Essen. Der Initiativkreis Ruhr (IR) will ein Vorzeigeviertel im Ruhrgebiet entwickeln. Interview mit den neuen IR-Chefs Rolf Buch und Andreas Maurer.

Das einflussreiche Wirtschaftsbündnis Initiativkreis Ruhr (IR) plant ein neues Vorzeigeviertel im Ruhrgebiet. „Unsere Idee ist, an einer Stelle im Ruhrgebiet alles daran zu setzen, ein Stadtviertel entstehen zu lassen, das den Blick auf die Zukunft des Zusammenlebens ermöglicht“, sagte Vonovia-Vorstandschef Rolf Buch, der mit Andreas Maurer von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) die Führung des Initiativkreises übernommen hat. Bei dem neuen Projekt wolle sich der IR nicht nur mit der Instandsetzung von Gebäuden befassen, sondern auch mit der digitalen Infrastruktur, Nahverkehr, Bildung und Kultur, betonte Buch. Wo das Viertel entstehen soll, sei noch offen. Der IR wolle die Kräfte an einem Standort bündeln, erklärte Maurer: „Was gut läuft, lässt sich dann übertragen auf andere Stadtviertel.“ Im unserem Interview erläutern Rolf Buch und Andreas Maurer ihre Pläne:

Herr Buch, Herr Maurer, der Initiativkreis Ruhr ist im Jahr 1989 gegründet worden, um den Strukturwandel im Revier zu unterstützen. Der Bergbau im Ruhrgebiet ist mittlerweile Geschichte. Passt der Initiativkreis noch in die heutige Zeit?

Buch: Mehr denn je. Die Idee der Gründerväter des Initiativkreises lebt und begeistert mich. Der Grundgedanke lautet: Gemeinsam sind wir stärker. Der Strukturwandel ist nicht beendet, und es gibt besondere Herausforderungen im Ruhrgebiet. Durch Corona kommen neue Themen hinzu, etwa die wegbrechenden Gewerbesteuereinnahmen. Aber die gute Nachricht ist: Es steckt echt Power in dieser Region, vor allem wenn sich verschiedene Akteure zusammentun.

Für den Initiativkreis Ruhr arbeiten Sie ehrenamtlich – neben ihren Führungspositionen bei Vonovia und Boston Consulting. Lässt sich auf dieser Basis viel erreichen?

Maurer: Der Initiativkreis Ruhr lebt von seinem gewachsenen Netzwerk und dem Engagement aller, die dabei sind. Hinter den persönlichen Mitgliedern stehen mehr als 70 starke Unternehmen und Institutionen. Der Initiativkreis ist übrigens viel mehr als nur Wirtschaft. Die Wissenschaft ist vertreten, die Kirche ebenfalls. Im Initiativkreis gibt es viele Menschen mit Gestaltungswillen und Einfluss. Wir können Kräfte mobilisieren.

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Wollen Sie als Initiativkreis Ruhr stärker als bisher in Erscheinung treten?

Buch: Ich denke, wir stellen generell im Ruhrgebiet unser Licht unter den Scheffel. Wir unterschätzen uns zu oft. Daran müssen wir arbeiten. Das Ruhrgebiet darf sich nicht klein machen. Wenn wir uns allein schon die Zahl der Einwohner anschauen, gehört das Ruhrgebiet in die erste Liga. In der EU muss sich die Metropolregion Ruhr vergleichen mit Paris und liegt noch vor dem Großraum Amsterdam und deutschen Städten wie Berlin und Frankfurt. Das muss der Anspruch sein.

Was kann der IR beitragen?

Maurer: Zunächst einmal: Als Moderatoren stehen wir für Dialog. Zum Start in unsere zweijährige Amtszeit haben wir uns intensiv mit den Initiativkreis-Mitgliedern ausgetauscht. Dabei ist klar geworden: Unser neues Leitprojekt, das wir aufsetzen wollen, muss sich um das Thema Infrastruktur drehen. Gleichzeitig stehen wir für Kontinuität. Alle laufenden Leitprojekte in Wirtschaft, Bildung und Kultur werden konsequent fortgeführt.

Wie soll das neue Projekt aussehen?

Buch: Unsere Idee ist, an einer Stelle im Ruhrgebiet alles daran zu setzen, ein Stadtviertel entstehen zu lassen, das den Blick auf die Zukunft des Zusammenlebens ermöglicht. Wir wollen uns bewusst fokussieren und sagen: Auf einen Punkt richten wir den Scheinwerfer. Hier zeigen wir, was möglich ist.

Das Vorhaben erinnert an das vor zehn Jahren initiierte Klimaschutzviertel Innovation City in Bottrop.

