Duisburg. Duisburgs Kämmerer zieht kritische Bilanz vergangener Sparrunden, die zu „personeller Ausblutung“ geführt hätten. Ende der Überschuldung naht.
Die Stadt Duisburg will Ende nächsten Jahres ihr Trauma der Überschuldung hinter sich lassen. Kämmerer Martin Murrack zieht eine kritische Bilanz der vielen Sparrunden seit 1977. Sie hätten zu einer personellen Ausblutung der Stadtverwaltung gehört. Im Interview erklärt der Stadtdirektor, wie Duisburg mit innovativen Ideen, Hilfen des Landes, aber auch schmerzlichen Steuererhöhungen wieder Handlungsspielraum gewinnt.
Herr Murrack, die Stadt Duisburg wird ab Ende kommenden Jahres nicht mehr überschuldet sein. Was bedeutet das für Ihre Bürgerinnen und Bürger und die ansässigen Unternehmen?
Martin Murrack: Das ist eine großartige Nachricht für Duisburg und eine echte Zäsur. In die Stadt kehrt ein Selbstbewusstsein zurück, das sie sehr lange nicht mehr hatte. Duisburg war vor dem Strukturwandel eine stolze Stadt – das haben wir ein Stückweit verlernt und finden diesen alten Stolz langsam wieder zurück. Ein Unternehmen wäre mit der finanziellen Lage Duisburgs in den vergangenen Jahren längst pleite. Jetzt können wir uns wieder politisch gewollte Projekte leisten.
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Warum zeigten die jährlichen Sparrunden der vergangenen Jahrzehnte denn nicht den erhofften Erfolg? Die Verschuldung wurde stattdessen immer größer.
Murrack: Es ist erschreckend zu sehen, dass Duisburg bereits im Jahr 1977 die erste Sparrunde gestartet hatte und wie wenig die weiteren Konsolidierungsschritte danach gebracht haben. Das war ein Klein- und Kaputtsparen. Wir haben Tafelsilber wie unsere RWE-Aktien verscherbelt, Büchereien und Bäder geschlossen. Eigentlich war es immer ein Ansparen gegen Beschlüsse aus Berlin und Düsseldorf, die immer weitere Kosten auf die Schultern der Städte geladen haben. Erst mit dem Amtsantritt von Oberbürgermeister Sören Link im Jahr 2012 und dem Stärkungspakt der Landesregierung wurde gegengesteuert. Seither haben wir den Anspruch formuliert, dass Duisburg bei allem Konsolidierungsbedarf attraktiv für Familien und Unternehmen bleiben muss.
Was machen Sie denn nun anders?
Murrack: Die Stadtverwaltung musste in der Vergangenheit auch beim Personal sparen. Das führte dazu, dass wir beim Neubau und bei der Instandhaltung zum Beispiel von Schulen ein echtes Defizit haben. Eine neu gegründete Schulbaugesellschaft bedient sich nun externer Fachleute. Wir konnten nicht mehr genügend in Straßen investiert. Deshalb haben wir zusammen mit dem Hafen eine Infrastrukturgesellschaft geschaffen, weil der Sanierungsstau mit unserem eigenen Personal nicht mehr zu bewältigen war. Das Gesundheitsamt hat immer den Kürzeren gezogen, weil die Stadt generell nur eine von drei vakanten Stellen extern wiederbesetzen durfte. Die Stadtverwaltung ist regelrecht ausgeblutet. Zu Beginn der Corona-Pandemie haben wir nun massiv neue Leute im Gesundheitsamt eingestellt. Durch die finanziellen Spielräume können wir seit einigen Jahren wieder mehr Mitarbeitende einstellen und Auszubildende ausbilden.
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Sie haben seit 2014 Kassenkredite in Höhe von fast 700 Millionen Euro abgebaut. Wäre Ihnen das ohne die Unterstützung von Bund und Land gelungen?
Murrack: Nein. Erst mit der Einführung des NRW-Stärkungspakts im Jahr 2012 ging es aufwärts. 2009 noch hatte Duisburg das Haushaltsjahr mit einem Rekordminus von 187 Millionen Euro abgeschlossen. 2014 betrug es schon nur noch 54 Millionen Euro. Und während der Corona-Krise haben wir natürlich davon profitiert, dass der Bund unsere Gewerbesteuerausfälle ausgeglichen hat.
Die Grund- und die Gewerbesteuer hat Duisburg zuletzt kräftig erhöht. Die Kommunen in NRW, die noch stärker hinlangen, sind an zwei Händen abzuzählen. Gewinnt die Stadt ihren finanziellen Spielraum auch auf Kosten von Unternehmen, Hauseigentümern und Mietern zurück?
