Essen. Die IG BCE hat Michael Vassiliadis für eine vierte Amtszeit wiedergewählt. Einmal mehr wird er gegen einen vorgezogenen Kohleausstieg kämpfen.

Die Zustimmung für Michael Vassiliadis in der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie nimmt ab: Nach 99,2 und 97,7 Prozent erhielt er bei seiner dritten Wiederwahl zum Vorsitzenden der drittgrößten Einzelgewerkschaft Deutschlands „nur“ noch 97,4 Prozent der Delegiertenstimmen. Das reicht freilich aus für weitere vier Jahre an der Spitze der IGBCE. Dabei ist Vassiliadis bereits der dienstälteste Chef einer DGB-Gewerkschaft, seitdem Frank Bsirske 2019 nach 18 Jahren als Verdi-Chef abtrat. Macht der 57-jährige Vassiliadis bis zum Rentenalter weiter, könnte er Bsirskes Amtszeit noch übertreffen.

Es werden harte Jahre für die IGBCE – der Bergbau hat auch über Tage keine Zukunft mehr in Deutschland, die Energiewirtschaft muss sich neu erfinden, und die Chemieindustrie leidet unter den hohen Energiepreisen. Die Kohlegewerkschaft zu führen, ist nicht leicht in diesen Zeiten, da sich Deutschland für eine klimaneutrale Industrie dekarbonisiert. Tatsächlich genießt Vassiliadis dafür innerhalb seiner Gewerkschaft breitestes Vertrauen. Das hat er sich mit jener Beharrlichkeit verdient, mit der er die jeweilige Bundesregierung bearbeitet, um die Folgen des Kohleausstiegs und der Energiewende für die Beschäftigten in Grenzen zu halten.

Vassiliadis hat gute Drähte in die SPD-Spitze

Entsprechend ist Vassiliadis’ mahnende Stimme auch jetzt die lauteste, wenn SPD, Grüne und FDP in ihren Koalitionsverhandlungen darüber reden, bereits bis 2030 statt 2038 aus der Kohle auszusteigen. Seine Mutter stammt aus dem Ruhrgebiet, sein Vater kam als griechischer Gastarbeiter nach Deutschland – der gebürtige Essener hat seine Wurzeln im Arbeitermilieu und tritt bis heute auch so auf: als hart um die Interessen der Beschäftigten kämpfender Gewerkschaftsführer. Das SPD-Mitglied wird seine guten Drähte in die führende Sozialdemokratie auch jetzt zu nutzen versuchen, um einen noch früheren Kohleausstieg zu verhindern.

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Vassiliadis warnt seit Jahren davor, ein übereilter Kohleausstieg gefährde die Versorgungssicherheit, weil Ökostrom nicht immer verfügbar ist. Die Stromkonzerne selbst kämpfen dagegen längst nicht mehr so verbissen um das im Kohlekompromiss vor drei Jahren verabredete Ausstiegsdatum 2038. In den 30er-Jahren würden fast nur noch die besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke laufen. Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach stellt sich auf Verhandlungen über ein früheres Aus für das umstrittene Steinkohlekraftwerk Datteln 4 ein und erwartet dafür eine Entschädigung. RWE-Chef Markus Krebber erklärte unlängst auch einen Braunkohle-Ausstieg 2030 für „machbar“.

Mit Vassiliadis eint die Stromerzeuger die Kritik am viel zu langsamen Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland. Denn der ist die Grundvoraussetzung dafür, konventionelle Grundlast-Kraftwerke abschalten zu können. Solange sich da nichts tue, sei 2030 „nur ein Symbol“, sagte Vassiliadis jüngst.

IGBCE fordert 120-Milliarden-Fonds für grüne Industrie

Bei ihrem Gewerkschaftskongress in Hannover diskutieren die 400 Delegierten vor allem über die politisch gewollte Beschleunigung der Energiewende. Vassiliadis sagte zum Auftakt, es gebe „keinen Puffer mehr“, um Dinge wie technische Neuerungen in die Zukunft zu verschieben. Die neue Bundesregierung müsse dabei die Bevölkerung mitnehmen, vor allem aber „Geld zur Verfügung stellen, damit das auch passiert“. Zu Beginn des Jahres hatte er einen 120-Milliarden-Fonds gefordert, aus dem der Umbau zur grünen Industrie bezahlt werden soll.

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Vor den Delegierten positionierte er sich als Reformer, sagte in seiner Grundsatzrede: „Wir brauchen und wir wollen Veränderung.“ Es müssten Mittel und Wege gefunden werden müssten, die Klimaschutzziele zu erreichen. Dann sieht der IGBCE-Chef darin eine große Chance: „Eine gut gemachte Transformation könnte das größte Modernisierungs- und Standortsicherungsprogramm der deutschen Industrie seit Jahrzehnten werden“, sagte er. Diese Frage entscheide sich in dieser Dekade.

IGBCE bekennt sich zum Pariser Klimaabkommen

Am Dienstag beschloss der IGBCE-Kongress einen Leitantrag, in dem sich die Gewerkschaft zum Pariser Klimaabkommen und dem europäischen Green Deal bekennt. Sie fordert aber, die ökologische Transformation der Industrie mit sozialen Maßnahmen zu verknüpfen: Die soziale und beschäftigungspolitische Dimension der Nachhaltigkeit müsse die Politik ebenso verbindlich festschreiben wie die Klimaziele.

Neben Vassiliadis wurde auch sein Stellvertreter Ralf Sikorski wiedergewählt, der seit wenigen Wochen Vize-Aufsichtsratschef beim Essener Stromkonzern RWE ist. Bestätigt wurden in ihren Vorstandsämtern auch Karin Erhard und Francesco Grioli, neu in den fünfköpfigen IGBCE-Vorstand gewählt wurde Birgit Biermann.