Buch: Innovation City ist ein Vorbild, das stimmt. Aber es geht uns um mehr als das Thema Klimaneutralität. Wir wollen uns auch nicht nur mit der Instandsetzung von Gebäuden befassen, sondern darüber hinaus mit Themen wie der digitalen Infrastruktur, Nahverkehr, Bildung und Kultur. Es gehört ganz viel dazu.

Maurer: Wir denken Infrastruktur breiter, das geht über Mobilität und Wohnen weit hinaus. Unser Grundgedanke ist: Das Ruhrgebiet hat das Potenzial, der attraktivste Lebensraum in Europa zu werden. Auf dem Weg dahin wollen wir an einer Stelle ansetzen.

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Hilft es denn weiter, wenn es dann ein Top-Viertel gibt, aber andernorts im Ruhrgebiet niemand profitiert?

Maurer: Wir trauen uns viel zu, aber wir sind auch Realisten. Wir können nicht auf einen Schlag ein Programm für das ganze Ruhrgebiet umsetzen. Wenn wir – bildlich gesprochen – nur mit der Gießkanne durchs Land laufen, haben wir, wenn es dumm läuft, nichts bewirkt. Daher wollen wir uns zunächst beispielhaft auf einen Ort fokussieren. Was gut läuft, lässt sich dann übertragen auf andere Stadtviertel. Ein solcher Roll-out-Prozess ist auch Teil von Innovation City. Das Modell wird mittlerweile auf viele weitere Städte ausgeweitet.

Wo soll das neue Vorzeigeviertel entstehen?

Buch: Wir können heute noch keinen Standort verkünden, sondern möchten eine Idee vorstellen. Wir werfen einen Stein ins Wasser. Und wir wissen, dass noch jede Menge Arbeit vor uns liegt.

Der Standort von Innovation City ist über einen Wettbewerb ermittelt worden. So auch diesmal?

Maurer: Wir möchten das Projekt, wie bei Innovation City auch, initiieren. Aber wir wollen die Städte nicht in Konkurrenz zueinander stellen. Nur gemeinsam bringen wir das Ruhrgebiet nach vorne.

Kann der Initiativkreis ein solches Projekt aus eigener Kraft organisieren und finanzieren?

Buch: Nein, aber wir können Dinge anstoßen, entwickeln und vorantreiben. Uns ist klar, dass wir insbesondere die Unterstützung der Landesregierung brauchen. Auch die Oberbürgermeister sind gefragt. Wir haben jetzt eine neue Generation von Oberbürgermeistern, die verstanden hat, dass wir alle zusammenarbeiten müssen. Das gilt auch für die Industrie. Es schadet, Rivalitäten auszutragen. Maurer: Wir müssen in der Metropolregion die Dinge zusammen anpacken. Wenn wir zu sehr in Partikularthemen denken, kommen wir aus dem Klein-Klein nicht raus.

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Wenn Sie einen bestehenden Stadtteil aufmöbeln, besteht die Gefahr, dass Sie die Menschen dort vertreiben – oder?

Buch: Ganz im Gegenteil: Wir wollen, dass sie bleiben. Genau das ist es, was wir hinkriegen wollen, wenn wir sagen, wir wollen den Ort lebenswerter machen. Ein grundlegendes Ziel des Initiativkreises Ruhr ist es ja, die Lebensqualität der Menschen im Ruhrgebiet zu erhöhen.

Viele Kommunen im Ruhrgebiet ächzen unter einer hohen Schuldenlast. Sind umso mehr Organisationen wie der Initiativkreis Ruhr gefordert?

Buch: Wir können diese großen strukturellen Probleme nicht allein lösen, sondern lediglich mitwirken und Impulse geben. Es ist zum Bespiel wichtig, dass die Städte über einen Schuldenschnitt wieder in die Lage versetzt werden, ihre Arbeit zu machen. Viele Kommunen sind unverschuldet in finanzielle Not geraten. Jetzt kommt Corona hinzu mit entsprechenden Gewerbesteuereinbrüchen. Klar ist: Wir brauchen handlungsfähige Städte. Hier sind Bund und Land gefordert.

Der Initiativkreis Ruhr hat sich dafür eingesetzt, die Olympischen Spiele 2032 in die Region zu holen. Aber die Chancen stehen denkbar schlecht. Betrübt Sie das?

Buch: Meine persönliche Meinung ist: Olympia an Rhein und Ruhr bleibt eine gute Idee, und es gibt ein tolles Konzept, das sehr konsequent auf Nachhaltigkeit setzt. Aus der Vergangenheit wissen wir: Die Spiele können ein Turbo für die Erneuerung der Infrastruktur sein. Es geht hier also auch um das Thema, das uns besonders am Herzen liegt.

Maurer: Aber es gibt keinen Grund, Trübsal zu blasen. Jetzt erst recht: Unsere Idee, ein neues lebenswertes Stadtviertel im Ruhrgebiet zu schaffen, funktioniert auch ohne Olympia.