Dortmund. Angesichts fehlender Fachkräfte im Handwerk sind die deutschen Klimaziele nach Ansicht des neuen WHKT-Präsidenten Berthold Schröder „Makulatur“.
Berthold Schröder ist als neuer Präsident des Westdeutschen Handwerkskammertages (WHKT) seit einigen Tagen eine der gewichtigsten Stimmen des nordrhein-westfälischen Handwerks. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt der Unternehmer aus Hamm, welche Weichen dringend gestellt werden und warum Kunden noch lange Geduld bei Handwerkerterminen haben müssen.
Wie geht es Ihnen nach einer Woche als WHKT-Präsident?
Berthold Schröder: Es kam ja nicht ganz überraschend. Dennoch habe ich Respekt und gehe die Aufgabe mit einer gewissen Demut an. Es geht einerseits darum, das gesamte Handwerk in NRW zu repräsentieren, aber auch die Einigkeit zu erhalten. Es gibt sehr große Herausforderungen, da ist Geschlossenheit gefragt.
Steht die infrage?
Es gibt schon gewaltige Fliehkräfte. Das wird etwa deutlich, wenn Sie sich die Erosion bei den Mitgliederzahlen in den Innungen anschauen und daraus folgernd die Schwächung der Fachverbände und Kreishandwerkerschaften. Das ist das Wurzelwerk unserer ganzen Organisation. Das sind die inneren Fliehkräfte. Hier geht es auch immer darum, als Handwerk Gehör bei der Politik zu finden. Und dann haben wir die externen Fliehkräfte wie Fachkräftemangel, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Es wirkt im Moment eine ganze Menge auf das Handwerk ein. Daher ist eine meiner wichtigsten Aufgaben, dass das Handwerk bei diesen Themen möglichst mit einer Stimme spricht.
Wie beantwortet das Handwerk die Frage nach Nachhaltigkeit?
Wir müssen dieses Thema erst einmal für uns aufschließen. Es heißt zwar, Handwerk ist immer nachhaltig. Das greift aber zu kurz und wird für die Zukunft nicht reichen. Das Handwerk mit Blick auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung sprechfähig zu machen, ist schon eine ziemliche Aufgabe.
Können Sie Beispiele nennen?
Wie bekommt man es zum Beispiel hin, mit weniger Energie Brötchen zu backen, die trotzdem schmecken. Wir werden uns auch mit Blick auf unsere Fuhrparks neu orientieren müssen. Da wird es nicht ohne Unterstützung aus der Politik gehen. Sie erinnern sich, dass wir vor drei, vier Jahren aufgefordert wurden, neue Dieselfahrzeuge zu kaufen. Das ist jetzt schon wieder falsch. Es muss aber für uns wirtschaftlich tragbar sein. An solchen Stellen braucht es eine starke Stimme des Handwerks.
Wäre es ein Ziel, wenn die Technik es hergibt, im nächsten Zyklus auf E-Mobilität umzurüsten?
Ich bin gegen Vorgaben. Das müssen die Betriebe für sich entscheiden. Und das tun sie auch in großer Autonomie, weil sie sehr unterschiedliche Anforderungen haben. Bitte also keine Vorgaben vom Gesetzgeber, sondern Unterstützung für diejenigen, die sich auf den Weg machen wollen.
Apropos Vorschriften. Die NRW-Landesregierung hatte sich vorgenommen, vieles zu entbürokratisieren. Ist das Handwerk mit den vielen Entfesselungspakten zufrieden?
Man muss anerkennen, dass viele Dinge einfacher gestaltet wurden, wie etwa das Tariftreue- und Vergabegesetz. Der eingeschlagene Weg ist richtig, aber wir sind noch nicht am Ende. Was wir uns wünschen würden, wäre ein Initiativrecht des Handwerks, damit auch bestehende Gesetze noch einmal auf Vereinfachung überprüft werden. Es würde mich freuen, wenn wir das in dieser Legislatur, also bis Mai 2022, noch hinbekämen.
Im Bereich Berufliche Bildung ist der WHKT mit der Landesregierung gar nicht zufrieden. Wieso?
