Essen. Die Kuriere von Mayd bringen Tabletten und Hustensaft statt Pizza und Bier: Der Berliner Arznei-Lieferdienst startet Mitte März im Ruhrgebiet.

Pizza, Bierkästen oder der Tageseinkauf: Immer mehr Menschen lassen sich ihr Abendessen oder ihre Bestellungen im Supermarkt und Getränkehandel an die Haustür liefern. Auch Medikamente können Bürgerinnen und Bürger im Ruhrgebiet bald per Smartphone bestellen. Der Berliner Arznei-Bringdienst Mayd plant ab Mitte März eine „großflächige Expansion im Ruhrgebiet“, die in Essen und Dortmund startet, wie das Start-up unserer Redaktion sagte.

Über die Mayd-App können Patientinnen und Patienten zunächst nur rezeptfreie Medikamente bei ihrer Apotheke vor Ort bestellen. Ein Fahrer oder eine Fahrerin des Start-ups liefert diese dann nach eigenen Angaben kostenlos binnen 30 Minuten nach Hause, auch nach Ladenschluss und sonntags. Damit wäre dieser Bringdienst deutlich schneller als Versandapotheken, deren Lieferungen in der Regel mehrere Tage dauern. Niedergelassene Apotheken, die selbst ausliefern, bringen die Bestellungen meist immerhin am selben Tag.

Apothekerverband ist nicht begeistert von Lieferdiensten

Jeder Friseursalon arbeite mit Online-Buchungs- und digitalen Verwaltungssystemen, sagt Lukas Pieczonka, Unternehmer und Mitgründer von Mayd. „Diese digitale Schnittstelle zwischen Produkt und Kunde, die gibt es bei Apotheken gar nicht. Und da positionieren wir uns“, betont er. „Wir sind das Bindeglied zwischen der lokalen Apotheke vor Ort und den Kunden.“

Wenn die Apotheke mit einem externen Lieferdienst zusammenarbeitet, muss sie laut Gesetz sicherstellen, dass die Patientinnen und Patienten trotzdem über die Arznei aufgeklärt werden, per Telefon oder App zum Beispiel. Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, zeigt sich daher skeptisch gegenüber den neuen Dienstleistern: „Die Belieferung mit Arzneimitteln ist überhaupt nicht vergleichbar mit der Auslieferung von Pizza oder Nudeln. Ohne persönliche Beratung geht da nichts.“

First-A, Kurando, Mayd: Verschiedene Geschäftsmodelle

Viele Start-ups sehen im Lieferangebot für Apotheken jedoch Potenzial in Nordrhein-Westfalen. So ist „First-A“ bereits in Köln und Düsseldorf vertreten. In der Landeshauptstadt können Kundinnen und Kunden außerdem über die Kurando-App Medikamente bestellen. Eigenen Angaben zufolge planen die Start-ups, ihr Angebot auf weitere Städte auszuweiten. Ihr Geld verdienen sie entweder mit Gebühren pro Lieferung – oder lassen sich wie Mayd ihre Dienste von den Apotheken bezahlen.

Das E-Rezept soll kommen

Den ursprünglich für den 1. Januar 2022 geplanten Start des E-Rezepts und der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) hat das Bundesgesundheitsministerium „auf unbestimmte Zeit“ verschoben, will es aber zwingend einführen.

Einmal mehr hapert es bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen an der Technik. Geräte und Software seien noch nicht flächendeckend verfügbar, hieß es, zudem müsse in vielen Arztpraxen und Apotheken noch das Personal geschult werden.

Dabei setzen sie alle auf den großen Schub durch eine geplante Neuerung im deutschen Gesundheitssystem: Die Einführung des E-Rezeptes, das den Versand von verschreibungspflichtigen Medikamenten erleichtert. Mit dem E-Rezept soll die Rezeptübergabe zwischen Arzt und Apotheke künftig automatisch online ablaufen. Die Patientinnen und Patienten müssten ihre Rezepte nicht mehr in die Apotheke tragen oder per Post an einen Apothekenversand schicken. Der Mayd-Investor Earlybird geht davon aus, dass sich so der Umsatz aus dem Online-Versand von Medikamenten in Europa bis 2030 mehr als vervierfachen wird.

Hoffnung auf E-Rezept und verschreibungspflichtige Medikamente

Auf Umsatzsprünge durch das E-Rezept, dessen für Januar geplanter Start verschoben wurde, hoffen vor allem die Versandapotheken. Deshalb hat sich erst im Januar auch die Parfümeriekette Douglas mit der Übernahme des Anbieters Disapo in den Arzneimarkt eingekauft. EU-Versandapotheken setzen ebenfalls auf das E-Rezept in Deutschland, allen voran die niederländische Pionierin DocMorris. Niedergelassene Apotheker ohne eigenen Versand könnten die Verlierer sein. Arznei-Bringdienste wären für sie eine Möglichkeit, am höchstwahrscheinlich stark zunehmenden Online-Geschäft teilzuhaben.

Doch der Versand von Arzneien ist in Deutschland genau geregelt – mit hohen Hürden für Start-ups. So haben laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände bisher nur rund 3000 der 18.000 Apotheken hierzulande eine Versanderlaubnis, dürfen also mit Hilfe externer Dienstleister Medikamente verschicken.

Einige Apotheken haben eigene Botendienste

Die meisten Apotheken setzen bisher auf interne Botendienste. Das Apothekenpersonal bringt die Arzneien und berät an der Haustür. Laut Thomas Preis finden deutschlandweit rund 300.000 Botendienste pro Tag statt, „in der ersten Welle der Pandemie im März 2020 sogar 450.000“. Er ist dennoch sicher, dass die persönliche Beratung in der Apotheke vor allem für Ältere „nicht zu ersetzen“ sei.

Doch mit der zunehmenden Digitalisierung würden Lieferdienste für Apotheken auch eine Chance bieten, so Gesundheitsforscher David Matusiewicz, der an der Hochschule für Ökonomie und Management in Essen lehrt. „Ich sehe das als Überlebensmodell der lokalen Apotheken und als Erweiterung ihres Geschäftsmodells“, sagt er.

Gleichzeitig warnt Matusiewicz vor Risiken: „Wenn das Geschäft gut funktioniert, treten die Start-ups irgendwann vielleicht nicht mehr als reine Plattformvermittler auf.“ Sie könnten versuchen, einen eigenen Handel aufzubauen. „Die Apotheken würden sich dann gerade die künftige Konkurrenz großziehen.“