Essen. Wirtschaftsminister Altmaier plant Runden Tisch, um Pleitewelle in den Innenstädten zu verhindern. Handel und Städtetag reagieren verhalten.
Die Wirtschaft erholt sich langsam, die Konsumbarometer steigen, doch die für lebendige Innenstädte entscheidenden Branchen kommen nicht mit: Der stationäre Einzelhandel und die Gastronomie arbeiten nach wie vor kaum kostendeckend. Und ausgerechnet diese beiden Problembranchen profitieren kaum bis gar nicht von der Senkung der Mehrwertsteuer. Nun will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine Initiative zur Rettung kleinerer Läden in den Innenstädten starten. Handelsverband und Städtetag begrüßen das, allerdings ohne große Euphorie.
Zu akut ist die Gefahr einer Pleitewelle: In der jüngsten Umfrage des Handelsverbands NRW nach der Insolvenzgefahr gaben 4,5 Prozent der Händler an, sie befänden sich in „sehr großer Gefahr“, weitere 11,5 Prozent sahen „große Gefahr“, ihr Geschäft absehbar aufgeben zu müssen. „Wir machen uns nach wie vor große Sorgen um die Einzelhandels-Vielfalt in den Städten“, sagte Peter Achten unserer Redaktion. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands NRW hofft vor allem, dass keine zweite Welle an Corona-Infektionen kommt. „Einen zweiten Lockdown würden wir uns nicht leisten können, das wäre der Super-GAU für den Handel.“
Mehrwertsteuer-Senkung hilft den meisten nicht
Bundesweit stehen 50.000 Geschäfte vor der Pleite, warnt der Branchenverband HDE seit Wochen. Daran wird die Senkung der Mehrwertsteuer nichts ändern, glaubt man der jüngsten Umfrage des HDE unter Geschäftsinhabern, die keine Lebensmittel verkaufen (Non-Food-Handel): Dabei gab nur gut jeder siebte Ladenbesitzer (13 Prozent) an, die um drei Punkte gesenkte Umsatzsteuer belebe den Konsum. Mit 18 Prozent betonten dagegen mehr Händler sogar die negativen Seiten durch Umstellungskosten, etwa für die Kassensysteme.
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Die positiven Rückmeldungen kamen fast ausschließlich aus Bereichen mit tendenziell teurerer Ware, etwa Möbel, Elektronikwaren sowie Uhren und Schmuck. Besonders im Textil- und Schuhhandel fällt den Kunden die Senkung der Mehrwertsteuer dagegen kaum auf, zumal derzeit die meisten Läden mit Sommerrabatten winken, um die wegen der Zwangsschließungen liegen gebliebene Ware loszuwerden. Der Handelsverband Textil (BTE) sieht auch deshalb den Textil-, Schuh- und Lederwarenhandel als den „großen Verlierer der Corona-Krise“.
Viele Gastronomen geben auf
Nach wie vor können auch Gastwirte kaum wirtschaftlich arbeiten, zwar haben sie wieder geöffnet, doch die Umsätze bleiben niedrig. Täglich müssen Restaurants und Kneipen aufgeben, der Verband Dehoga sieht in NRW 13.000 Gastronomie-Betriebe vor dem Aus. Die Senkung der Mehrwertsteuer geben sie in der Regel ohnehin nicht weiter, weil sie jeden Cent, der von einem verkauften Gericht übrig bleibt, für Pacht und Personal brauchen. Viele Kunden meiden die Gaststätten nach wie vor aus Angst vor einer Ansteckung.
Damit sehen die Städte ein Riesenproblem auf sich zukommen. Das Thema ist inzwischen im Bundeswirtschaftsministerium angekommen. Altmaier hat angekündigt, eine Pleitewelle kleinerer Läden abwenden zu wollen. „Wir wollen verhindern, dass es zu einem Sterben der Geschäfte in den Innenstädten kommt“, sagte er und kündigte dazu einen Runden Tisch mit allen Beteiligten im September an.
Altmaier plant Runden Tisch für Innenstädte
Altmaier setzt darauf, die Innenstädte vor allem an Wochenenden attraktiver zu machen. Den Einzelhändlern und den Gastronomen müsse geholfen werden, auch digital für ihre Kunden da zu sein, um am wachsenden Onlinegeschäft teilzuhaben. Kaufgutscheine für den stationären Handel vor Ort, wie sie die Grünen fordern, lehnt der Wirtschaftsminister ab. Die Grünen begründeten das damit, dass die Senkung der Mehrwertsteuer vor allem dem Onlinehandel zugute komme.
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Peter Achten vom Handelsverband NRW findet Altmaiers Vorstoß „gut“, der Minister liege richtig, dass auch der niedergelassene Einzelhandel auf allen Kanälen präsent sein muss. „In NRW sind wir da zum Glück ein Stück voraus“, sagt er allerdings mit Blick auf das laufende Förderprogramm des Landes. NRW finanziert Digital-Coaches, die Ladenbesitzern bei der Digitalisierung helfen.
Städtetag fordert mehr Geld von Bund und Land
Auch der Deutsche Städtetag betont, Altmaier wähle einen richtigen Ansatz. „Allerdings werden wir unsere Innenstädte nicht allein durch digitale Serviceangebote im Einzelhandel stabilisieren oder wiederbeleben“, schränkt Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy ein. Dafür müssten auch Räume neu gestaltet und genutzt werden, was in vielen Städten am Geld scheitere. Deshalb fordert der Städtetag, dass Bund und Länder deutlich mehr als die bisherigen 790 Millionen Euro im Jahr für Städtebauförderung bereitstellen. Die Eigenanteile der Städte dürften „nicht höher als zehn Prozent“ betragen.