Mülheim. Ein Kamerasystem soll verhindern, dass Vögel in Windräder fliegen. An dem EU-Projekt tüfteln auch Ingenieure der Mülheimer Firma Geosat.

Jährlich sterben in Deutschland nach Zahlen des Naturschutzbunds Nabu bis zu 100.000 Vögel, weil sie in die Rotoren von Windkrafträdern geraten. Ein Forschungsprojekt der EU soll nun Wege aufzeigen, wie ein Radarsystem zumindest Schwärme schützenswerter Vögel frühzeitig erkennt, um das Windrad abzuschalten. Die Kameratechnik soll das Mülheimer Unternehmen Geosat beisteuern.

1,3 Millionen Euro hat das EU-Förderprogramm Eurostars für „Wirtubisa“ bereitgestellt. Die Abkürzung steht für Wind Turbine Bird Strike Avoidance, also die Vermeidung von Vogelschlag, wie es technokratisch heißt. Die beteiligten Unternehmen haben nun bis zum Jahr 2023 Zeit, Technologien zu entwickeln, die Vögel vor der wachsenden Zahl von Windparks schützt.

Sensoren sollen Kollisionen verhindern

„Mit unseren Partnern in Dänemark und Schweden haben wir die Aufgabe, ein kostengünstiges Sensoren-System zu schaffen, das Vorhersagen ermöglicht und Kollisionen mit Vögeln vermeidet“, beschreibt Olaf Ludwig, Ingenieur bei Geosat, das Ziel. Das könnte auch Bedenken von Tierschützern gegen neue Anlagen ausräumen, um den ins Stocken geratenen Ausbau der Windkraft wieder zu beschleunigen.

Der Rotmilan sucht stets mit Blick nach unten Beute, er gerät deshalb häufiger in Windräder als andere Vogelarten.
Der Rotmilan sucht stets mit Blick nach unten Beute, er gerät deshalb häufiger in Windräder als andere Vogelarten. © dpa | Patrick Pleul

Das mittelständische Unternehmen aus Mülheim ist international tätig und hat sich auf Geoinformationssysteme, Satellitennavigation, Erdbeobachtung und Bilderkennung spezialisiert. Innerhalb des europäischen Konsortiums hat es die Aufgabe, Kamerasysteme mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz in die Lage zu versetzen, die Art der heranfliegenden Vögel zu identifizieren. Die skandinavischen Partner entwickeln das Radarsystem, das frühzeitig Bewegungen am Himmel orten kann. Insbesondere schützenswerte Greifvögel wie der Milan und der Bussard geraten häufig in die Fänge der Rotoren. Mit dem Einsatz moderner Sensortechnik soll das künftig vermieden werden.

„Wir sind in der Lage, 1000 Meter weit entfernt fliegende Tiere zu identifizieren und an Hand von dreidimensionalen Bildern deren Größe und weitere Parameter zu bestimmen“, erklärt Ludwig. Zum Plan gehört es, diese Informationen in Echtzeit an ein neuronales Netz zu übergeben, das über eine Bilder-Bibliothek verfügt, die permanent dazu lernt. „Am Ende steht eine Voraussage, ob ein einzelner Vogel oder ein ganzer Vogelschwarm direkt auf das Windrad zufliegt“, sagt der Ingenieur.

Windräder können binnen Sekunden abgeschaltet werden

Anhand der Informationen, die die Kameras liefern, soll der Betreiber des Windparks dann in die Lage versetzt werden, „innerhalb von Sekunden“ entscheiden zu können, ob er durch eine Richtungsänderung der Rotoren gegensteuert oder die Anlage sogar ganz abschaltet. Auf den Faktor Mensch soll bei dem Verfahren verzichtet werden. „Der Prozess funktioniert völlig autonom und digital“, betont Ludwig.

Exakte Zahlen, wie oft es in Windparks zum sogenannten Vogelschlag kommt, gibt es nicht. Rein statistisch kommt es an jeder Anlage zweimal pro Jahr zu solchen Zwischenfällen. Die Schätzungen des Nabu, wonach in Deutschland jährlich rund 100.000 Vögel durch Windenergieanlagen ums Leben kommen, hält der Bundesverband Windenergie für zu hoch gegriffen. „Durch Kollisionen mit Glasscheiben sterben jedes Jahr geschätzte 115 Millionen Vögel, durch den Verkehr 70 Millionen und durch Hauskatzen 60 Millionen Vögel“, beruft sich Hauptgeschäftsführer Wolfram Axthelm auf Messungen von Naturschutzverbänden.

