Hagen/Olsberg. Die nationale CO2-Steuer wird zum Politikum. Die Entscheidung über eine Entlastung des Mittelstands liegt beim Parlament - das streitet.
Seit Januar gilt das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). An Tankstellen kann man das gut ablesen. Weniger offensichtlich ist, dass es offenbar den Mittelstand, mindestens wenn er mit hohem Energieaufwand produzieren muss und im internationalen Wettbewerb steht, vor erhebliche Probleme stellt.
Unwissenheit über den Mittelstand?ntar Jens Helmecke
Ursprünglich war der nationale Alleingang zur Besteuerung fossiler Brennstoffe für die Bereiche Verkehr und Wärme angekündigt. Als das Gesetz im November 2020 beschlossen wurde, war plötzlich auch die Industrie mit gemeint, wenn sie nicht bereits am europäischen Zertifikatehandel teilnimmt. Hier sind nur die großen Emittenten versammelt wie Thyssenkrupp etwa. Die kleineren, wie zahlreiche Mittelständler, galten bis dato als vernachlässigbar.
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Mit dem nationalen Gesetz ist das anders. Die Belange des energieintensiv produzierenden und im internationalen Wettbewerb stehenden Mittelstands zu berücksichtigen, dafür hat es im Gesetzgebungsverfahren nicht gelangt.
Ein Problem, das die Regierung durch eine Verordnung zum Schutz dieser Unternehmen, die sogenannte BEHG-Carbon-Leakage-Verordnung (BECV), heilen will. Ob man sich in Berlin beim Formulieren tatsächlich über die Folgen für industriellen Mittelstand im Klaren war, wird nun sogar von Politikern der Regierungsfraktionen bezweifelt. „Der Entwurf ist zwischen Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium ausgehandelt worden. Man hat allerdings leider den Eindruck, dass gerade im Haus von Peter Altmaier (Bundeswirtschaftsminister, CDU) viel Unwissenheit über die Folgen des BEHG im Mittelstand herrscht“, wettert der Sauerländer SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese. Die Verhandlungen zwischen SPD- und CDU/CSU-Fraktion im Bundestag liefen derzeit noch, erklärt Wiese. Spätestens zum Ende der Sitzungszeit vor der Sommerpause Ende dieses Monats müsste Einigkeit her, sonst gilt dies als Zustimmung zur Verordnung. „Wir haben als SPD kein Interesse daran, dass die mittelständische Industrie über die Wupper geht“, betont Wiese.
Politiker Friedrich Merz warnt Auswirkungen des nationalen Alleingangs
In die Verhandlungen eingreifen kann der Sauerländer CDU-Bundestagskandidat Friedrich Merz zwar nicht, mitreden schon: „Viele mittelständische Unternehmen im Sauerland erhalten in diesen Tagen ihre Rechnungen für die CO-Bepreisung. Schon jetzt ist die Belastung für etliche Betriebe so hoch, dass man sich Sorgen um den Erhalt der Arbeitsplätze machen muss, gerade mit Blick auf die ohnehin schon großen Belastungen durch die Corona-Krise“, erklärt Wirtschaftsexperte Merz.
Die Politik habe vom Bundesverfassungsgericht den Auftrag bekommen, beim Klimaschutz nachzuarbeiten. Das bedeute aber nicht, „dass wir uns jetzt den nächsten über’s Knie gebrochenen und teuren nationalen Alleingang leisten können“, warnt er.
Eine effektive CO2-Bepreisung, die gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhält, gelinge nur im europäischen Schulterschluss. Deshalb sollte die Politik auf das europäische Emissionshandelssystem (ETS) setzen.
Wenigstens gleiche Rahmenbedingungen auf dem europäischen Markt, wünscht sich auch der Mittelstand, der über die Klimaziele gar nicht diskutieren will, sondern sie als Richtlinie versteht.
