Essen. Der Nachwuchsmangel bedroht den ganzen Berufsstand. Mit einer Image-Kampagne will die Ingenieurkammer Bau in NRW nun gegensteuern.

Dieser Beruf leidet nicht unter einem Mangel an Selbstvertrauen: „Ohne Ingenieure im Bau- und Vermessungswesen gäbe es keine Messehallen, keine Häuser, keine Fluchtwege, keine Fahrradständer, keinen Kreisverkehr, keine Brücken, keine Bahnstrecken, keine Kläranlagen, keine Deiche, keine Operationssäle, keine Entlüftungsschächte, keine Erdgasverflüssigungsanlagen, keine Flughäfen, keine Formel-1-Strecken“, heißt es stolz auf der Homepage der Ingenieurkammer Bau NRW. Doch das Wissen um die eigene Unentbehrlichkeit nützt wenig, wenn andere zu wenig davon mitbekommen. Die Bauingenieure in NRW plagen Nachwuchssorgen.

Drohnen und Drei-D-Drucker statt Karohemd und Gummistiefel

Mit einer aufwändigen Image-Kampagne namens „Bling Bling“ will die sonst weit unter dem Radar öffentlicher Wahrnehmung agierende Berufsvertretung den Ruf des Bauingenieurs vor allem unter jungen Leuten verbessern. Zielgruppe sind die 16- bis 32-Jährigen. Gelingen soll das durch Werbung in sozialen Netzwerken und eine eher augenzwinkernd gemeinte Merchandise-Linie typischer Ingenieursutensilien: Karohemd, Bauhelm, Gummistiefel, Dreikantlineal – vertrieben über einen extra eingerichteten Onlineshop.

"Wir wollen den Bauingenieur zum Kult machen“

Die auf eine Dauer von drei Jahren angelegte Werbestrategie hat einen ernsten Hintergrund. Denn im Konzert der Technikberufe verliert der Bauingenieur zusehends an Attraktivität. „Das Bild des Ingenieurs in Deutschland ist positiv besetzt. Verglichen mit Maschinenbauern oder Informatikern aber gilt der Bauingenieur gerade unter jungen Leute leider als eher uncool“, sagt Kammerpräsident Heinrich Bökamp. Viel Beton und Zement, wenig Bits und Bytes: Dieses längst überholte Bild des täglich über schlammige Baustellen stapfenden Bauingenieurs will man zurechtrücken. Bökamp: „Wir wollen den Bauingenieur zum Kult machen.“ Denn auch die Arbeit des Bauingenieurs komme heute ohne zukunftstweisende digitale Werkzeuge wie Drohnen oder Drei-D-Drucker nicht mehr aus.

Von den Hochschulen kommen zu wenig Absolventen

Der Ingenieurkammer geht es aber nicht nur um eine Image-Korrektur des Berufsstandes. Es geht um blanke Nachwuchssorgen. In den kommenden Jahren erreicht über die Hälfte der fast 12.000 Bauingenieure an Rhein und Ruhr die Altersgrenze. Gleichzeitig rücken aus den Ingenieursstudiengängen der Universitäten und Fachhochschulen zu wenig Nachwuchskräfte nach. „Die Zahlen klaffen immer weiter auseinander“, sorgt sich Kammerpräsident Bökamp. Die Branche ist alarmiert. Das schwindende Interesse junger Leute am Fach Bauingenieurwesen sei gefährlich auch für den Standort Deutschland. Wer soll in Zukunft den Neubau maroder Autobahnbrücken planen? Wer überwacht den reibungslosen Betrieb von Kläranlagen? Wie sollen all die schon jetzt offenen Planstellen in staatliche Baubehörden künftig besetzt werden? Bökamp liegt Panikmache fern. Aber es sei Zeit, endlich gegenzusteuern.

Zahl der Studienanfänger rückläufig

Die Zahl der Studienanfänger aber ist seit Jahren - wenn auch nur leicht – rückläufig. Sie lag 2018 bundesweit bei 11.470. Das reicht aus Sicht der Kammer einfach nicht mehr aus, um die demographische Lücke zu schließen, zumal die Abbrecherquote wie in vielen technischen Studiengängen hoch ist. Im Fall der Bauingenieure liegt sie bei rund 50 Prozent. Derzeit hat jedoch allein die Bauindustrie nach Kammerangaben einen jährlichen Bedarf von bundesweit rund 4000 Absolventen. Gesucht werden Bauingenieure händeringend auch in anderen Bereichen. Das betrifft nicht nur die seit Jahren unterbesetzten kommunalen Bauabteilungen und Genehmigungsbehörden, sondern auch die Deutsche Bahn. Sie sucht für ihr bundesweites Investitionsprogramm in die Gleisinfrastruktur ebenfalls Experten aus dem Bauwesen.

Die Branche ist vor allem mittelständisch aufgestellt

Das Gros der Bauingenieure aber arbeitet in selbstständigen Planungsbüros. Die Branche ist in Deutschland vor allem mittelständisch aufgestellt. Fast dreiviertel aller insgesamt rund 126.000 Ingenieur- und Architekturbüros in Deutschland verzeichnen einen Jahresumsatz von weniger als 250.000 Euro. In rund 90 Prozent dieser Büros arbeiten nicht mehr als zehn Beschäftigte. Nicht die großen Baukonzerne mit bekannten Namen, sondern die vielen kleinen und mittelgroßen Ingenieursbüros sorgen laut der Kammer also dafür, dass der Hoch- und Tiefbau im Land nicht stillsteht. Genau hier sind die Nachwuchssorgen am größten.

Info: Laut einer Gehaltsstudie von ingenieure.de/VDI erhielten Einsteiger im Bauingenieurberuf 2019 ein Jahresgehalt zwischen 40.000 und 50.000 Euro brutto. Erfahrene Bauingenieure verdienen bis zu 75.000 Euro. Das Durchschnittgehalt lag 2019 bei 61.100 Euro. Der einst männerdominierte Beruf wird zudem immer weiblicher. Fast jeder  dritte Bauingenieur ist eine Ingenieurin, Tendenz steigend.