Hagen. Die Modekette Sinn hat das Insolvenzverfahren ohne Abbau von Stellen bewältigt. Warum Chef Göbel jetzt neue Läden eröffnet – außer im Internet.
Als im März die Läden schließen mussten, blitzte Friedrich Göbel bei den Kreditverhandlungen mit Banken ab. Um durch die Krise zu kommen, wählte der Chef der Modekette Sinn stattdessen ein Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung. Offenbar mit Erfolg. Mit Göbel sprach Frank Meßing über den geplanten Expansionskurs des Hagener Unternehmens, die Lage in den Innenstädten und warum er einen Online-Shop für überflüssig hält.
Herr Göbel, Sie planen die Eröffnung zweier neuer Filialen, dabei ist das Insolvenzverfahren für Sinn noch gar nicht beendet. Wie funktioniert das?
Friedrich Göbel: Die Gläubigerversammlung hat in der vergangenen Woche dem Insolvenzplan einstimmig zugestimmt. Das Amtsgericht Hagen plant, das Insolvenzverfahren voraussichtlich zum 30. September aufzuheben. Wir können also weitermachen.
Galeria Karstadt Kaufhof, Esprit, Bonita und andere Wettbewerber nutzen die Insolvenz in Eigenverantwortung, um Stellen abzubauen und Filialen zu schließen. Welche Einschnitte plant Sinn?
Göbel: Keine. Im Gegenteil. Wir haben seit Beginn des Insolvenzverfahrens 60 Stellen aufgebaut und Filialen in Essen und Unna eröffnet. Im November gehen wir in den Räumen von Kaufhof in Brühl und in Bad Honnef ab März 2021 in der aktuellen Filiale von C&A an den Start. Und wir werden weitere Sinn-Filialen eröffnen. Wir sind aktuell an einigen anderen Standorten in guten Gesprächen. Unser Geschäftsmodell funktioniert.
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Obwohl Sie keinen Online-Shop anbieten?
Göbel: Der Onlinemarkt im Textilhandel ist doch zu großen Teilen verteilt. Da macht es wirtschaftlich überhaupt keinen Sinn, einen Onlineshop mit hohem finanziellen Aufwand zu betreiben, um am Ende nur Geld zu verbrennen. Wer sucht denn gezielt nach dem Modehaus Sinn im Internet zum Onlineshopping? Niemand. Selbst ein großes Unternehmen wie Galeria Karstadt Kaufhof kommt gerade einmal auf einen Online-Anteil von vier Prozent am Umsatz, obwohl man dort einen hohen Aufwand für Technik und Marketing betreibt.
Während des Lockdowns war das Internet aber der einzige Vertriebsweg für den Handel.
Göbel: Ein Internetshop ist meines Erachtens die primitivste Form der Digitalisierung des Einzelhandels. Das
ist doch nicht mehr als ein Katalog auf dem Bildschirm. Wir setzen stattdessen auf Digitalisierung der Beziehung zu unseren Stammkunden, die Digitalisierung unserer Bekleidungshäuser und der Digitalisierung aller Unternehmensprozesse, um aktuelle Mode schnellstmöglich in die Filialen zu bringen.
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Viele mittelständische Mode-Hersteller und –händler stehen nicht erst seit Corona unter erheblichem Druck. Setzt der Branche die Übermacht von Billigketten wie Primark und H&M zu?
Göbel: Im Einzelhandel steht nicht nur die Textilbranche unter Druck. Die Krise ist in den Modeläden für die Kunden aber am anschaulichsten zu beobachten – zum Beispiel wegen der Vielzahl von Rabattaktionen. Bei Sinn sind wir ganz gut mit unserem klaren Konzept gefahren: 120 Marken, keine Eigenmarken, Textilien und Wäsche für Damen und Herren mit mittleren und gehobenen Preissegment. Das ist ganz simpel. Primark und andere Anbieter im unteren Preissegment, die selbstverständlich auch eine notwendige und sinnvolle Rolle im Textilmarkt spielen, sind für uns kein Wettbewerb, da unsere Kundinnen und Kunden Markenprodukte und Beratung suchen. Dennoch haben wir während des Shutdowns 54 Millionen Euro Umsatz verloren. Der kommt nicht mehr zurück.
Viele Läden schließen und verschärfen noch einmal den Abwärtstrend in vielen Innenstädten. Fürchten Sie, auch in diesen Sog zu geraten?
