geschäft ist, dass wir dort die Hochgeschwindigkeitsstrecken beliefern, also die Königsklasse in Bezug auf die Anforderungen. Das ist ein wunderbares Aushängeschild für Vossloh, über viele Jahre auf diesem Markt so erfolgreich zu sein. Das sagt viel aus über das Vertrauen in unsere Produkte. Die Züge sind schließlich mit vielen Menschen besetzt und mit bis zu 340 km/h unterwegs. China ist aber auch ein wichtiger Markt für unsere selbst entwickelten und selbst produzierten Instandhaltungsmaschinen. Stichwort: Hochgeschwindigkeitsschleifen.
Die Chinesen halten Ihre Schienennetze also gut in Schuss?
Die Milliarden und Abermilliarden, die in China in die Infrastruktur investiert wurden, liegen dort noch nicht so lange zurück. Das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz, gebaut in den vergangenen 15 Jahren, umfasst heute etwa 40.000 Kilometer. Das ist mehr als das Hochgeschwindigkeitsnetz der gesamten restlichen Welt! Die Technik, die wir entwickelt haben, ist einzigartig, wenn es darum geht, Schienen präventiv instand zu halten. Der Wunsch nach Werterhalt ist in China besonders ausgeprägt.
Ist das in Deutschland anders? Hier hat man schnell den Eindruck, dass das Schienennetz recht marode ist?
Die Anforderungen an die Deutsche Bahn sind andere als beispielsweise in China, wo sie Punkt zu Punkt Verbindungen haben und auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken nur Hochgeschwindigkeitszüge fahren. In Deutschland gibt es ein sehr komplexes Schienennetz mit gemischt genutzten Strecken mit vielen Weichen. Es ist also nicht ganz fair, dies miteinander zu vergleichen. Die Deutsche Bahn muss unbedingt viel investieren. Sie muss das Netz erweitern, aber vor allem das existierende sehr effizient instandhalten, um den maximalen Nutzen daraus ziehen zu können. Es wird Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern, bis die Deutsche Bahn da einen entsprechenden Stand erreicht hat. Es wird auch oft mit der Schweiz oder Österreich verglichen, aber die dortigen Schienensysteme sind weitaus weniger komplex.
Bei den Großaufträgen für Vossloh liest man immer wieder China, Australien, jetzt Ägypten. Ist Vossloh in Deutschland weniger im Geschäft oder trügt der Eindruck?
Beim Langschienenschweißen und der Schienenlogistik wie kürzlich für die Strecke Hamburg – Berlin haben wir einen Marktanteil zwischen 70 und 75 Prozent. Unsere Technologie des Hochgeschwindigkeitsschleifens stößt zunehmend auf Interesse. Und bei Schienenbefestigungssystemen ist Vossloh in Deutschland ganz klarer Marktführer, auch dank der Fabrik der Zukunft. In diesem Bereich ist aber nicht die Deutsche Bahn unser Kunde, sondern die Hersteller von Betonschwellen.
Könnte Vossloh nicht selbst die Betonschwellen liefern?
Unser Schwellengeschäft beschränkt sich auf Nordamerika und Australien, also Märkte, in denen wir zum einen nicht unsere europäischen Kunden angreifen und zum anderen die Marktführerschaft beanspruchen können.
Wo sind noch neue Märkte für Vossloh zu finden?
Neue Märkte gibt es für uns nur noch wenige. Wir machen heute bereits Geschäfte in ungefähr 90 Ländern der Erde. Das Potenzial liegt eher darin, dass wir nicht in allen Ländern mit allen unseren Produkten und Dienstleistungen vertreten sind. Unser großer Vorteil ist, dass wir den kompletten Fahrweg Schiene verstehen und Probleme lösen können. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal weltweit.
Man müsste doch meinen, dass jetzt gute Zeiten für die Bahn aber auch für Unternehmen wie Vossloh sein müssten. Aber man hat den Eindruck, dass in Deutschland sehr langsam entschieden wird. Ist das so?
Die Politik redet seit 50 Jahren von der Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene. De facto wurde das Schienennetz jedoch zum Teil zurückgebaut, Verbindungen gestrichen und sehr viel Geld in den Ausbau von Straßen und Autobahnen investiert. Nach vorne geblickt, führt kein Weg an der Schiene vorbei, wenn man die Klimaziele erreichen will. Zusammen mit den Megatrends Urbanisierung und Bevölkerungswachstum trägt dies dazu bei, dass die Schiene immer wichtiger wird – ich würde behaupten über Jahrzehnte hinweg und das weltweit. Die Bahn erlebt eine Renaissance und Vossloh wird davon profitieren. Da bin ich absolut sicher.