Essen. Die Immobilienwirtschaft fordert mehr staatliche Unterstützung bei Neubau und Sanierung. Ein Gespräch mit VdW-Verbandschef Alexander Rychter.
Die Mieten steigen, die Nebenkosten explodieren. Und auf Mieter und Vermieter kommen noch höhere Belastungen zu, wenn ältere Häuser energetisch saniert werden. Dass Wirtschaftsminister Habeck mitten in dieser Gemengelage Förderprogramme stoppt, empfindet Alexander Rychter als „Vertrauensverlust“ und kündigt Schadensersatzansprüche an. Als Direktor des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VdW) spricht Rychter für rund 480 Wohnungsunternehmen und -genossenschaften in Nordrhein-Westfalen und dem nördlichen Rheinland-Pfalz mit 2,2 Millionen Mieterinnen und Mietern.
Herr Rychter, die Mieten und Nebenkosten steigen rasant. Ist Wohnen in NRW noch erschwinglich?
Alexander Rychter: Bezahlbarer Wohnraum ist kontinuierlich rückläufig. Von 1995 bis heute hat sich in Nordrhein-Westfalen die Zahl der mietpreisgebundenen Wohnungen von etwas über einer Million auf rund 452.000 reduziert. Zum Glück hat man sich hierzulande dem Thema mit dem nötigen Ernst gewidmet. Aktuell beobachten wir, dass sich die Wohnraumförderung als der Stabilitätsanker des Mietwohnungsneubaus des Landes erweist – und das vor dem Hintergrund der andauernden Corona-Pandemie, der historisch hohen Baukosten und des Flutsommers 2021. “
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Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass wir im Jahr 2022 von einer Wohnungsknappheit sprechen?
Rychter: In den Nuller Jahren war die Bundespolitik der Meinung, Deutschland sei fertig gebaut, weil die Bevölkerung schrumpfte. Dabei prägt unsere Gesellschaft nicht nur der demografische Wandel, sondern auch in die Schwarmstädte und Metropolregionen drängende Menschen und die Verteilung zwischen Stadt und Land. Diesen Sack schleppen wir als Bürde bis heute. Wir müssen bundesweit jährlich 200.000 neue Wohnungen neu bauen – allein schon, um die Bestände zu ersetzen, die nicht mehr den energetischen Standards und den Anforderungen etwa an Barrierefreiheit entsprechen. Über Jahre hinweg ist dieser Mindestwert leider deutlich unterschritten worden.
Ist die Immobilienwirtschaft nicht gleichermaßen für diese Fehlentwicklung verantwortlich zu machen?
Rychter: Die Unternehmen bauen erfreulicherweise wieder deutlich mehr. Deutschlandweit wurden im Jahr 2020 insgesamt rund 306.000 Wohnungen fertiggestellt, in Nordrhein-Westfalen etwas über 43.000. Mehr als die Hälfte der Mittel für den öffentlich geförderten Wohnungsbau haben allein unsere sozial verantwortlich handelnden Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften abgerufen und damit auch rund die Hälfte aller mietpreisgebundenen Wohnungen gebaut. Im Jahr 2020 haben unsere Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften bei den Investitionen erstmals die Schwelle von drei Milliarden Euro überschritten, im Jahr 2021 investierten sie mehr als 3,2 Milliarden Euro in bezahlbaren Wohnungsneubau. Dabei liegen die Mieten bei Erst- und Wiedervermietung im Durchschnitt bis zu 25 Prozent unterhalb der Marktmieten.
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Die neue Bundesregierung hat versprochen, dass bundesweit jährlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden. Ist das Ziel realistisch?
Rychter: Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen für diese Investitionen zu verbessern. Schauen Sie sich allein die Baukosten an. Sie schießen ungebremst in die Höhe – um über 14 Prozent innerhalb eines Jahres. Das ist der höchste Anstieg seit August 1970. Hinzu kommt, dass Baumaterialien wie Holz, Betonstahl, Dämmplatten und Bitumen knapp sind und immer teurer werden. Das ist eine problematische Mischung.
Was fordern Sie konkret?
Rychter: Politik muss grundsätzliche Fragen klären. Rigips etwa ist ein Abfallprodukt der Kohleverarbeitung. Deutschland verabschiedet sich aber von der Kohle. Niemand weiß, wo Rigips dann herkommen soll. Kies und Sand müssen um die halbe Welt transportiert werden, weil es hierzulande nicht genügend Abbaumöglichkeiten gibt. Da muss sich etwas ändern.
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Ihre Branche beklagt seit Jahren, dass auch die Baulandpreise steigen. Ist Ihre Kritik erhört worden?
Rychter: Viele Grundstücke – auch kommunale – werden leider zu oft nach dem Höchstpreisprinzip verkauft. Auf teurem Grund kann man keine günstigen Wohnungen bauen. Auch kleine Genossenschaften müssen überhaupt die Chance haben, Bauland zu vernünftigen Preisen zu erwerben. Zumal wir möglicherweise vor einer Zinswende stehen, die Bauen erst recht unerschwinglich macht. Bei neu gebauten Wohnungen ist es jetzt schon schwierig, unter zehn Euro pro Quadratmeter Kaltmiete zu kommen.“
Die Immobilienwirtschaft ist nicht nur beim Neubau gefragt, sondern auch bei der energetischen Sanierung älterer Gebäude. Und mittendrin stoppt der Bundeswirtschaftsminister die Förderprogramme. Wie soll es jetzt weitergehen?
Rychter: Man kann doch nicht ein Förderprogramm abrupt stoppen. Die Unternehmen hatten sich darauf eingestellt, ihre Anträge bis zum 31. Januar stellen zu können. Da steckt viel Planungsaufwand und Geld etwa für Energiegutachten hinter. Sie alle stehen jetzt im Regen. Deshalb prüft eine Anwaltskanzlei in unserem Auftrag, ob für die betroffenen Unternehmen Schadensersatzansprüche bestehen. Dass der Bundeswirtschaftsminister darüber hinaus die Förderung der energetischen Sanierung generell gestoppt hat, erzeugt einen immensen Vertrauensverlust.
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Wie sollte die künftige Förderung aus Ihrer Sicht konzipiert sein?
Rychter: Es ist ja ein gutes Signal von Robert Habeck, dass der Bund sich wieder an der energetischen Sanierung beteiligen will. Generell muss aber die Deckelung der Programme weg. Eine weitere Milliarde Euro löst doch nur das nächste Windhundrennen aus. Das sehen wir kritisch. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit.
Große Konzerne wie Vonovia, LEG oder Vivawest beklagen, dass der energetische Umbau von Wohngebäuden nicht schnell genug vorankomme, um bis 2045 klimaneutral zu sein. Ist das Ziel aus Ihrer Sicht überhaupt zu erreichen?
Rychter: Wir müssen bis 2045 klimaneutral sein. So hat es die Bundesregierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entschieden. Dennoch bin ich der Ansicht, dass die Förderprogrammatik des Bundes primär die klimapolitischen Ziele fokussiert. Wir müssen aber auch die Bezahlbarkeit der Mieten und die soziale Dimension im Auge behalten. Bezahlbare Mieten tragen zum gesellschaftlichen Frieden bei. Um das zu erreichen, braucht es höhere Förderbeträge des Bundes. Verzahnen sich die mit der Landesförderung für energetische Modernisierung und bezahlbaren Wohnungsneubau des Landes, sind die Weichen für bezahlbares und klimagerechtes Wohnen, und zukunftsfähige Wohn- und Stadtquartiere gestellt.