100 Millionen Euro Investition am Standort Hagen infrage gestellt
Das Kaltwalzunternehmen Waelzholz aus Hagen mit über 2000 Beschäftigten ist selbst an dem Erreichen dieser Ziele beteiligt. Waelzholz stellt unter anderem Elektroband her, das in Windkraftanlagen, Bahnantrieben, aber batterieelektrischen Pkw und Hybridautos gebraucht und immer stärker nachgefragt wird. Das Unternehmen plant gerade eine rund einhundert Millionen Euro teure Investition in die Erweiterung dieser Produktion – am liebsten am Stammsitz des Familienunternehmens. „Der Markt für hochwertiges Elektroband in Europa ist vorhanden, unserer geplanten Investition in eine entsprechende Produktionsanlage steht ein hoher Bedarf der Kunden gegenüber“, sagt Technik-Geschäftsführer Heino Buddenberg.
Vorhandene Grundstücke, gut ausgebildete Mitarbeiter und die Anbindung an die vorhandene Produktion seien Argumente dafür, in Hagen zu erweitern. Neben den hohen Arbeits- und Standortkosten sprächen die erwartbaren Energiekosten jedoch nicht für den Standort Deutschland. „Wenn die Wettbewerbsfähigkeit im globalen Markt fehlt, weil die Kosten für CO-Emissionen unverhältnismäßig hoch werden, kann sich eine Investition in Deutschland in Summe nicht rechnen“, stellt Buddenberg fest. Das Unternehmen ist bereit, mittelfristig auch klimaneutral zu fertigen. „Dafür benötigen wir aber eine klare Perspektive für die Anbindung an ein Wasserstoffnetz“, sagt Buddenberg.
Rendite bei Olsberg GmbH (Olsberger Hütte) droht spätestens 2025 bei null zu landen
Theoretisch wäre auch für die Eisengießerei Olsberger Hütte eine technische Umstellung denkbar. Die Anlage am Standort im Sauerland, wo das Unternehmen seit weit mehr als 400 Jahren produziert, ist modern und wurde erst vor knapp sechs Jahren in Betrieb genommen. Damals die größte Investition in der Firmengeschichte.
Dennoch ist klimaneutrale Produktion hier schwierig. „Wir befeuern unseren Kupolofen mit Koks. Beim aktuellen Strommix in Deutschland hätten wir mit einem elektrisch betriebenen Induktionstiegelofen mehr CO-Ausstoß als jetzt. Eine Umstellung auf Induktion wäre eine Millioneninvestitionen, die aktuell umwelttechnisch gar keinen Sinn macht“, erläutert Technikchef Volker Schulte.
Komplexe Berechnung und Förderung unter Vorbehalt
Mit der Verordnung BECV soll eine Verlagerung von industrieller Produktion und damit des CO2-Ausstoßes ins Ausland verhindert werden, genannt Carbon Leakage.
Die Berechnung der Entlastung hängt von mehreren Faktoren ab. komplex und je nach Branche unterschiedlich. Das Beihilfenniveau wird durch die 10 Prozent Besten, d.h. am wenigsten fossile Brennstoffe verbrauchenden Anlagen einer Branche bestimmt.
Erhaltene Entlastung hängt von der Haushaltssituation des Bundes ab und muss in jedem Fall ab 2025 mindestens zu 80 Prozent (in den Jahren 2023 und 2024: 50 %) in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden.
Die Olsberg GmbH produziert unter anderem Gussteile für den Maschinenbau und steht damit zwangsläufig im globalen Wettbewerb. Die Gewinnmargen in dieser Branche sind sehr übersichtlich und in der jüngeren Vergangenheit sind sie durch steigende Energiekosten noch weiter geschmolzen. „Bei der in der Gesetzesverordnung (BECV) vorgesehenen Beihilfe zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und zur Vermeidung von Carbon Leakage kämen wir auf 26 Prozent Entlastung. Die großen Gießereien erhalten aber über den ETS 75 bis 85 Prozent der CO-Zertifikate kostenfrei. Zudem müssen wir die Abgabe vorfinanzieren, die Großen nicht. Nach dem aktuellen Stand der Verordnung sänke unsere Rendite spätestens im Jahr 2025 nahezu auf null.“ Dass Schulte das Gesetz als „extrem mittelstandsfeindlich und nicht zu Ende gedacht“ bezeichnet, darf nicht wundern. Bliebe es beim Entwurf, den das Kabinett verabschiedet hat, würde damit ein drohendes Aus des Traditionsunternehmens befeuert.