Essen. Kohlekraftwerke im Revier gehen bis 2038 vom Netz. Hagedorn reißt nicht nur ab, sondern entwickelt auch neu. Ein Modell für alle Standorte?

Das Ruhrgebiet verabschiedet sich von seinen Kohlekraftwerken. Am Sonntag werden große Teil des Kraftwerks Lünen gesprengt. Bis spätestens 2038 gehen dann auch Duisburg-Walsum, Herne, Bergkamen (Steag), Gelsenkirchen-Scholven, Datteln (Uniper), Hamm, Werne (RWE) und Lünen (Trianel) vom Netz. Was gerade in Lünen passiert, könnte Signalkraft für andere Standorte haben.

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Es war im Dezember 2019, als der Essener Energiekonzern Steag sein Steinkohlekraftwerk Lünen an seinen neuen Eigentümer Hagedorn übergab. Seither fahren Bagger des Projektentwicklers aus Gütersloh über das 53 Fußballfelder große Gelände, um die Relikte der Vergangenheit abzureißen. 2024, so lautet der ehrgeizige Plan von Inhaber Thomas Hagedorn, soll hier ein Gewerbe- und Industriepark entstanden sein.

Bis zu 3500 neue Arbeitsplätze bei Knepper in Dortmund

„Private Entwickler können Kraftwerksflächen schneller für den Markt verfügbar machen als Kommunen oder die Energieversorger selbst“, sagt Hagedorn und verweist auf das benachbarte ehemalige Kraftwerk Knepper in Dortmund, dessen Kühlturm er 2019 spektakulär gesprengt hatte. „Innerhalb weniger Jahre entstehen dort 3000 bis 3500 neue Arbeitsplätze“, kündigt der Unternehmer an.

Hans-Peter Noll, stellv. Vorsitzender der RVR-Verbandsversammlung.
Hans-Peter Noll, stellv. Vorsitzender der RVR-Verbandsversammlung. © Andreas Buck / FUNKE Foto Services | Andreas Buck

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Das Versprechen ist Musik in den Ohren von Hans-Peter Noll. Als Vize-Vorsitzender der Verbandsversammlung des Regionalverbands Ruhr muss sich der Geografie-Professor täglich mit dem chronischen Gewerbeflächenmangel im Ruhrgebiet auseinandersetzen. Die Kraftwerksstandorte bieten neue Möglichkeiten. Dass Hagedorn in Lünen und Dortmund auf die Tube drücken will, gefällt Noll deshalb. „Wir müssen im Ruhrgebiet schneller und wirtschaftsfreundlicher werden”, fordert der CDU-Politiker.

Auch in Duisburg und Bochum aktiv

Hagedorn kennt sich im Ruhrgebiet und damit auch mit Strukturwandel aus. In Duisburg hat er eine Spanplattenfabrik abgerissen und dort neue Unternehmen angesiedelt. In Bochum ist er gerade dabei, den Standort eines ehemaligen RWE-Heizkraftwerks zu sanieren, um dort Platz für den Gesundheitscampus II zu schaffen. Das ostwestfälische Unternehmen mit seinen mehr als 700 Beschäftigten ist nach eigenen Angaben nicht nur Deutschlands größte Abbruchfirma und international die Nummer fünf. Es hat sich überdies zu einem auf Kraftwerke spezialisierten Projektentwickler gewandelt.

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„Wir übernehmen mit vollem Risiko nicht mehr genutzte Industrieflächen und entwickeln sie aus einer Hand“, sagt Hagedorn. „Dieses Geschäftsmodell ist in unserer Branche einzigartig.” Erwerb, Sprengung, Abriss, Sanierung und Vermarktung – mit diesem Konzept haben die Gütersloher erste große Ausschreibungen gewonnen. Auch wenn sie die Entwicklung von Schlüsselflächen wie in Dortmund, Bochum oder Lünen in private Hände legt, fordert die Politik freilich ein Mitspracherecht.