Es sollte einen Diskussionsprozess zur Verbesserung der beruflichen Bildung geben. Uns ist aber nur das Ergebnis mitgeteilt worden. Jetzt stärkt man ausgerechnet den gymnasialen Teil der Berufskollegs mit 100 Millionen Euro.
Wozu führt das?
Diejenigen, die ein Vollabitur machen, wollen studieren. Wir hätten uns eine bessere Finanzierung zur Beseitigung des Fachlehrermangels an den Berufsschulen gewünscht. Gerade in den technischen Gewerken gibt es wirklichen Bedarf.
Die Entscheidung schwächt die berufliche Bildung?
Ja, sie schafft weitere Nebenwege, dabei fehlen uns schon heute im Handwerk zwischen 65.000 und 250.000 Fachkräfte in Deutschland. Die Idee muss doch sein, junge Leute auf den Weg in eine berufliche Karriere zu bringen. Wir müssen diese Lücke schließen, sonst erreichen wir auch unsere Klimaschutzziele nicht.
Inwiefern?
Ohne Handwerker werden wir unsere Ziele im Bereich Gebäudesanierung nicht erreichen. Da wird jeder Plan, der in Berlin zur Erreichung der Klimaziele geschmiedet wird, zur Makulatur. Deshalb muss die kommende Regierung die berufliche Bildung stärken.
Wie könnte das aussehen?
Wir haben jetzt Jahrzehnte erlebt, in denen unheimlich viel Geld in die Hochschullandschaft geflossen ist. Ich bedauere das in keiner Form, dass wir da exzellente Bildungsstätten haben, aber das müssen wir auch im Handwerk flächendeckend hinbekommen. Letztlich steuert man mit Geld auch Bildungsströme. Unsere Bildungszentren müssen auch Leuchttürme sein.
Muss das Handwerk stärker auf Zuwanderung setzen, auch für Menschen ohne Gesellenbrief?
Wir kommen ohne Zuwanderung nicht aus, aber wir müssen sie für das Handwerk handhabbar machen. Es gibt Modelle, Fähigkeiten anzuerkennen. Die nutzen wir bereits. Aber es ist trotz Fachkräfteeinwanderungsgesetz noch zu zäh und bürokratisch. Und der Schlüssel für Integration ist immer noch die deutsche Sprache. Da müssten wir schon in den Herkunftsländer für Qualifizierung sorgen.
Ein Hinweis an die kommende Bundesregierung?
Wir sollten hier die Goetheinstitute nutzen. Sprachkenntnis auf dem Niveau B2 ist mindestens so wichtig wie eine Stellenzusage.
Eine Frage für alle Kunden – wann gibt wieder normale Wartezeiten auf einen Handwerker-Termin?
Für Notfälle wird es sicher immer Kapazitäten geben, aber grundsätzlich wird sich die Lage nicht ändern. Ich glaube nicht, dass es in einem Jahr besser ist. Durch die Nullzinspolitik und steigende Energiepreise investieren viele in ihre Häuser. Die Beseitigung der Flutschäden in Höhe von 36 Milliarden Euro ist eine weitere Herausforderung, die vom Handwerk gestemmt werden muss. Die Situation wird sich erst verbessern, wenn es uns gelingt, den Fachkräftemangel besser zu bekämpfen. Das ist der entscheidende Punkt. Es kommt sogar noch eine demografische Komponente hinzu. Die 60er-Geburtenjahrgänge gehen bald in den Ruhestand. Das wird das Problem eher noch verschärfen. Ich kann den Kunden wenig Hoffnung machen, dass es in den kommenden Jahren besser wird.
Zur Person Berthold Schröder
Berthold Schröder, geboren in Hamm/Westfalen ist 61 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder.Seit 1991 ist Schröder Geschäftsführer der Firma Georg Schröder Schreinerei und Holzbau in Hamm.Seit 2014 ist Schröder Präsident der Handwerkskammer Dortmund; seit 2016 war er WHKT-Vizepräsident. Am 29. Oktober wurde er zum WHKT-Präsidenten gewählt. Seit 2019 ist er im Präsidium des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH).