Herne. Marode Brücken wie die der A45 sind ein Riesenproblem. Im Flutgebiet hat Heitkamp nach Blitzgenehmigung in drei Monaten einen Neubau gefertigt.
Acht bis zehn Jahre. So lange würde ein Neubau der maroden und dauerhaft gesperrten A45-Brücke bei Lüdenscheid normalerweise in Anspruch nehmen. Der Grund: die langen Genehmigungs- und Planungsverfahren. Um es zumindest in fünf Jahren zu schaffen, fordern die Verantwortlichen Sonderregelungen. Welche Wirkung sie entfalten können, offenbart ein Blick in die Flutgebiete. Dort werden mehrere zerstörte Brücken zurzeit in Rekordzeit neu gebaut. Mit vereinfachter Vergabe – und innovativer Technik.
Natürlich ist die Dimension einer Talbrücke wie an der A45 bei Lüdenscheid eine andere als bei Ersatzbau-Brücken an Landstraßen in den Flutgebieten. In beiden Fällen zeigt sich aber, was möglich ist oder sein könnte, wenn durch ein unvorhergesehenes Ereignis Infrastruktur zerstört wird und alle Beteiligten an einem Strang ziehen, um schnellstmöglich Straßen und Brücken wieder herzustellen.
Kein halbes Jahr von der Vergabe bis zur Fertigstellung
Im Terminkalender von Hendrik Schulte, Staatssekretär im NRW-Verkehrsministerium ist für voraussichtlich Montag ein Termin in Heimerzheim eingeplant. Dort wird er die neu gebaute Swistbachbrücke für den Verkehr freigeben. Die war bei der Flut im Juli komplett zerstört worden, die für die Region wichtige L182 war unterbrochen. Doch das Herner Bauunternehmen Heitkamp hat sie in weniger als einem halben Jahr inklusive Planung neu gebaut – nicht als Provisorium, sondern als vollwertigen Neubau.
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Die Flut hatte im Sommer ganze Ortschaften zerstört, ebenso die Infrastruktur: Straßen, Bahnlinien, Brücken, Versorgungsleitungen – weggeschwemmt oder schwer beschädigt. Für die Landesregierung habe die oberste Priorität darin gelegen, Straßen und Brücken so schnell wie möglich wieder herzustellen, sagt Petra Beckefeld, seit Jahresbeginn Direktorin von Straßen.NRW, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Straßen sind die Lebensadern, die den restlichen Wiederaufbau erst ermöglichen.“ Wolle man die zerstörten Bahnlinien erneuern, könne das benötigte Material nur über die Straße dorthin gebracht werden.
Aufträge in Flutgebieten direkt vergeben
Die Ausnahmesituation ermöglichte jede Menge Ausnahmen von den üblichen Regeln. Bei der Vergabe der Brückenneubauten habe sie fast alle Schritte der üblichen und meist langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren außer Acht lassen dürfe: Umweltverträglichkeitsprüfung? Da die Flut auch Tiere und Pflanzen mitgerissen hatte, gab es in dieser Hinsicht nichts zu prüfen. Planfeststellung? Nicht nötig, da es um einen Wiederaufbau handelt.
Zu den Zeitfressern in Genehmigungsverfahren zählt auch die Ausschreibung, sie kann bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen. Beckefeld nahm eine Abkürzung und vergab die Aufträge direkt. Möglich wurde das, weil das Auftragsvolumen unter dem in der Europäischen Union festgelegten Schwellenwert von 5,35 Millionen liegt. In Deutschland liegt er nur bei 10.000 Euro, Maßstab war der EU-Wert.
Der Preis musste trotzdem passen
Am Ende lässt sich die Vergabe auf folgenden Nenner bringen: Die Unternehmen – im Flutgebiet wurden drei beauftragt – sollten Angebote machen. Den Rest konnten sie selbst planen. Beckefeld: „Das hat das Verfahren unfassbar beschleunigt.“ Man habe keine Abstriche bei der Qualität gemacht, und auch der Preis musste passen.
Den anderen Teil der Beschleunigung liefert bei drei Brücken das Herner Unternehmen Heitkamp. Das hatte in den vergangenen Jahren an neuen Brückenbaukonzepten geforscht, unter anderem hat das Wanne-Eickeler Traditionsunternehmen die erste sogenannte Legobrücke in NRW gebaut.
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Anfang 2020 schloss Heitkamp ein Pilotprojekt auf der A3 bei Emmerich erfolgreich ab. Die Brücke über die Autobahn entstand nicht in der üblichen Betonbauweise, das Unternehmen nutzte ein neues, inzwischen patentiertes Verfahren, um die beiden Brückenwiderlager zu errichten. Statt Beton kamen Kunststoffgitter zum Einsatz. Sie werden Lage für Lage übereinandergeschichtet, das Erdreich dazwischen wird maximal verdichtet. „Das spart erheblich Zeit, da das Material nicht erhärten muss wie Beton“, erläutert Heitkamp-Geschäftsführer Jörg Kranz. Zum Vergleich: Die Kunststoffkonstruktion war in zehn Tagen fertiggestellt, laut Kranz hätte es bei herkömmlichen Beton rund drei Monate gedauert. Weil anschließende Messungen ergeben haben, dass die Brücke wesentlich weniger Setzungen hat als im Vorfeld berechnet und somit alle technischen Regelwerke einhält, ist dieses Schnellbausystem nun als Regelbauweise anerkannt.
Reine Bauzeit: Dreieinhalb Monate
Der Neubau der Swistbachbrücke habe dreieinhalb Monate gedauert, so Kranz. Nach seinen Worten ist das in Deutschland einmalig. Doch dabei soll es nicht bleiben. Kranz sieht ein riesiges Potenzial für dieses Schnellbausystem. In Deutschland seien tausende Brücken marode und könnten so in kurzer Zeit neu gebaut werden. Mit dem üblichen Genehmigungsverfahren und der herkömmliche Bauweise wären laut Kranz mehr als zwei Jahre ins Land gegangen.
Petra Beckefeld will die in Rekordzeit errichteten Brücken im Flutgebiet als Referenzprojekte nutzen, damit zumindest einige der Ausnahmen in der Notsituation auch zu normalen Zeiten zur Regel werden. „Die Politik hat in der Katastrophe mutig gehandelt. Dies würde ich mir auch für die Zukunft wünschen.“