Mitspracherecht der Politik

„Regionale und lokale Interessen müssen bei der Umnutzung Niederschlag finden. Es darf keine Entwicklungen geben, die dem Umfeld des Standorts zuwiderlaufen”, betont deshalb RVR-Mann Noll. „Deshalb sind wir auf die Kooperationsbereitschaft mit dem Erwerber und Entwickler angewiesen.“ Wobei der CDU-Politiker, der hauptberuflich die Essener Stiftung Zollverein leitet, Zielkonflikte nicht ausschließt. „Wir müssen auch im Auge behalten, dass das öffentliche Interesse im Widerspruch zur wirtschaftlichen Darstellbarkeit stehen kann“, so Noll im Hinblick etwa auf die mögliche Ansiedlung wissenschaftlicher Institute, die in der Regel weniger Rendite abwirft.

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Laut Unternehmer Hagedorn soll es an einem gedeihlichen Miteinander nicht scheitern. „Bei der Suche nach neuen Nutzungsmöglichkeiten richten wir uns nach den Bedürfnissen der Region. Unser Ziel ist es nicht, den maximalen Profit aus der Fläche herauszuholen”, versichert er.

Der Unternehmer Tomas Hagedorn kauft Kraftwerksstandorte und entwickelt sie.
Der Unternehmer Tomas Hagedorn kauft Kraftwerksstandorte und entwickelt sie. © © ARTE/ZED | Hagedorn

Zumal der Entwickler die auch die beträchtlichen Kosten für den Abriss der Kraftwerke trägt. Die Landesregierung hatte bei den Beratungen über das Kohleausstiegsgesetz immer wieder gefordert, dass die Betreiber der Kraftwerke für deren Abbruch zu sorgen hätten.

Auf dem 372.000 Quadratmetern großen Areal des früheren Kraftwerks Lünen soll nach dem Willen von Investor Hagedorn ein Industrie- und Gewerbepark entstehen. Das ist offenbar Konsens in der Stadt Lünen und bei ihren Nachbarn. „Lünen ist ein planerisches Zuckerstück. Es gibt politisch eine große Akzeptanz für die neue Nutzung. Deshalb bin ich optimistisch, dass die Sprengung kein Zeichen für Niedergang, sondern für Aufbruch sein wird“, sagt Hans-Peter Noll.

Die Einigkeit über die künftige Nutzung der Kraftwerksstandorte ist nicht überall so groß. Das weiß auch der Unternehmer Hagedorn: „Unser größtes Risiko ist das Baurecht. Das Sonderrecht für Kraftwerksbau ist für eine Nachnutzung nicht zu gebrauchen.“

>>> 662 Millionen Euro für fünf Standorte

Um die sozialen und strukturellen Folgen des Ausstiegs aus der Kohleverstromung abzufedern, stellt die Bundesregierung dem Ruhrgebiet 662 Millionen Euro zur Verfügung. Gemeinsam mit der Business Metropole Ruhr hat die Landesregierung das Fünf-Standorte-Programm aufgelegt. Die Kommunen rund um die zu schließenden Kraftwerke sind aktuell dabei, Konzepte für die Nachnutzung zu entwickeln mit dem Ziel, möglichst viele neue Arbeitsplätze zu schaffen.

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„Das Fünf-Standorte-Programm ist startklar für die Förderung, sobald die Bund-Länder-Vereinbarung abgeschlossen ist. Erste vielversprechende Projekte zur Stärkung von Innovation, Wertschöpfung und Beschäftigung an den fünf Standorten können bereits im Verlauf dieses Jahres umgesetzt werden”, sagt eine Sprecherin von NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP).

Über den sogenannten Strukturstärkungsrat sind neben der Politik auch Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, der Sozialpartner und Verbände in den Ideenfindungsprozess eingebunden. Die Auswahlkriterien, welche Projekte am Ende in den Genuss der Förderung mit Bundesmitteln kommen, werden nach Angaben der Sprecherin gerade erarbeitet.