Göbel: In den vergangenen 20 Jahren haben in der Tat nur wenige Handelsstandorte an Bedeutung gewonnen. Im Ruhrgebiet zum Beispiel gehören dazu Dortmund und der Bochumer Ruhr-Park. Das Centro in Oberhausen hat sich stabil gehalten. Die einstige Einkaufsstadt Essen dagegen hat durch eine völlig verfehlte Innenstadt-Politik ihren ersten Platz eingebüßt und ist weit nach unten gerutscht. Auch in Duisburg und anderen Städten ist es weiterhin schwierig.
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Dennoch hat Sinn im Frühjahr gerade erst nahe des Essener Hauptbahnhofs eröffnet.
Göbel: An dem Standort haben wir nur 2700 Quadratmeter, dieser Standort wird in etwa zwei Jahren durch den Eigentümer vollständig neu entwickelt. Wir sind hier kurzfristig eingestiegen, um wieder eine erste Präsenz zu zeigen. Langfristig brauchen wir in Essen aber rund 5500 Quadratmeter, um unsere komplette Kompetenz zeigen zu können. Deshalb bleiben wir nur sehr wahrscheinlich zwei Jahre am Willy-Brandt-Platz und ziehen dann in Essen um. Mich beunruhigt auch deshalb nicht so sehr, dass der Kaufhof gleich nebenan im Oktober schließen wird. Insgesamt ist der Platz sicher eine Problemzone, die die Stadt Essen und das Ordnungsamt nur begrenzt in der Kontrolle hat, durch die Kaufhof-Schließung wird dies sicher nicht besser und schreckt immer mehr Menschen von diesem Bereich ab.
Fürchten Sie, dass mit der Schließung von knapp 50 Galeria-Warenhäusern künftig noch weniger Menschen in die Innenstädte kommen werden?
Göbel: Das kann für die Standorte gelten, an denen sich Karstadt und Kaufhof ganz zurückziehen werden. Zum Glück ist dies nur für einen kleinen Teil der betroffenen Städte der Fall, aber auch an diesen Standorten wird es Lösungen geben, wenn die Städte intelligent mit Investoren zusammenarbeiten. In Essen, Dortmund und vielen anderen Städten, in denen mindestens ein Kaufhof-Karstadt-Haus bestehen bleibt, wird die Innenstadt durch die Schließung eines der beiden Häuser nicht leiden. Sicherlich ist es aber kritisch, wenn die Gebäude nach der Schließung der Warenhäuser zu Schandflecken werden.
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Haben Warenhäuser aus Ihrer Sicht überhaupt noch eine Zukunft?
Göbel: Versorgungsengpässe wird es nicht geben, hierfür hat die Bedeutung von Warenhäusern schon vor langer Zeit abgenommen. Welcher Kunde interessiert sich heute noch für Warenhäuser beziehungsweise das aktuelle Konzept von Karstadt Kaufhof? Die Probleme bei Karstadt Kaufhof sind nicht umsonst entstanden, und ich habe bislang nicht gehört oder gesehen, dass Galeria das nicht zukunftsfähige Konzept ändern will. Es gibt in Deutschland mehr als genug Einzelhandelsfläche und ein Überangebot an Waren, die Konsumenten werden weiterhin Ihre Einkäufe tätigen können.
Während der Corona-Pandemie musste der Einzelhandel über Wochen weitgehend ruhen. Wann erwarten Sie wieder Normalität?
Göbel: Vor allem im Textilhandel hat sich ein brutaler Warenüberhang angesammelt. Deshalb hat es auch diese Rabattschlacht gegeben. Wir konnten unsere Bestände aus den Frühjahrs- und Sommer-Kollektionen zum Glück auf ein normales Niveau senken. Auf der anderen Seite kommen die Artikel für Herbst und Winter mit einiger Verspätung, weil nicht produziert werden konnte, dies kostet aktuell Umsatz und Ertrag. Ich rechne damit, dass die Branche erst in einem Jahr wieder zur Normalität übergehen kann.
>>> 1550 Mitarbeiter und 23 Filialen
Das Modehaus Sinn betreibt aktuell bundesweit 23 Filialen, davon 13 in Nordrhein-Westfalen. Das Hagener Traditionsunternehmen beschäftigt rund 1550 Mitarbeiter. Nach Angaben des Generalbevollmächtigten Göbel war für das Geschäftsjahr 2019/20, das im Juli zu Ende ging, ein Umsatz von 225 Millionen Euro geplant gewesen. Durch die Corona-Pandemie seien die Erlöse um 54 Millionen Euro geringer ausgefallen.