Essen. Seit 2000 hat das Ruhrgebiet ein Drittel der Industriearbeitsplätze verloren. Aus Sicht der Kammern gerät damit die gesamte Wirtschaft in Gefahr.

Die Industrie- und Handelskammern an der Ruhr warnen eindringlich vor einer weiteren Reduzierung der Industriearbeitsplätze im Ruhrgebiet. Ihren Zahlen zufolge hat die Branche seit der Jahrtausendwende fast jede dritte Stelle verloren. „Ein hoher Industriebesatz ist nicht nur ein stabilisierender Faktor, sondern geradezu der Motor für die Gesamtwirtschaft einer Region“, mahnte am Dienstag Gerald Püchel, Hauptgeschäftsführer der Essener IHK.

Den rasanten Schrumpfungsprozess der Industrie-Beschäftigung machen die Kammern auch dafür verantwortlich, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Aufbau neuer Beschäftigung im Ruhrgebiet langsamer voran kommen als in anderen Regionen. Als Beispiele nennt Püchel den Kreis Borken, Ostwestfalen/Lippe und das Sauerland. Mit dem Zuwachs an Stellen in der Industrie sei dort auch das Bruttosozialprodukt spürbar stärker gestiegen als im Revier. „Das Ruhrgebiet hinkt deutlich hinterher“, urteilt der IHK-Manager und widerspricht damit ausdrücklich dem Chef der NRW-Agentur für Arbeit, Torsten Withake, der im WAZ-Interview erklärt hatte, das Ruhrgebiet werde mit der schrumpfenden Industrie krisenfester.

Auch interessant

Seit dem Jahr 2000 sind nach Zahlen des Statistischen Landesamts im Ruhrgebiet mehr als 115.000 industrielle Arbeitsplätze verloren gegangen. Und der Abbau geht weiter: Allein Thyssenkrupp Steel will 2800 Stellen streichen. Die Landeshauptstadt Düsseldorf hat seit langem eine stärkere industrielle Basis als Essen. Vor zwei Jahren hat die Gesundheitswirtschaft im Revier erstmals die Industrie als größter Arbeitgeber überholt.

Jutta Kruft-Lohrengel, Präsidentin der IHK für Essen, Oberhausen und Mülheim.
Jutta Kruft-Lohrengel, Präsidentin der IHK für Essen, Oberhausen und Mülheim. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Püchel warnt davor, die Industrie „strukturell in Frage zu stellen“. Sie sei weiterhin wichtiger Auftraggeber für Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe. Zudem weisen die Kammern darauf hin, dass es aufgrund der Gewerbeflächennot immer schwieriger werde, selbst kleinere verarbeitende und produzierende Firmen im Ruhrgebiet anzusiedeln. „Die Nachfrage gibt es. Expandierende Unternehmen aus dem Sauerland oder aus Ostwestfalen klopfen hier häufiger vergeblich an. Sie gehen dann nach Bayern oder Baden-Württemberg“, so Püchel. „Im Ruhrgebiet funktioniert das einfach nicht.“

Auch interessant

Dabei präsentiert sich die Ruhrwirtschaft in diesem Frühjahr trotz der bundesweiten konjunkturellen Eintrübung in robuster Verfassung. „Trotz zahlreicher Unsicherheiten melden die Unternehmen überwiegend eine gute Geschäftslage. Der Blick in die Zukunft bleibt jedoch verhalten“, sagt Jutta Kruft-Lohrengel, Präsidentin der IHK zu Essen. Sie legte am Dienstag die Ergebnisse einer Umfrage vor, an der sich rund 950 Unternehmen aus dem Ruhrgebiet mit mehr als 128.000 Beschäftigten beteiligten.

IHKs fordern „wirtschaftsfreundliche Politik“

Danach bezeichneten 38 Prozent der Firmen ihre wirtschaftliche Lage als gut, nur zehn Prozent bezeichneten sie als schlecht. Im Vergleich zum Herbst hellen sich die Exporterwartungen auf. Auch die Beschäftigungslage weist eine positive Tendenz auf. Jeder fünfte Betrieb im Ruhrgebiet will zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Oftmals hindert sie freilich der grassierende Fachkräftemangel daran. „Gleichwohl bleibt ein Wermutstropfen“, betont Präsidentin Kruft-Lohrengel. „Die Arbeitslosenquote geht leider nicht in dem Maße zurück wie die Beschäftigung aufgebaut wird.“

Auch interessant

Im Hinblick auf die Kommunalwahl im September fordert Kruft-Lohrengel deshalb „ein klares Signal, dass sich das Ruhrgebiet attraktiv für Investitionen und Arbeitsplätze aufstellt. Die Region braucht eine wirtschaftsfreundliche Politik“, sagte sie insbesondere im Hinblick auf die Engpässe bei Gewerbeflächen. Die Kammern klagen seit vielen Jahren darüber.

Große Hoffnungen ruhen jetzt auf den Arealen der Steinkohlekraftwerke, die bis spätestens 2038 abgeschaltet werden müssen. Zur sozialen Abfederung des Kohleausstiegs hat die Bundesregierung dem Ruhrgebiet Strukturhilfen in Höhe von 662 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Geld, das nach Einschätzung von Fritz Jaeckel, Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen, allein von den betroffenen Kommunen beantragt werden kann. Jaeckel ruft dazu auf, dass die Mittel in Projekte gesteckt werden, die dem Aufbau von Beschäftigung nutzen. Den Digital-Campus auf der Essener Zeche Zollverein etwa nennt er als gutes Beispiel. „Die Millionen sollten nicht für Peitschenlaternen oder die Sanierung von Schwimmbädern fließen.“