Eine Strategie gegen Vogelschlag fehlt bisher

Gleichwohl betont der Branchenverband, dass er den Artenschutz ernst nehme. „Im Rahmen von Ausgleichsprojekten werden etwa Blüh- und Streuobstwiesen angelegt, um Brut- und Nahrungsflächen für Vögel zur Verfügung zu stellen“, sagt Axthelm in Bezug auf die Genehmigungsverfahren. Eine Strategie, den Vogelschlag von vornherein möglichst zu unterbinden, gibt es bislang aber nicht.

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Geosat-Ingenieur Olaf Ludwig ist optimistisch, dass sein Mülheimer Team gemeinsam mit den Kollegen aus Schweden und Dänemark mit „Witurbisa“ zum Ziel kommen kann. „Es wird angestrebt, dass ein solches System den Betreiber der Parks nur knapp über eine Million Euro kosten soll. Denkbar ist auch die Miete des Systems“, sagt er. Eine Investition, die sich für die Unternehmen nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch lohnen könnte. „Witurbisa kann zu einer deutlich besseren Genehmigungsfähigkeit einer Windanlage beitragen“, meint der Experte. Das gelte auch für die Erneuerung von bestehenden Windparks, die eine neue Betriebsgenehmigung benötigen.“ Die Kriterien dazu werden immer strenger. Aber auch bei drohenden Bürgerbegehren kann das System ein Argument sein“, meint Ludwig.

Windkraft-Ausbau in NRW stockt

NRW hat bisher 3760 Windkraftanlagen mit einer Gesamtkapazität von 5,9 Gigawatt (GW) installiert. Sie soll bis 2030 auf 10,5 GW nahezu verdoppelt werden. Der Ausbau geriet in den vergangenen Jahren jedoch ins Stocken. Nachdem er 2019 fast zum Erliegen gekommen war, wurden im ersten Halbjahr dieses Jahres immerhin 28 neue Anlagen installiert. Bei einem Nettozuwachs von 64 Megawatt (MW) ist das aber immer noch viel zu wenig: Für das NRW-Ausbauziel müssten der Ausbau viermal schneller gehen.

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Neben den schwieriger gewordenen Bedingungen durch die Ausschreibung neuer Windkraftanlagen und Abstandsregeln sind häufig auch Widerstände von Tierschützern neuen Anlagen im Weg. Nicht immer sind die Motive eindeutig, zuweilen wird der Tierschutz nur vorgeschoben, um ein Windrad vor der eigenen Haustür zu verhindern. „Wer die Fesseln der Erneuerbaren lösen will, steht vor der großen Aufgabe, das Umweltrecht und den Artenschutz vor denen zu schützen, die es für ihre eigenen Partikularinteressen uminterpretieren“, sagte dazu Grünen-Chefin Mona Neubaur unserer Zeitung. Für mehr Sicherheit in den Genehmigungsverfahren setzt auch sie auf neue technische Lösungen, die Bedenken von vornherein entkräften könnten.

Zenit lobt Geosat als „Erfolgsfall“

Das EU-Projekt soll aber nicht nur einen Beitrag zum Artenschutz leisten, sondern auch die Zukunftsfähigkeit der teilnehmenden Unternehmen fördern. Für Geosat geht es dabei um den Markteintritt in Europa. Das ist auch dem ebenfalls in Mülheim ansässigen Beratungszentrum Zenit, das vom Land NRW, Banken und Mitgliedsunternehmen getragen wird, wichtig. „Für mittelständische Unternehmen identifiziert Zenit Kooperations- und Beteiligungsmöglichkeiten in europäischen Entwicklungsprojekten.

Das Projekt „Witurbisa“ ist für uns ein Erfolgsfall, weil wir mit der Firma Geosat aus Mülheim rasch einen Partner aus der Nachbarschaft für das EU-Projekt finden konnten“, sagt Geschäftsführer Karsten Lemke. Das grenzüberschreitende Eurostars-Programm habe eine hohen Qualitätsstandard. „Das Besondere ist, dass die Mittel nicht von der EU, sondern national vom Bundesforschungsministerium bereitgestellt werden“, so Lemke.