Hagen. Das Ausbildungsjahr hat begonnen, dennoch sind die Chancen auf eine Lehrstelle „so gut wie seit 20 Jahren nicht“, wirbt IHK-Präsident Stoffels.

Die Zahl abgeschlossener Verträge ist für ein Ausbildungsjahr die harte Währung. In Nordrhein-Westfalen ist sie in diesem Jahr gegenüber 2020 leicht gestiegen. Gegenüber dem Vor-Coronajahr 2019 klafft aber eine enorme Lücke, wie eine erste Zwischenbilanz von Arbeitsagentur, Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer am Mittwoch zeigte.

Betriebe im Handwerk bieten endlich wieder Praktikumsplätze an

Bei den Lehrstellen für Industrieberufe, im Handel und bei den Dienstleistungen sind beinahe 8.600 Verträge weniger abgeschlossen worden als 2019. Ein Minus von 15 Prozent. Im Handwerk sieht es etwas besser aus. 18.800 Verträge in diesem Jahr bedeuten lediglich 600 weniger als im Vor-Coronajahr. Eine ähnliche Tendenz gibt es in freien Berufen, wie Arzt- und Praxishelferinnen, erklärt Thorsten Withake, Chef der NRW-Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit.

Die Zeit der Corona-Pandemie ist insgesamt ein deutlicher Rückschlag für die nun seit Jahren anhaltenden Bemühungen, ausreichend Bewerberinnen und Bewerber für die angebotenen Lehrstellen zu erreichen. Die Ansprache über die Schulen lag seit dem Frühjahr 2020 weitestgehend brach. Ausbildungsmessenfanden in digitalen Formaten statt und Praktika und Berufsfelderkundung waren kaum möglich. Mittlerweile sieht dies anders aus, sagt Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer Dortmund: „Die Betriebe sind wieder bereit, Praktikumsplätze anzubieten.“ Wo und wie, können Interessierte auf einem eigens eingerichteten Portal (siehe Infobox) für ganz Nordrhein-Westfalen abrufen.

Noch 27.700 offene Lehrstellen in NRW

Ende August 2021 waren noch rund 19.000 Bewerberinnen und Bewerber auf der Suche nach einer Lehrstelle. Gleichzeitig gab es noch 27.700 offene Stellen (Quelle Bundesagentur für Arbeit).

Die Industrie- und Handelskammern werben unter www.mach-eine-ausbildung.de

Auch die Handwerkskammern Dortmund (hwk-do.de) und Südwestfalen (hwk-swf.de) bieten Lehrstellenbörsen und eine Praktikumsbörse unter www.whkt.de/praktikum

Nach wie vor werden die Verbände und die Bundesagentur nicht müde, für die duale Berufsausbildung zu werben, weil nach wie vor Fachkräfte fehlen. Im Bereich des Handwerks müsse laut Schröder zudem in den kommenden Jahren in beinahe einem Drittel der Betriebe die Nachfolgefrage beantwortet werden. „Wer jetzt eine Ausbildung beginnt, könnte in zehn Jahren schon sein eigener Chef sein.“

Stärkster Bewerberrückgang inSüdwestfalen und dem Münsterland

Betriebe in Regionen wie Südwestfalen mit einem Rückgang von 13 Prozent an Bewerberinnen und Bewerbern und das Münsterland (minus elf Prozent) müssen darauf hoffen, dass auch Schulabgänger aus anderen Landesteilen den Weg zu ihnen finden.

Wie bereits im Vorjahr, werben die Kammern und die Bundesagentur bei Interessierten dafür, auch nach dem eigentlichen Start des Ausbildungsjahres am 1. August beziehungsweise 1. September noch einen Versuch zu starten, eine Lehrstelle zu finden. Im Bau- und Ausbauhandwerk gibt es demnach noch beste Chancen. Gleichermaßen in der Industrie, in Berufen wie Verfahrensmechaniker oder Maschinen- und Anlagenbauer, weniger in Büroberufen.

Rund 300.000 Fachkräfte fehlen laut Ralf Stoffels, Präsident der Industrie- und Handelskammer NRW, der Industrie im Bundesland: „Seit 20 Jahren waren die Chancen noch nie so gut einen Ausbildungsplatz zu bekommen.“ Noch bis zum Ende des Jahres sei das realistisch möglich. Auch wer sich noch später entscheide, müsse nicht bis zum September 2022 warten. Die Industrie- und Handelskammern böten über ihre Bildungseinrichtungen Übergangslehrgänge an, die auf einen Start vorbereiten. Schlecht sieht es in den Branchen aus, die stark mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kämpfen haben.

Ein Problem seit Jahren ist es, dass eine erhebliche Zahl an Schulabgängern, die weder eine Ausbildung noch ein Studium beginnen, immer irgendwie durchs Rost rutscht. Deshalb bemüht man sich nun in NRW, die Abgängerdaten von den Schulen zu bekommen und systematisch solche Fälle zu durchforsten. Immer in der Hoffnung, sie für eine duale Berufsausbildung gewinnen zu können, erläutert Agenturchef Thorsten Withake.