Ruhrgebiet/Lünen. Deutschlands größter Abbruchbagger arbeitet in Lünen: Der 230-Tonnen-Gigant kam am Montag an und soll das ehemalige Steag-Kraftwerk abreißen.

Was vom Kraftwerk übrig bleibt: 210.000 Tonnen Schrott, Schutt und Schund. Das schafft man nicht mit einer Schaufel. Das wuppen nicht einmal 40 Großmaschinen und der 100 Tonnen schwere Bagger, die derzeit schon nagen am ehemaligen Steag-Kraftwerk. Deshalb wurde neues Gerät eigens gebaut: Auf neun Tiefladern und in einem mehr als 200 Meter langen Konvoi ist am frühen Montagmorgen in Lünen Deutschlands größter Abbruchbagger vorgefahren. KMC1600S bringt 230 Tonnen auf die Waage – wenn die den Koloss denn aushalten würde.

Der „Multi Carrier“ kann weitere zig Tonnen Geräte tragen, Stahl chirurgisch schneiden in 60 Metern Höhe und reißen mit einer Kraft von mehr als 300 Kilonewton – nur gegen den Schnee war der Riese machtlos. Eine lange Winterwoche stand der Schwertransport auf einem Rastplatz der A 61 bei Niederzissen in Rheinland-Pfalz, dabei sollte die Reise aus Baden-Württemberg durch vier Bundesländer und 730 Kilometer nur zwei Nächte dauern. Aber die letzten 200 Kilometer bis ins östliche Revier waren nicht befahrbar, davon überzeugten sich Mitarbeiter auf täglichen Erkundungsfahrten selbst: Sie sahen auf eisiger Fahrbahn noch tagelang die querstehenden Lkw auf der A 2.

„Eine Ehre, Teil dieses unglaublichen Transports zu sein“

Tonnenweise Schrott lagert schon auf dem ehemaligen Kraftwerksgelände. Der neue Abbruchbagger soll weiteren Stahl schneiden.
Tonnenweise Schrott lagert schon auf dem ehemaligen Kraftwerksgelände. Der neue Abbruchbagger soll weiteren Stahl schneiden. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Nach einer Fahrt durch die Ruhrgebiets-Nacht, über A 3, A 2 – etwa um drei Uhr passierte der Konvoi Recklinghausen – und eine eigens gesperrte Rheinbrücke aber steht das Kraftpaket nun in Lünen, verpackt in gigantische Einzelteile. Fahrwerke, Ausleger, Anbauteile, und auf dem Bock vor dem schwersten und größten Stück (130 Tonnen) saß Giuseppe Linnenschmidt: „Eine Ehre“, sagt der 26-Jährige, „Teil dieses unglaublichen Transports zu sein.“ Schon ab Mittwoch, nach Zusammenbau, symbolischer Schlüsselübergabe und Taufe, soll der Riesenbagger einsatzbereit sein.

Dann wird er weg- und aufräumen, was 80 Jahre lang ein Kohlekraftwerk war, oder jedenfalls: dessen Berge von Stahl. Die Steag produzierte hier Strom für Privathaushalte und für die Bahn, verbrauchte dafür fast eine Million Tonnen Steinkohle im Jahr. Weil sich das nicht mehr lohnte, ging das Kraftwerk 2019 vom Netz. Seit einem Jahr nun gehört das mehr als 37 Hektar große Gelände – umgerechnet in die üblichen Fußballfelder derer 52 – der Hagedorn-Gruppe aus Gütersloh: Das erfahrene Abbruch-Unternehmen („Rückbau“, sagt man heute) soll die Fläche binnen drei Jahren „revitalisieren“, also baureif machen. Es wird recycelt, verdichtet, neu angelegt und vermarktet. Geplant ist ein Industrie- und Gewerbepark.

Elektrofilter und Rauchgasentschwefelungsanlage schon gesprengt

Seit dem Sommer schon werden die drei Kraftwerksblöcke, das 300 Meter lange Maschinenhaus und 30.000 Kubikmeter Keller abgerissen, im Oktober wurde die Rauchgasentschwefelungsanlage gesprengt. Im Januar und Anfang Februar erlebte Lünen zwei weitere Sprengungen: Es fielen die Elektrofilter und zuletzt die 60 Meter hohe Rauchgasentstickungsanlage. Weshalb da nun bereits 10.000 Tonnen Schrott im Schnee liegen, dekorativ zwischen Kühlturm und Schornstein. Letzterer war Ende der 60er-Jahre mit 250 Metern der höchste im Land, was ihn nicht schützt vor dem Fall: Die nächsten Gebäude werden im März gesprengt.

771 PS rücken dem alten Kraftwerk zu Leibe

Da war es noch in Betrieb: das Steag-Kraftwerk in Lünen 2013.
Da war es noch in Betrieb: das Steag-Kraftwerk in Lünen 2013. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Solche systematischen Rückbau-Arbeiten, sagt Thomas Hagedorn, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Gruppe, würden „immer komplexer“: Kraftwerke, Windkraftanlagen, Bahnhöfe samt Gleisanlagen oder großflächige Industrieruinen riss das Unternehmen schon ein, im Ruhrgebiet etwa mit 250 Kilo Sprengstoff den Kohlemeiler Knepper in Dortmund-Mengede. Um die Herausforderungen noch schneller und effizienter zu bewältigen, so Hagedorn, „brauchen wir besondere Maschinen“. Wie nun den KMC1600S, zusammen mit der Firma Kiesel konzipiert und spezialangefertigt: ein Kraftpaket mit einem Hubraum von 23,15 Litern und 771 PS.

Wer mehr wissen will und versteht: Die hydraulische Leistung liegt bei bis zu 1.000 Litern pro Minute und 350 bar, die Gesamtmenge des Hydrauliksystems bei 1.700 Litern.

Gute drei Millionen kostet Deutschland größter Abbruchbagger, hinterlassen wird er am Ende seines Einsatzes einen Haufen Schrott. Millionen Kilogramm schwer und nur in Lünen. Das Ende weiterer Kraftwerke ist mit dem Kohleausstieg ja schon programmiert.