Murrack: Das ist natürlich bitter. Das macht keine Stadt gerne. Die Steuererhöhungen waren aber notwendig. Zum Glück sind uns große Unternehmen nicht weggelaufen. Während der Pandemie konnten wir unter Beweis stellen, dass eine unbürokratisch helfende, jederzeit ansprechbare und anpackende Verwaltung genauso viel Wert hat wie ein attraktiver Gewerbesteuerhebesatz. Natürlich wären alle froh, wenn er wieder nach unten gehen könnte. Wir erarbeiten uns gerade den Freiraum, um die Gewerbesteuer wieder dezent senken zu können. Einen Kannibalismus, wie ihn etwa Leverkusen oder Monheim begonnen haben, wird es mit uns aber nicht geben. Das gilt im übrigen auch für die Grundsteuer.
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Welches Ziel haben Sie vor Augen?
Murrack: Die Ruhrgebietsstädte sollten wieder auf Augenhöhe etwa mit der Landeshauptstadt kommen. Düsseldorf wirbt bei Familien damit, dass dort so gut wie keine Kita-Gebühren erhoben werden. In Duisburg und anderen Revierkommunen sind sie dagegen sehr hoch. Auch die Kita-Gebühren wollen wir senken.
Die städtische Wohnungsgesellschaft Gebag hat zwei großen Brachen an der Regattabahn und am Hauptbahnhof nach jahrelangem Stillstand erworben, um dort Wohnungen und Gewerbe zu planen. Empfehlen Sie diesen Weg auch anderen Ruhrgebietsstädten, um den Flächenmangel zu bekämpfen.
Murrack: Auf jeden Fall. Wir sehen doch, dass das Ruhrgebiet bislang noch nicht im Blickfeld internationaler Projektentwickler liegt wie Düsseldorf, Frankfurt oder München. Deshalb kehren wir zu dem Modell zurück, dass die Stadt Brachflächen erwirbt und entwickelt. Für die Beseitigung von Altlasten brauchen wir auch weiterhin die Unterstützung von Land und Bund. Ich bin der Gebag sehr dankbar, dass sie die Themen der Stadtentwicklung mit uns gemeinsam vorantreibt. Dass wir sie dabei mit Eigenkapitalspritzen und Bürgschaften in die Lage versetzen, das Areal des ehemaligen Bahn-Ausbesserungswerks 6-Seen-Wedau kaufen zu können, ist naheliegend. Dort sollen rund 3000 Wohneinheiten und zusätzliches Gewerbe entstehen. Auch das Güterbahnhofgelände in der Innenstadt hat die Gebag übernommen. Dort planen wir die Duisburger Dünen. Diese Flächen werden das Gesicht Duisburgs verändern und attraktive Flächen für neue Bürgerinnen und Bürger und neue Unternehmen bieten.
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Was macht Sie so zuversichtlich, dass die Entspannung der Duisburger Finanzen nachhaltig sein wird?
Murrack: Die Stadtentwicklung wird dazu führen, dass wir unsere Einnahmesituation weiter festigen. Zudem haben wir die hohen Corona-Belastungen und ein möglicher Anstieg der Zinsen sind in unserer Finanzplanung berücksichtigt. Wenn die Wünsche der Politik jetzt nicht in den Himmel wachsen, werden wir unsere Haushalte in den nächsten Jahren mit einem Plus abschließen, da bin ich zuversichtlich. Ich bin froh, dass der Rat der Stadt Duisburg die bisherige Linie der Haushaltskonsolidierung konsequent mitgetragen und unterstützt hat. Das wird auch in Zukunft so sein.
Steigen die Chancen mit einem möglichen SPD-Kanzler Olaf Scholz, dass Ihnen Bund und Land auch beim Abbau der Altschulden in Höhe von immerhin einer Milliarde Euro helfen werden?
Murrack: Seit Mittwoch liegen die Altschulden der Stadt Duisburg erstmals seit 2006 unter der Milliardengrenze. Wir sind jetzt bei 980,1 Millionen Euro. Vor allem die Sozialausgaben haben uns und andere Ruhrgebietsstädte finanziell massiv nach unten gezogen. Eine Entschuldung der Kommunen ist deshalb auch ein Gebot der Gerechtigkeit. Eine Altschulden-Regelung steht im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben NRW-Landesregierung. Bis zur nächsten Wahl ist noch etwas Zeit. Da werden wir sehen, ob die Koalitionäre in Düsseldorf zu ihrem Wort stehen. Ich bin froh, dass auch Olaf Scholz das Thema Altschuldenfonds aufgegriffen hat. Ich glaube schon, dass wir dafür Verbündete im Bund und bei den Ländern haben. Denn eines ist doch klar: Sobald die Zinsen wieder steigen, werden auf die Städte ganz neue Probleme mit steigender Zinsbelastung und zusätzlich notwendiger Tilgung zukommen.